Lagarde mit Waisenkindern Nigeria
© Reuters Die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, mit nigerianischen Waisenkindern.
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Vor 15 Jahren beschlossen die sogenannten G8-Staaten einen Schuldenerlass für die am höchsten verschuldeten Entwicklungsländer der Welt. Von dieser Maßnahme profitierten auch 33 Staaten in Afrika. Nun jedoch bahnt sich eine neue Schuldenkrise an und den einst entschuldeten afrikanischen Staaten droht erneut die Zahlungsunfähigkeit. Anzeichen eines Teufelskreises mit verteilten Verantwortlichkeiten.

Laut der Nichtregierungsorganisation Erlassjahr.de bestehen in 40 afrikanischen Staaten besorgniserregende Anzeichen einer neuen Überschuldung. Für Jürgen Kaiser, politischer Koordinator der NGO, war diese Entwicklung jedoch vorhersehbar:
Das ist nicht überraschend, da die derzeitigen wirtschaftlichen Konstellationen sehr viel Ähnlichkeit haben mit der Situation, die in den späten 70er und frühen 80er-Jahren zur Schuldenkrise der Dritten Welt geführt hat.
Wie in dem genannten Zeitraum erscheint eine Anlage in Afrika mit sieben bis 15 Prozent aktuell sehr lukrativ, denn im Gegensatz dazu werden in den oftmals bereits übersättigten, reichen und industrialisierten Staaten der Nordhalbkugel nur noch äußerst niedrige Zinsen gezahlt. Das Problem für die Kreditnehmer entsteht folglich, wenn es an die Rückzahlung der Verbindlichkeiten geht. Dies vor allem auch aufgrund der volatilen Rohstoffpreise. Dazu Kaiser:
Das führt dazu, dass Länder auf der einen Seite in großem Stil Kredite aufnehmen und auf der anderen Seite dann Probleme haben, wenn es an das Rückzahlen geht.
Auch die Welthandels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD), sieht aufgrund dieses Mechanismus eine neue Staatsschuldenkrise heraufziehen. So hätten afrikanische Staaten in den vergangenen Jahren wieder deutlich mehr Schulden angehäuft, dies jedoch bei gleichzeitig sinkender Tilgungsfähigkeit. Als dafür mitverantwortlich macht die Unterorganisation der Vereinten Nationen vor allem die niedrigen Rohstoffpreise aus.

Auch daher mag die sich nun erneut anbahnende Staatsschuldenkrise etlicher afrikanischer Staaten nicht wirklich verwundern, auch wenn zahlreichen sogenannten Entwicklungsländern im Rahmen der HIPC-Initiative (Heavily Indebted Poor Countries) von Weltbank und Internationalem Währungsfond (IWF) ein Großteil ihrer Schulden erlassen wurde. An der Initiative hatten auch die G8-Staaten, unter ihnen Deutschland, mitgewirkt. Auf Betreiben der deutschen Regierung wurde 1999 die HIPC-Initiative erweitert (HIPC II).

Dabei geht es grundsätzlich darum, Schulden nur in dem Umfang zu erlassen, der für das Wiederherstellen eines tragfähigen Schuldenniveaus erforderlich ist. Die Tragfähigkeit wird dabei überschritten, wenn die Staatsverschuldung im Verhältnis zu den Exporten des Landes 150 Prozent und mehr, sowie im Verhältnis zu den Staatseinnahmen 250 Prozent und mehr beträgt.

Doch eine einmalige Entschuldung ist keine Lösung für ein zugrunde liegendes strukturelles Problem. Der malawische Wirtschaftswissenschaftler Fanwell Bokosi zeigt sich überzeugt:
Das bestehende Finanz- und Wirtschaftssystem birgt permanent die Gefahr von Schuldenkrisen in sich. Schon jetzt sehen wir, wie sich im globalen Süden die nächsten Schuldenkrisen aufbauen.
Waren die überschuldeten Staaten zunächst über Jahrzehnte darauf angewiesen, sich bei anderen Staaten und Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) Geld unter den jeweiligen Bedingungen zu leihen, änderte sich die Situation nach der Entschuldung. Aufgrund des gesunkenen Schuldenniveaus wurden die entsprechenden Staaten für private Kapitalfonds interessant, erläutert Bokosi. Sie konnten sich nun auch des Finanzmarkts bedienen, wobei die Anleihen in Währungen wie dem Euro oder US-Dollar aufgenommen wurden. Die Kursschwankungen fielen dabei in der Regel zu Ungunsten der heimischen Währungen aus - eine direkte Folge der Überschuldung. Entsprechend stiegen die Schulden.
Das Gläubigerprofil wird komplexer, aber das System zur Lösung von Staatsschulden hat sich nicht weiterentwickelt, konstatiert Kristina Rehbein von Erlassjahr.de.
Dementsprechend war auch die HIPC-Initiative nicht nachhaltig, beziehungsweise konnte es nicht sein. Dies unterstreicht die Tatsache, dass von den aktuell 40 afrikanischen Staaten, die Überschuldungsindikatoren aufweisen, 26 den HIPC-Entschuldungsprozess durchlaufen haben.

Als Beispiel verweist die Nichtregierungsorganisation auf den süd-ostafrikanischen Staat Mosambik. Investmentfonds und Banken liehen dem Land sehr gerne Geld, nicht zuletzt aufgrund der Annahme, dass der nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs wieder wirtschaftliche Wachstumsraten von durchschnittlich 10 Prozent aufweisende Staat, seine Schulden wohl werde zurückzahlen können. Für zusätzlichen Optimismus sorgten neue Funde an enormen Rohstoffvorkommen. Wenn die Rohstoffpreise aber ihr Versprechen auf Gewinne nicht einhalten, sitzen Gläubiger und Schuldner auf dem Trockenen.

Ein weiteres Beispiel ist der westafrikanische Staat Ghana. Das aufstrebende Land hatte im Jahr 2006 eine internationale Anleihe von 750 Millionen US-Dollar aufgelegt. Erst im Jahr zuvor konnte Ghana einen Schuldenberg von 40 Milliarden US-Dollar durch einen Schuldenerlass auflösen. Im Jahr 2014 musste das Land dann wieder den IWF um Unterstützung bitten. Hintergrund: Aufgrund der guten wirtschaftlichen Situation sah sich Ghana in der Lage, Gehälter für Beamte des öffentlichen Dienstes zu erhöhen. Doch in diesem Zeitraum sanken die Preise für die Exportgüter Gold und Kakao.

Der Ölpreis halbierte sich und auch durch das Rating auf „B“ erreichten die Zinsen mehr als 10 Prozent. Gemessen an westlichen Standards wies der Schuldenstand mit 55 Prozent zwar recht moderate Werte auf, doch fallende Staatseinnahmen und ein Leistungsbilanzdefizit ließen die Schulden immer weiter steigen. Erneut tat sich der fatale Teufelskreis auf.

Eine äußerst unrühmliche Rolle spielen in diesem Zusammenhang auch die sogenannten Geierfonds. Denn die sehr armen afrikanischen Staaten können ein durchaus lukratives Investitionsziel mit erstklassigen Renditen sein. Die Geierfonds, auch „vulture funds“, haben sich darauf spezialisiert, Schulden der armen Staaten aufzukaufen und die Staaten dann, inklusive Zins und Zinseszins, auf Rückzahlung zu verklagen.

So etwa in Sambia. Bereits vor Jahren wurde der südafrikanische Staat vor einem Londoner Gericht dazu verurteilt, dem US-Geierfonds Donegal 17 Millionen US-Dollar zu zahlen. Der Trick: Als Sambia Altschulden in Höhe von 15 Millionen US-Dollar nicht zurückzahlen konnte, sprang Donegal ein, indem es die Schulden im Jahr 1999 für 3.280.000 US-Dollar aufkaufte, um dann in einem nächsten Schritt das Land, samt Tilgung, Zins, Zinseszins und Verzugszinsen auf 55 Millionen US-Dollar zu verklagen.

Hätten sie den ehemaligen sambischen Präsidenten Chiluba nicht mit einer Millionen US-Dollar geschmiert, damit dieser dem Deal auf dem sogenannten Sekundärmarkt zustimmt, wäre die Klage wohl erfolgreich gewesen. In Folge des aufgeflogenen Korruptions-Vorfalls, wurde die Summe reduziert, doch die Ansprüche des Fonds wurde nicht in Frage gestellt. Das Ergebnis: Eine Rendite von stattlichen 700 Prozent für Donegal. Die Geierfond-Strategie findet in ganz Afrika ihre Anwendung, gedeckt von Staaten, die sich ihrerseits immer neuer Entwicklungshilfeprojekte auf dem afrikanischen Kontinent rühmen.

Können Staaten wie Mozambik oder Sambia ihre Schulden nicht mehr begleichen, existiert in diesem Fall jedoch kein international gültiges Entschuldungsverfahren, wie etwa für Unternehmen oder Privatpersonen. Entsprechende Konzepte wurden stets von einer Lobby, bestehend etwa aus Banken, den USA und auch Deutschland, verhindert. So wurde ein entsprechender Beschluss der Generalversammlung der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2014 nicht umgesetzt. Neben zehn weiteren Staaten stimmte auch Deutschland gegen den UN-Entwurf, der die Entwicklung eines geregelten Insolvenzverfahrens zum Ziel gehabt hätte. Dazu erklärte Jürgen Kaiser von Erlassjahr.de:
Ein Insolvenzverfahren würde bedeuten, dass nicht mehr die Gläubiger darüber entscheiden würden, ob es Schuldenerlasse gibt oder nicht. Das hat in der Vergangenheit immer dazu geführt, dass Schuldenerleichterungen, wenn überhaupt, dann zu spät und in zu geringem Ausmaße gewährt wurden.
Der Kreditgeber IWF stand vor allem wegen der sogenannten Strukturanpassungsprogramme in der Kritik. Deren Unterzeichnung war im Laufe der 1980er und 90er Jahre Voraussetzung für die Vergabe von Krediten an die sogenannten Entwicklungsländer. Die wichtigsten Eckpfeiler dieser Programme waren die wirtschaftliche Liberalisierung, wie etwa der Abbau von Zöllen, die den heimischen Markt vor subventionierten ausländischen Produkten schützen sollten. Hinzu kamen die Deregulierung und die Privatisierung. Die Deregulierung bedeutete die Aufhebung aller Restriktionen für ausländische Investitionen. In Folge werden inländische Investoren von den Giganten der Wall Street oder aus London vom Markt gedrängt.

Die Privatisierung führte dazu, dass zuvor subventionierte Güter wie Wasser oder Energie nach dem Aufkauf durch Konzerne für untere Einkommensschichten oftmals unerschwinglich werden. Der Wirtschaftsjournalist Ernst Wolff fasste die IWF-Politik wie folgt zusammen:
Strukturanpassungsprogramme begünstigen die großen internationalen Investoren und schaden der einheimischen Bevölkerung.