Emmanuel Macron
© Reuters / Christian HartmannAuf ihm ruhen die Hoffnungen vieler junger Wähler. Doch paradoxerweise auch die vieler führender Köpfe aus dem jetzigen Polit-Establishment in Frankreich und Europa: Emmanuel Macron.
Die Analysen der ersten Wahlrunde belegen, dass die Franzosen einen radikalen politischen Wandel wollen. Das etablierte Parteiensystem hat vorerst fertig. Macron soll diesen Wandel bringen. Doch die Reaktionen der Alteingesessenen lassen nichts Gutes erahnen.

"Ilsebill salzte nach" - eine Jury krönte diesen Satz 2007 zum schönsten ersten Satz in der deutschen Literatur. Der Satz steht am Beginn des Romans "Der Butt" von Günther Grass. Ausgangspunkt der Handlung ist das Märchen "Vom Fischer und seiner Frau" von Philipp Otto Runge. Nahezu märchenhaft ist auch der Aufstieg des politischen Jungstars Emmanuel Macron. Doch vermutlich würde der Einleitungssatz für einen darauf gemünzten Roman hier anders lauten. Ein Vorschlag wäre: Jean-Claude griff zum Telefonhörer.

So geschehen am Sonntagabend, als der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kurzerhand bei Emmanuel Macron anrief, um ihm zum Sieg in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen zu gratulieren. Lange galt in Brüssel die Regel, dass man sich aus Wahlen und Wahlkämpfen in Mitgliedsstaaten heraushält. Doch die Erleichterung muss groß gewesen sein bei Juncker. Macron repräsentiere die Werte, für die Europa stehe, ließ sein Sprecher verlauten. Es gehe um
die Wahl zwischen der Verteidigung dessen, wofür Europa steht, und einer anderen Option, die danach trachtet, Europa zu zerstören.
Starker Tobak. Eigentlich ist der Kommissionspräsident in solchen Angelegenheiten zur Unparteilichkeit verpflichtet. Doch der junge Hoffnungsträger Macron scheint für diejenigen, die in Europa ein "Weiter so" bevorzugen, der letzte Strohhalm zu sein. Auch die unterlegenen Kandidaten, Benoît Hamon von den Sozialisten und François Fillon von den Konservativen, sprachen sich noch während der Wahlnacht für Macron aus.


Kommentar: Um vor allem die Leute mit seinem "Charme" zu betäuben und dadurch noch mehr eliten-freundliche und menschenfeindliche "Reformen" durchdrücken zu können, mit möglichst wenig Widerstand? Man denke an das Beispiel Arbeitsmarkt-Reform im vergangenen Jahr.



Auch alle anderen Politiker der etablierten Parteien möchten nun Macron unterstützt sehen.
Einzige Ausnahme: Jean-Luc Mélenchon. Der überraschend knapp gescheiterte Kandidat der Linken gab keine Empfehlung ab und überlässt es seinen Wählern, zu entscheiden, wen sie nun unterstützen möchten.

Macron ist zwar der eindeutige Favorit für die zweite Wahlrunde, doch sein Image als Erneuerer kauft ihm nicht jeder ab. Er ist keineswegs ein Kaspar Hauser, der plötzlich aus dem Nichts auftauchte, sondern vielmehr ein Kind des französischen Politbetriebs. Er sagt von sich, dass er "weder rechts noch links" sei. Für kurze Zeit war Macron Mitglied der Sozialistischen Partei von Präsident Francois Hollande. Im Jahr 2009 trat er wieder aus der Partei aus und gründete anschließend die Bewegung "En Marche!", zu Deutsch in etwa "Auf dem Vormarsch!". "En Marche!" sieht sich als progressive sozialliberale Bewegung, ist aber keine Partei.

Doch um vernünftig regieren zu können, braucht Macron auch Parlamentssitze. Spätestens bei den Parlamentswahlen im Juni droht eine Pattsituation zwischen Präsident und Parlament. Auch der Front National, bisher nur zwei Sitze stark, könnte 40 Mandate holen, heißt es. Der 39-jährige Macron gibt sich als leidenschaftlicher, bekennender Europäer: "Ich habe Europa im Herzen", lautet einer seiner meistzitierten Wahlkampfsprüche.

Statt auf Konfrontationskurs mit der EU zu gehen, spricht er sich für eine Zusammenarbeit aus, auch und gerade mit Deutschland. Darüber hinaus verspricht er, die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit in Frankreich zum Mittelpunkt seiner Politik zu machen. Die Arbeitslosenquote in Frankreich legt bei fast zehn Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit gar bei annähernd 24 Prozent.

Um diese Probleme zu lösen, möchte Macron unter anderem Arbeitgeber bestrafen, die zu viele befristete Arbeitsverträge abschließen, sowie die großen Unterschiede zwischen Pensionen im öffentlichen Dienst und Renten in der Privatwirtschaft angleichen. Sollte sich Macron am 7. Mai durchsetzen, soll ein großer Teil seines Kabinetts aus Personen bestehen, die nicht aus der Politik kommen. Er kündigte eine "Erneuerung der Gesichter" an. Macron selbst hat zwar nie zuvor für ein politisches Mandat kandidiert, ist in der Politik und in der Wirtschaft aber keineswegs ein unbeschriebenes Blatt.

Der Sohn zweier Ärzte besuchte Eliteschulen und spielte Klavier. Nach dem Studium machte er schnell in der Wirtschaft Karriere. So war er bis 2012 gut bezahlter Investmentbanker im Traditionsbankhaus Rothschild & Cie. Danach holte ihn der glücklose Präsident François Hollande als Berater für Wirtschaft und Finanzen ins Kabinett. In dieser Funktion besuchte er auch zusammen mit dem Präsidenten das Bilderbergertreffen 2014 in Kopenhagen. Im Sommer 2014 machte ihn Hollande dann zum Wirtschaftsminister. Sehr schnell avancierte Macron zum beliebtesten Mitglied der französischen Regierung.


Kommentar: Die Bilderberg-Gruppe ist eine Elitenschmiede, der steile Aufstieg Macrons verwundert in dieser Hinsicht wenig.


Und schon in seiner Zeit als Wirtschaftsminister forderte er mehrfach einen gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzminister für die Europäische Union. Zudem setzt sich Macron dafür ein, dass die Eurozone ein eigenes Budget für Investitionen erhält. Auch plädierte er schon mehrfach für Eurobonds. Ob Berlin bei diesen Plänen allerdings einfach so mitspielen würde, ist mehr als zweifelhaft. Zuerst müsste sich Macron vor allem um das enorme Haushaltsdefizit Frankreichs kümmern - das wird schwer genug.

Macron ist mit der 24 Jahre älteren Brigitte Trogneux verheiratet. Trougneux war seine Französischlehrerin. Sie war offenbar von Macrons Gedichten, aber auch von seiner Persönlichkeit fasziniert und verließ für Macron ihren Mann. Seit 2007 sind Macron und Trougneux verheiratet. Doch so sehr Macrons Stern im Moment auch glänzt - es gibt nicht wenige, die in ihm eher einen Vertreter der Großfinanz sehen als den Mann, der Frankreich geschlossen in eine bessere Zukunft führt.

Das Misstrauen gegen die Finanzbranche ist in Frankreich stark ausgeprägt. Macron hat deswegen mit seiner Glaubwürdigkeit zu kämpfen. Er sagt zwar von sich, dass er "nicht 1.000 Euro am Tag" ausgäbe, aber den Stallgeruch des ehemaligen Bankers wird er nur schwer wieder los. Und ab und an bricht aus ihm doch wieder der Eliteschüler durch. Gewerkschaftlern, die ihn auf der Straße auf seine Maßanzüge ansprachen, entgegnete er:
Die beste Art, sich einen Anzug zu leisten, ist zu arbeiten.
Auch seine Sprache wirkt mitunter wie aus einem Seminar für Unternehmensberater. Auf seinen Ehrgeiz angesprochen, antwortet er gerne schon mal:
Sky is the limit.
Hinzukommt, dass er sich er sich der Unterstützung weiter Teile der Geldelite in Frankreich sicher sein kann. Zu seinen Unterstützern zählen unter anderem so gewichtige Unternehmer wie der milliardenschwere Internetpionier Xavier Niel, der auch gleichzeitig Großaktionär der linksliberalen Zeitung Le Monde ist. Einige der Manager von Macrons Wahlkampf stammen wiederum aus den Firmen des ebenfalls milliardenschweren Unternehmers Patrick Drahi.

Drahi besitzt auch Anteile am linksliberalen Blatt Libération sowie an den Zeitschriften L'Expresse und L'Expansion. Und last but not least: Auch der zehntreichste Mann der Welt, Bernard Arnault, wird zum Macron-Lager gezählt. Er gilt laut Presseberichten als Finanzier von Macron. Die Ehefrau Macrons war die Französischlehrerin seiner beiden Söhne Fédéric und Jean. So viel Nähe zu der Wirtschaft bietet natürlich eine Angriffsfläche für seine Gegner.

Es ist davon auszugehen, dass Marine Le Pen in den nun folgenden zwei Wochen vor der Stichwahl vor allem die Establishment-Karte im Zusammenhang mit Macron spielen wird. Die Programme der französischen Präsidentschaftsfinalisten unterscheiden sich insgesamt stark voneinander.

Hier ein Vergleich in einigen wichtigen Punkten:

EINWANDERUNG

Le Pen: Die Rechtskonservative will die Einwanderung drastisch einschränken und die Bedingungen für ein Asylrecht verschärfen. Wer illegal nach Frankreich kommt, soll keine Chance auf Legalisierung und Staatsbürgerschaft haben.

Macron: Er will lokale Integrationsprogramme schaffen. Am aktuellen Flüchtlingskurs will er festhalten. Asylanträge sollen in höchstens sechs Monaten bearbeitet werden.

EUROPA:

Le Pen: Sie will die Euro-Währung verlassen und raus aus dem Schengen-Raum für Reisen ohne Grenzkontrollen. Außerdem verspricht sie ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft Frankreichs.

Macron: Der Ex-Wirtschaftsminister will die Eurozone in einer engen Partnerschaft mit Deutschland reformieren. Die Eurozone soll einen eigenen Haushalt, ein Parlament und einen Finanzminister bekommen.

SICHERHEIT:

Le Pen: Ausweisung von ausländischen Straftätern und Menschen, die von Behörden als islamistische Gefährder eingestuft werden. Sie plant die Einstellung von 15.000 Polizisten und 40.000 neue Gefängnisplätze.

Macron: Er will 10.000 neue Polizisten einstellen und 15.000 Gefängnisplätze schaffen. Er will die Arbeit der Geheimdienste im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) bündeln.

WIRTSCHAFTS-, SOZIAL- UND FINANZPOLITIK:

Le Pen: Sie will zur Rente mit 60 statt 62 zurückkehren und weniger Steuern für Geringerverdiener. Produkte von Firmen, die Fabriken ins Ausland verlagern, sollen mit 35 Prozent besteuert werden.

Macron: Der Ex-Wirtschaftsminister will das Land wettbewerbsfähiger machen, 120.000 Stellen im öffentlichen Dienst abbauen und in fünf Jahren 60 Milliarden Euro einsparen.

(rt deutsch/dpa)