Tyrosin erhöht Denkleistung
Viele Studenten und Berufstätige, vereinzelt sogar schon Schüler, leiden unter enormem Leistungsdruck.
Sie greifen zu Aufputschmitteln, von denen Koffein noch das harmloseste ist. Viele haben sich längst mit verschreibungspflichtigen Psychopharmaka eingedeckt, um noch mehr und noch länger Leistung bringen zu können.
Gesund ist das natürlich nicht. Und da es Alternativen gibt, ist es auch nicht wirklich nötig.
Eine dieser Alternativen heisst Tyrosin.
Tyrosin (auch L-Tyrosin genannt) ist eine nichtessentielle Aminosäure, die in vielen Proteinen enthalten ist und im menschlichen Körper für die Herstellung von z. B. Thyroxin (Schilddrüsenhormon) oder Dopamin (Botenstoff im Gehirn) verwendet wird.
Dr. Lorenza Colzato von der niederländischen Universiteit Leiden und ihr Team haben herausgefunden, dass Tyrosin die Leistungsfähigkeit des Gehirns steigern kann. Ist nämlich viel Tyrosin vorhanden, dann kann auch viel Dopamin hergestellt werden - und Tyrosin pusht regelrecht die Dopaminbildung.
Tyrosin fördert Dopaminbildung
Dopamin ist ein Nervenbotenstoff und gehört zu jenen Hormonen, die allgemein auch als "Glückshormone" bezeichnet werden.
Ist die Dopaminbildung gesteigert, nehmen auch die Denkleistung, die Reaktionsschnelligkeit und die Konzentrationsfähigkeit zu - was Dr. Colzato und Kollegen an ihren Probanden ganz eindeutig beobachten konnten.
Sie bestellten 32 Testpersonen zweimal in ihr Labor. Beim ersten Mal bekamen die Teilnehmer Orangensaft zu trinken, dem zuvor Tyrosin hinzugefügt worden war. Statt des Tyrosins wurde dem Getränk beim zweiten Besuch im Labor ein Placebo zugesetzt.
Tyrosin macht kreativ
Beide Male mussten die Studienteilnehmer Rätsel lösen.
Einmal ging es darum, möglichst schnell viele verschiedene Lösungen für eine Frage zu finden, etwa: "Was alles kann man mit einem Stift machen?"
Die Probanden mussten jedoch auch lösungsorientiert denken, beispielsweise bei Fragen nach Zusammenhängen zwischen Wörtern, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun hatten.
Es stellte sich heraus, dass die Teilnehmer bessere Denkleistungen vollbringen konnten, wenn sie eine Extraportion Tyrosin im Körper hatten.
Tyrosin steigert Reaktionsfähigkeit
Dies war nicht die erste Studie, die Dr. Colzato zur Wirkung von Tyrosin durchführte. Einige Monate zuvor testete sie bereits mit der gleichen Methode, ob die Aminosäure die Reaktionsfähigkeit beeinflussen kann.
Statt Rätsel zu lösen, mussten die Teilnehmer dabei am Computer Reaktionstests absolvieren. Auch hier konnten die Forscher einen positiven Effekt durch das Tyrosin feststellen, es steigerte nämlich auch die Reaktionsfähigkeit der Teilnehmer (Video: Eating to Stop).
Besser durch die Prüfung mit Tyrosin
Dr. Colzato betont, dass sich jeder Mensch diese Ergebnisse ganz einfach zu Nutze machen kann. Eine Nahrungsergänzung mit Tyrosin sei ein gesunder und preisgünstiger Weg, die Denkleistung zu erhöhen.
Gerade auch bei Prüfungen könne man gezielt eine Extraportion Tyrosin einsetzen, um ein besseres Ergebnis zu erzielen - ganz legal und ohne gesundheitliche Risiken.
Besonders tyrosinreich sind auch manche Lebensmittel, wie z. B. Erdnüsse, Erbsen, Bio-Eier und Sojaprodukte.
Nichtsdestotrotz ist es schwierig, mit der normalen Ernährung genügend Tyrosin aufzunehmen, um die Denkleistung tatsächlich zu steigern. Daher empfiehlt sich im Ernstfall (Prüfung, Prüfungsvorbereitung u. ä.) die Einnahme eines Nahrungsergänzungsmittels mit Tyrosin.
Tyrosin wirkt jedoch nicht nur energiesteigernd, sondern auch stimmungsaufhellend. Zudem macht es stressresistenter, so dass es in allen Lebenslagen eingesetzt werden kann, die mit reichlich Stress und psychischer sowie körperlicher Belastung einhergehen - wie die Untersuchungen der US-Armee zeigen.
Tyrosin reduziert Stress
Eine Studie des U.S. Army Research Institute of Environmental Medicine belegte bereits 1989, dass die Aufnahme von Tyrosin in einer Dosis von 100 mg pro Kilogramm Körpergewicht die negativen Auswirkungen von Kälte und Sauerstoffmangel ausgleichen kann.
Normalerweise reagiert der menschliche Organismus auf diese Umweltfaktoren mit einer verminderten Denkleistung bei gleichzeitigen Verhaltensauffälligkeiten.
In der Army-Studie wurden die Teilnehmer viereinhalb Stunden lang Kälte und Sauerstoffmangel ausgesetzt. Zuvor hatten sie entweder eine Nahrungsergänzung mit Tyrosin oder ein Placebo erhalten.
Es zeigte sich, dass das Tyrosin Symptome wie Leistungsschwäche bei den Teilnehmern drastisch reduzierte.
Wie lässt sich diese Wirkung erklären?
Tyrosin ist die Vorstufe von Neurotransmittern, die das Gehirn leistungsfähig halten, wie z. B. Dopamin. Bei Kälte kann es zu einem Mangel dieser sogenannten Katecholaminen kommen. Die Einnahme von Tyrosin beugt jedoch einem Katecholamin-Mangel vor.
Tyrosin macht stress-resistent
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine weitere US-Studie. Hier mussten acht männliche Teilnehmer eine halbe Stunde lang am Computer Aufgaben lösen. Die Umgebungstemperatur lag dabei entweder bei vier oder bei zweiundzwanzig Grad Celsius.
Die Teilnehmer schnitten bedeutend schlechter ab, wenn sie sich in einer kalten Umgebung aufhielten.
Die Einnahme von Tyrosin konnte diesen Effekt der Kälte jedoch ausgleichen. Nach der Einnahme einer tyrosinhaltigen Nahrungsergänzung glichen sich die Ergebnisse der Studienteilnehmer in der kalten Umgebung denen der anderen in der warmen Umgebung an.
Tyrosin hält das Gehirn leistungsfähig
Im Jahr 2007 führte das US-amerikanische Militär erneut eine Studie zur Wirkung von Tyrosin auf die geistige Leistungsfähigkeit durch.
Diesmal mussten neunzehn Testpersonen zweimal jeweils eineinhalb Stunden lang tauchen und dabei Aufgaben erfüllen. Die Wassertemperatur lag entweder bei 35 oder nur bei 10 Grad.
Vor jedem Durchgang bekamen die Probanden ein Placebo oder 150 mg Tyrosin pro Kilogramm Körpergewicht verabreicht.
Die Placebo-Studienteilnehmer, die ins kalte Wasser mussten, empfanden nicht nur subjektiv mehr Stress. Sie hatten auch erhöhte Stresshormon, also Cortisolwerte.
Ausserdem schnitten sie bei den Aufgaben schlechter ab und wiesen eine eingeschränkte Reaktionsfähigkeit auf.
Hatten die Studienteilnehmer vor ihrem Tauchgang ins 10 Grad kalte Wasser jedoch Tyrosin zu sich genommen, unterschieden sich ihre Leistungen nicht von denen der Teilnehmer im warmen Wasser.
Körperlich leistungsfähiger mit Tyrosin
Die U.S. Army untersuchte überdies, ob Tyrosin auch die körperliche Leistungsfähigkeit erhöhen kann.
Zu diesem Zweck absolvierten die 15 Studienteilnehmer drei Tests, jeweils mit einer Woche Abstand. Nach einem Wasserbad und der Einnahme von Tyrosin oder einem Placebo mussten die Testpersonen erst Denkaufgaben lösen und sich dann am Schiessstand beweisen.
Beim ersten Mal war das Wasser 35 Grad warm, beim zweiten und dritten Mal war es jedoch kalt. Die Körpertemperatur der Teilnehmer nahm durch das kalte Wasser um durchschnittlich 1,6 Grad ab.
Hatten sie ein Placebo erhalten, schnitten die Teilnehmer durch die geringere Körpertemperatur bei den Denktests um achtzehn, beim Schiesstest um vierzehn Prozent schlechter ab als nach dem warmen Bad.
Wenn die Teilnehmer jedoch Tyrosin erhalten hatten, hatte die Kälte keinerlei Auswirkungen auf ihre Ergebnisse bei den Denk- bzw. Schiesstests.
All das klingt fast unglaublich und verleitet zur Annahme, Tyrosin könnte vielleicht doch eine Art Droge sein...
Tyrosin-Wirkung vergleichbar mit Speed?
Forscher des US-amerikanischen Pennington Biomedical Research Center verglichen im Jahr 2003 die Wirkung verschiedener Aufputschmittel auf die Denkleistung nach Schlafentzug.
Die Teilnehmer erhielten entweder Tyrosin (150mg/kg Körpergewicht), Koffein, (300 mg/70 kg Körpergewicht), das Psychostimulans Phentermin oder D-Amphetamin. Letzteres ist Bestandteil der Droge "Speed".
Der Schlafentzug setzte die Denkleistung der Teilnehmer in zahlreichen Bereichen merklich herab.
Doch konnten alle genannten Substanzen das Abschneiden der Teilnehmer trotz Schlafentzugs verbessern, auch Tyrosin.
Zwar wirkte Tyrosin nicht ganz so effektiv wie der Speed-Stoff D-Amphetamin - dafür ist die Einnahme von Tyrosin deutlich ungefährlicher.
Schlafentzug kommt natürlich nicht nur im Versuchslabor vor, sondern auch im Alltag vieler Menschen:
Tyrosin bei Nachtschicht
In vielen Berufen ist Nachtarbeit notwendig. Dazu gehört längst nicht mehr nur die Arbeit im Krankenhaus oder an der Hotelrezeption. Auch in zahlreichen Büros wird von den Mitarbeitern erwartet, dass diese bei Bedarf eine oder mehrere Nachtschichten einlegen.
Das bedeutet ein immenses Mass an Stress für den Körper. Besonders wenn man bedenkt, dass die meisten Menschen, die nachts arbeiten, tagsüber auch nicht schlafen, sondern einkaufen gehen, den Haushalt erledigen und sich um die Kinder kümmern.
Die daraus resultierende Übermüdung führt wiederum zu einem Leistungsabfall bei der Arbeit.
Wissenschaftler des Naval Aerospace Medical Research Laboratory aus den USA haben jedoch festgestellt, dass Tyrosin die Leistungsfähigkeit von Menschen, die nachts arbeiten, zumindest zeitlich begrenzt erhöhen kann.
Um das festzustellen, liessen sie die Studienteilnehmer zwischen 19.30 und 08.20 Uhr insgesamt neunmal Aufgaben lösen. Da die Testpersonen tagsüber auch nicht geschlafen hatten, waren sie gegen Ende der Versuchsreihe länger als vierundzwanzig Stunden wach gewesen.
Sechs Stunden nach Beginn des Experiments bekam die eine Hälfte der Teilnehmer ein Placebo, die andere Hälfte Tyrosin (150 mg/kg Körpergewicht) verabreicht. Immerhin drei Stunden lang waren die Personen der Tyrosin-Gruppe leistungsfähiger und wiesen eine geringere Fehlerquote auf.
Tyrosin senkt Blutdruck bei Stress
Bei einer Studie der niederländischen Vrije Universiteit stellte sich heraus, dass Tyrosin bei Stress sogar kurzfristig den Blutdruck senkt.
Sechzehn gesunde junge Teilnehmer mussten zweimal kognitive Tests absolvieren.
Die Aufgaben waren bei Stress schwieriger zu lösen, und während die Testpersonen sie lösten, waren sie Lärm von 90 Dezibel ausgesetzt.
Zum Vergleich: In der Diskothek ist man - 1 Meter vom Lautsprecher entfernt - einem Lärm von 100 Dezibel ausgesetzt.
Tyrosin liess die Teilnehmer nicht nur besonders stresssensible Aufgaben besser lösen, sondern senkte, wenn auch nur kurzfristig, zusätzlich den Blutdruck.
Gehirnleistung natürlich steigern
Wer also kurzfristig seine Leistung auf gesunde Weise steigern möchte, sollte besser auf eine Aminosäure (L-Tyrosin) zurückgreifen und Psychopharmaka links liegen lassen.
Natürlich haben auch die Vitaminversorgung und die Darmflora entscheidenden Einfluss auf die Denkleistung. Mehr dazu lesen Sie in unserem Artikel Steigern Sie die Leistungsfähigkeit Ihres Gehirns.
Quellen:
- Dr. Lorenza Colzato et al., "Food for creativity: tyrosine promotes deep thinking", Psycholocigal Research, September 2014, ("Lebensmittel für die Kreativität: Tyrosin fördert Denkleistung") (Studie als PDF)
- Dr. Lorenza Colzato et al., "Eating to stop: Tyrosine supplementation enhances inhibitory control but not response execution", Neuropsychologia, Februar 2014, ("Essen zum Stoppen: Tyrosinsupplementation steigert inhibitorische Kontrolle, aber nicht die Antwortexekution") (Studie als PDF)
- Banderet, L. E., et al., "Treatment with tyrosine, a neurotransmitter precursor, reduces environmental stress in humans", Brain Res Bull. 1989 Apr;22(4), S. 759 - 62. ("Behandlung mit Tyrosin, der Vorstufe eines Neurotransmitters, reduziert Umweltstress bei Menschen) (Studie als PDF)
- Shurtleff, D., et al., "Tyrosine reverses a cold-induced working memory deficit in humans", Pharmacology Biochemistry and Behavior, Volume 47, Issue 4, April 1994, S. 935 - 94., ("Tyrosin kehrt kälteinduziertes Arbeitsgedächtnisdefizit bei Menschen um) (Studie als PDF)
- Mahoney, C. R., "Tyrosine supplementation mitigates working memory decrements during cold exposure", Physiology & Behavior, Volume 92, Issue 4, 23 November 2007, S. 575 - 582., ("Tyrosinsupplementierung minimiert Abnahme von Arbeitsgedächtnis bei Kälteexposition") (Studie als PDF)
- O’Brien, C., "Dietary tyrosine benefits cognitive and psychomotor performance during body cooling", Physiol Behav. 2007 Feb 28;90(2-3), S. 301 - 07., ("Nahrungstyrosin erhöht kognitive und psychomotorische Leistung nach Absinken der Körpertemperatur") (Studie als PDF)
- Magill, R. A., et al., "Effects of Tyrosine, Phentermine, Caffeine d-amphetamine, and Placebo on Cognitive and Motor Performance Deficits During Sleep Deprivation", Prev Next, Volume 6 Issue 4 (01 January 2003), S. 237 - 246., ("Wirkung von Tyrosin, Phentermin, Coffein, D-Amphetamin und Placebo auf cognitive und motorische Leistungsdefizite durch Schlafentzug") (Studie als PDF)
- Neri, D. F., et al., "The effects of tyrosine on cognitive performance during extended wakefulness", Aviation, Space, and Environmental Medicine, Vol 66(4), Apr 1995, S. 313 - 319., ("Wirkung von Tyrosin auf die kognitive Leistung während verlängertem Wachheitszustand") (Studie als PDF)
- Deijen, J. B., et al., "Effect of tyrosine on cognitive function and blood pressure under stress", Brain Research Bulletin, Volume 33, Issue 3, 1994, S. 319 - 323., ("Wirkung von Tyrosin auf kognitive Leistung und Blutdruck bei Stress") (Studie als PDF)
- Deijen, J. B., et al., "Tyrosine improves cognitive performance and reduces blood pressure in cadets after one week of a combat training course", Brain Research Bulletin, Volume 48, Issue 2, 15 January 1999, S. 203 - 209., ("Tyrosin verbessert kognitive Leistungsfähigkeit und reduziert den Blutdruck bei Kadetten nach einer Woche Gefechtstraining") (Studie als PDF)
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