Als Halluzination gelten Sinneswahrnehmungen (vornehmlich akustischer oder visueller Natur), die ohne einen Stimulus bzw. Reiz entstehen. Um herauszufinden, warum, Halluzinationen dennoch auftreten, haben Psychologen Probanden einem Experiment unterzogen, um die neuro-psychologischen Hintergründe für Halluzinationen und mögliche Zusammenhänge mit Psychosen zu erforschen.
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© sciencemag.orgInfografik zum Experiment
New Haven (USA) - "Zunächst einmal müssen wir uns verdeutlichen, was unsere Wahrnehmung überhaupt ist", erläutern die Autoren der aktuell im Fachjournal "Science" (DOI: 10.1126/science.aan3458) veröffentlichten Studie um Albert Powers von der Yale University. "Für gewöhnlich stellen wir uns Wahrnehmung (von Tönen oder Bildern) als einen passiven Prozess vor: Ein Reiz trifft auf unsere Sinnesorgane (Auge, Ohr usw.) und wird hier empfangen. Tatsächlich ist unsere Wahrnehmung sehr viel eher mit unserer Mutmaßung davon zu vergleichen, was uns umgibt und was wir zu erwarten haben. Dadurch ist unsere Wahrnehmung natürlich auch das Ergebnis der eingegebenen Reize, aber eben auch dessen, was wir vorab glauben und erwarten."

Unter vielen Wissenschaftlern ist die Vorstellung verbreitet, dass Halluzinationen insbesondere dann auftreten, wenn starke Vor-stellungen ein Ungleichgewicht gegenüber den tatsächlichen sensorischen Reizen erzeugen.

Um genau diese Theorie zu überprüfen, entwickelten die Wissenschaftler um Powers ein Computerspiel, dass auditive (also hörbare) Halluzinationen erzeugen soll und setzte verschiedene Probandengruppen dieser Spielsituation aus. Zugleich untersuchten die Forscher die Auswirkungen auf die Hirnmuster und das Verhalten der Probanden.

In Anlehnung an das bekannte Pawloffsche-Experiment, in dem Wissenschaftler einem Hund antrainierten einen Futter mit eines bestimmten Ton zu assoziieren, trainiert bzw. konditioniert das Spiel sozusagen den Spieler darauf, einen bestimmten visuellen Eindruck (Stimulus) mit einem Ton zu assoziieren: Immer dann, wenn auf dem Bildschirm ein Schachbrettmuster angezeigt wird, geht dieses zunächst mit einem Tonsignal einher, dessen Wahrnehmung sie durch das unterschiedlich lange Drücken einer Taste bestätigen müssen, abhängig davon, wie sicher sie sich waren, den Ton gehört zu haben. "Je länger ein Spieler dieses Spiel spielt, desto stärker assoziiert er das Bild mit dem Ton", so die Forscher. "Die Spieler hören mit der Zeit den das Schachbrett begleitenden Ton, auch wenn dieser Ton überhaupt nicht gespielt wird." Im Falle also, dass ein Spieler den Knopf betätigte (und damit erklärte einen Ton zu hören) ohne, dass der Ton tatsächlich zu hören war, bezeichneten die Forscher dies als (auditive) Halluzination.

Insgesamt untersuchten die Wissenschaftler vier Probandengruppen: Eine Kontrollgruppe, die keine medizinische Historie mit Halluzinationen und Psychosen aufwies. Eine Gruppe von Personen mit täglichen Halluzinationen, aber ohne diagnostizierte Psychose. Eine weitere Gruppe ohne Halluzinationen, dafür aber mit (mindestens einer) Psychose und eine vierte Gruppe aus Menschen, die täglich Halluzinationen erleben und zugleich an diagnostizierte Psychosen leiden.

Das Ergebnis zeigte, dass alle Teilnehmer, ganz gleich welcher Gruppe zugehörig, während des Spiels die sog. konditionierten Halluzinationen erfuhren. Am anfälligsten für diese auditiven Halluzinationen waren allerdings Mitglieder jener beiden Gruppen, die bereits "Stimmen hörten". Diese Personen waren auch am meisten überzeugt davon, tatsächlich Töne gehört zu haben, wo gar keine waren.

Anhand von Hirnscans während des Spiels konnten die Forscher sehen, welche Hirnregionen aktiviert wurden, wenn diese Halluzinationen auftraten.

Tatsächlich zeigen die Daten, dass Halluzinierende ihre Glaubensvorstellungen und Erwartungen übergewichten, was sich in gesteigerten Aktivitäten in Hirnarealen widerspiegelte, die mit dem Wahrnehmungsglauben assoziiert werden.

Die an Psychosen leidenden Gruppen waren hinzu in geringerem Maße dazu in der Lage, ihre Vorstellungen der Realität anzupassen, was sich in geringeren Aktivitäten im Kleinhirn abzeichnete, das normalerweise als "Wachposten gegen fehlerhafte Wahrnehmungen" agiert. Auch die Aktivitäten des Hippocampus, in dem normalerweise Sinnesreize mit Erinnerungen und Erfahrungen abgeglichen und das unserer Vorannahmen gegenprüft, unterschieden sich bei gesunden und psychotischen Porbanden.

Darauf basierend sagte das verwendete Modell voraus, dass zwar auch Spieler ohne Psychosen zunächst einen starken Glauben daran entwickeln würden, dass mit der Schachbrettanzeige automatisch auch ein Ton einhergehen wird, dass sie jedoch im weiteren Spielverlauf bemerken, dass mit steigender Spieldauer immer weniger tatsächliche Töne das Schachbrettmuster begleiten und sie ihre Reaktionen entsprechend anpassen würden. Der Grund hierfür läge dann in dem Umstand, dass diese Spieler sehr viel leichter in der Lage sind, ihre Glaubensvorstellungen der Realität anzupassen. Tatsächlich bestätigen die Spielergebnisse diese Vorhersage, während die Spieler mit Psychosen sichtlich Schwierigkeiten damit hatten, sich anzupassen.

In nächsten Schritten wollen die Forscher ihre Experimente nun noch auf deutlich größere Probandengruppen ausweiten und computergenerierte Taktiken anwenden, um noch besser zwischen "Stimmenhörern" mit und ohne Psychosen unterscheiden zu können. Von den Ergebnissen erhoffen sich die Autoren ein System zur Früherkennung und Behandlung von potentiellen Psychosen bei Personen entwickeln zu können, die Stimmen hören.