Martin Schulz kritisiert die Kanzlerin, weil sie im Wahlkampf Bundeswehr-Flieger zu günstigen Konditionen nutzt. Als EU-Parlamentspräsident nahm er es nach SPIEGEL-Informationen mit der Trennung von Amt und Parteiarbeit nicht so genau.
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© Maurice Weiss/ OSTKREUZ
Am Montag, dem 9. Februar 2015, lagen im Straßburger Europaparlament nicht wirklich dringende Geschäfte an. Ein paar Rechtsakte galt es in den nächsten Tagen zu unterzeichnen, einige Anfragen an die Verwaltung zu stellen. Parlamentspräsident Martin Schulz allerdings empfand das Routinegeschäft offenbar als so wichtig, dass er es keinesfalls einem seiner 14 Stellvertreter überlassen wollte.

Er flog eigens aus Berlin ein, an Bord einer Chartermaschine, die die EU-Kommission für ihren Behördenchef Jean-Claude Juncker angemietet hatte - auf Kosten der Steuerzahler. (Diese Meldung stammt aus dem SPIEGEL. Den neuen SPIEGEL finden Sie hier.)

Die beiden Männerfreunde kamen von der Jahresauftaktklausur des SPD-Parteivorstandes im brandenburgischen Nauen, Juncker war dort als Gastredner, Schulz als SPD-Vorstandsmitglied. Europas Steuerzahler kostete der Flug vom Parteitermin mehr als 1000 Euro, allein für Schulz.

Schulz' Flüge beschäftigen die Haushälter im EU-Parlament seit Jahren. Immer wieder mussten sie bei ihren Recherchen feststellen, dass der Sozialdemokrat es mit der Trennung von Parteiarbeit und Amt des Parlamentspräsidenten nicht so genau nahm. Umso überraschter sind Schulz' ehemalige Kollegen in Brüssel nun, dass ausgerechnet er Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vorwirft, "abgehoben" zu sein, weil sie im Wahlkampf zu günstigen Konditionen auf die Flugbereitschaft der Bundeswehr zurückgreift.

Schulz' Hang zur Vielfliegerei auf Steuerzahlerkosten war auch im Europawahlkampf im EU-Parlament über Parteigrenzen hinweg ständiges Thema. So musste er sich im Entlastungsbericht für den Haushalt 2014, dem Jahr der Europawahl, unter Ziffer 34 den Vorwurf gefallen lassen, er sei als Parlamentspräsident "meist zu staatlichen und offiziellen Einrichtungen bei sozialistischen Parteien und Organisationen" gereist.

Zwei Monate vor dem Wahltermin Ende Mai 2014 jettete Schulz beispielsweise auf Steuerzahlerkosten zum sozialistischen Bürgermeister von Rom und gab großzügig Interviews als Spitzenkandidat der Sozialdemokraten. Noch im April machte er dem sozialistischen Premier Tschechiens seine Aufwartung, inklusive Auftritt bei einem Partei-Event, wie Schulz' Reiseplan vermerkt.

Auch bei seinen regulären Amtsgeschäften zögerte Schulz nicht, notfalls auf teure Chartermaschinen zurückzugreifen. Diese Flugzeuge können EU-Institutionen auf Grundlage eines Rahmenvertrages mit privaten Lufttaxi-Anbietern nutzen. Sie stehen zu marktüblichen Preisen ähnlich flexibel zur Verfügung wie die Flugbereitschaft der Bundeswehr. Üblich ist das jedoch nicht, die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini etwa fliegt fast immer Linie.

Insgesamt nahm Schulz in den Jahren 2012 bis Anfang 2017 mindestens 21 Mal Privatflüge in Anspruch, fanden die Prüfer des EU-Parlaments heraus. Die Kosten beliefen sich nach Aussage des Parlaments auf über 36.000 Euro.

2890 Euro für einen Talkshow-Trip?

Am 5. Mai 2015 etwa flog Schulz von Brüssel nach Hamburg, eine Strecke, auf der es auch reguläre Verbindungen gibt. Kurz vor dem 70. Jahrestag des Kriegsendes warb der Präsident in der Talkshow von Markus Lanz für die europäische Sache. Kostenpunkt für ihn und seinen Begleiter: 2890 Euro pro Ticket. Die regulären Flüge, so erklärte Schulz den EU-Haushältern, hätten nicht zu seinem Terminkalender gepasst.

Offensichtlich war Schulz sich der Probleme, die seine Reisen und die mögliche Verquickung von Partei- und Präsidentenamt vor allem im Jahr der Europawahl 2014 aufwarfen, nur allzu bewusst. Eine Rüge im Entlastungsbericht des EU-Parlaments für das Jahr der Europawahl wurde im Mai 2016 nach zähen Verhandlungen immerhin etwas entschärft, auf Schulz' Bitten musste sogar Kommissionschef Juncker intervenieren, um dem Parlamentspräsident zu helfen.

Wie Merkel flog auch Schulz in der Regel nicht allein, mindestens ein Beamter war stets dabei, beim Charterflug zur Verleihung des Karlspreises an Papst Franziskus im Mai 2016 durften gleich mehrere enge Mitarbeiter mit in den Vatikan. Er finde nichts Anstößiges daran, Beamte an seiner Seite zu haben, beschied Schulz die EU-Haushälter. Die Begleitung auf Reisen sei nötig, "um meine ständige Erreichbarkeit in Angelegenheiten, die die Angelegenheiten der Verwaltung betreffen, sicherzuzustellen", schrieb Schulz in einer Mail vom 21. Januar 2016.

Nicht anders argumentiert die von ihm attackierte Kanzlerin nun auch.

Auf Anfrage ließ Schulz mitteilen, dass all seine Flüge durch seine Funktion als Parlamentspräsident veranlasst waren.