KZ-Überlebende
© Stadtarchiv Neubrandenburg
Das Schicksal vieler Frauen im Konzentrationslager (KZ) Ravensbrück und seiner Außenstellen ist immer noch ein Rätsel. Jetzt wurden dank des Stadtarchivs Neubrandenburg 83 Zwangsarbeiterinnen identifiziert - darunter Frauen aus Russland, der Ukraine und Polen. Der Zufall half dabei mit.

In der ersten Septemberhälfte besuchte eine betagte Frau aus Polen gemeinsam mit ihrem Enkel die KZ-Gedenkstätte Neubrandenburg. Ihr Leben lang trieb die 82-Jährige eine Frage an: Wo ist meine Mutter? Sie war 1940 vor den Augen der damals fünfjährigen von den deutschen Faschisten verhaftet worden und danach verschleppt. Seit damals war die Polin auf der Suche nach ihr.

In Neubrandenburg befand sich in der Zeit des Faschismus die größte Außenstelle des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück. Eleonore Wolf, Leiterin des Stadtarchivs Neubrandenburg, dazu: "Hier waren bis zu 6.000 Zwangsarbeiterinnen hinter Stacheldraht eingesperrt. Sie mussten in der Rüstungsindustrie schuften und Flugzeugteile und Bombenabwurfgeräte fertigen." Das Lager sei extra für Rüstungsunternehmen vor den Toren der Stadt Neubrandenburg gebaut worden.

"Vernichtung durch Arbeit"

"Das Ganze lief unter dem Motto 'Vernichtung durch Arbeit'", erinnerte die Archivarin. "Es gab keine Erschießungskommandos. Sie ließen die Frauen so lange arbeiten, bis sie umfielen." Die Leichen brachten die Nazis ins KZ Ravensbrück zurück. Dort wurden sie laut Wolf verbrannt. Doch im Winter 1944/45 sei das Benzin knapp geworden. "Da wurden die Frauen nicht mehr nach Ravensbrück transportiert, sondern in Neubrandenburg unterhalb des neuen Friedhofs bestattet."

An der Gedenkstätte seien anonyme Kreuze aufgestellt worden, da diese Frauen namentlich nicht bekannt waren. Bis in der ersten Septemberhälfte einem Mitarbeiter des Stadtarchivs bei einer Internetrecherche der Zufall in die Hände spielte. Auf der Homepage der schwedischen Universität Lund stieß er auf eine Namensliste. Kurz vor Kriegsende hatte die SS einige Gefangene des KZ Ravensbrück und aus Neubrandenburg nach Schweden ausreisen lassen, darunter eine polnische Krankenschwester. "Sie hat die Namen aller Frauen, die zwischen Januar und April 1945 in den Lagern starben, in ihrem Tagebuch vermerkt", berichtete Historikerin Wolf.

Ende einer Suche

Insgesamt 83 Namen - darunter der Name Maria Ratajczak, die Mutter der Polin, die vergangene Woche mit ihrem Enkel die Gedenkstätte Neubrandenburg besuchte. "Wir konnten ihr sagen, dass ihre Mutter nicht in Ravensbrück verbrannt wurde, sondern dass ihre Gebeine in Neubrandenburg vergraben sind. Man hat die Rührung gespürt, was diese Information für diese Frau bedeutet. Es war ein Gänsehautmoment, bei dem man auch mit den Tränen kämpfen musste."

Die Universität Lund hat die Namensliste aus dem Tagebuch der Krankenschwester im Internet veröffentlicht. Etliche Frauen, die aus den Lagern nach Schweden kamen, wurden von der Universität zu den Namen befragt. Nach Angaben des Stadtarchivs sind unter den identifizierten Frauen 50 Polinnen, 23 Französinnen und neun Russinnen. Andere kommen aus der Ukraine, Italien, Belgien und Tschechien. Laut Wolf werden diese Gesprächsprotokolle weiter ausgewertet.

Wegen Konkurrenz ins KZ

Zu den Gründen, warum die Mutter der heute 82-jährigen Polin im Konzentrationslager war, berichtete die Historikerin aus Neubrandenburg: "Sie hat es mir erzählt: Ihre Eltern hatten einen Laden in ihrem Dorf. Es gab einen zweiten Laden, den Deutsche betrieben. Sie sagte: 'Unsere Leute hatten einfach günstigere Preise.' Es gab keine politische Untergrundarbeit oder so etwas. Manchmal ist man einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Mutter starb am 14. April 1945 in der KZ-Außenstelle Neubrandenburg."