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Urwald in Europa? Wälder, in denen noch nie eine Säge kreischte? In denen die Natur sich im Laufe der Jahrhunderte ungestört entwickelte? Es gibt sie, nicht nur im Amazonas, sondern auch bei uns in Europa.

Naturschützer schätzen die unberührten Reste nacheiszeitlicher Wälder auf wenige 10 000 Hektar innerhalb der Europäischen Union. Sie stehen in Rumänien und in Polen an der Grenze zu Weißrussland.

Doch mit dieser Idylle könnte es bald vorbei sein. Im polnischen Nationalpark Bialowieza und in den rumänischen Karpaten rücken die Holzfäller an (Bild). Rücksichtslose Holzunternehmer beuten die Wälder aus. Mit riesigen Maschinen fahren Holzfäller in die Urwälder hinein und rauben, was bis dahin unberührte Natur war.

Sie tun das mit staatlicher Rückendeckung. Aber sie handeln auch gegen das Veto der EU-Behörden und des Europäischen Gerichtshofs sowie gegen den massiven Protest von Bürgern und Naturschutz­organisationen.

"Da werden Europas letzte große Buchenurwälder offenbar mit Billigung der Regierung verwüstet", sagt Hans Knapp, Präsidiumsmitglied bei der Organisation Euronatur nach einem Besuch in den Karpaten. "Die Urwaldzerstörung in Rumänien ist derzeit Europas größtes Naturschutzproblem." (Die geheimen Zeichen der Natur lesen - in der Wildnis orientieren, Wasser finden, Spuren lesen)

Trotz Schutz-Status wird abgeholzt

Dabei zählen beide Wälder zum Unesco-Welterbe. Der Bialowieza-Urwald besitzt zusammen mit dem ungleich größeren Teil auf weißrussischer Seite diesen Status als "unersetzliches Erbe der Erde" bereits seit 1979. Die rumänischen Urwälder wurden hingegen erst in diesem Sommer als Teil des transnationalen Welterbes "Buchenurwälder und alte Buchenwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas" erklärt.

Beide Gebiete sind aber eigentlich auch nach europäischem Recht bestens geschützt: Sowohl Bialowieza als auch die rumänischen Karpaten sind Teil des EU-Netzwerks Natura 2000 und unterliegen somit einem "Verschlechterungsverbot".

Sie müssen also qua europäischer Gesetzgebung erhalten bleiben. Was jedoch nur noch unvollständig geschieht.

Der rumänische Waldschützer Gabriel Paun, ein eher ruhiger, besonnen auftretender Mensch, kämpft mit seiner Organisation Agent Green seit Jahren gegen den Raubbau. Dafür musste er sogar schon Prügel einstecken.

Vor einem Sägewerk, das zur österreichischen Schweighofer-Gruppe gehört, attackierten ihn Wachleute mit Pfefferspray und Schlägen. Der Waldschützer war einem Verdacht nachgegangen, demzufolge der Transport ins Sägewerk aus illegalem Einschlag stammte.

Das hatte ihm sogar das Umweltministerium bestätigt. Denn in Rumänien besteht ein System zur Dokumentation der Holznutzung: Man kann beim Wood-Tracker-Telefon des Ministeriums anrufen und dort feststellen lassen, ob ein Transport legale oder illegale Ware geladen hat.

Das System, das zur Kontrolle gegen die illegale Holznutzung eingeführt wurde, verhindert aber letztlich den unerlaubten Holzeinschlag nicht. Der Aktivist macht die Korruption im Lande dafür verantwortlich, dass sich dieser Hebel nicht gegen den Raubbau verwenden lässt und die Behörden stillhalten.

Also intervenieren die Naturschützer eigenhändig: So gelang es ihnen etwa in 2015, den Urwald "Cosava Mica" im Semenic-Gebirge zu retten. Sie erreichten, dass dort für zehn Jahre kein Holz entnommen werden darf.

Illegales Holz auch in Deutschland?

Paun versuchte auch herauszubekommen, was mit dem Holz der geschützten Wälder, egal ob legal oder illegal geschlagen, passiert: Demnach ist nicht ausgeschlossen, dass der Rohstoff auch nach Deutschland kommt und hier als Grillkohle oder Pellets verfeuert wird.

Wo das Holz genau landet, kann man aber mit Gewissheit nicht sagen. "Das Holz wird über verschiedene Zwischendepots transportiert und dann in große Sägewerke gebracht, sodass sich die Lieferketten nur eingeschränkt nachvollziehen lassen", sagt Gabriel Schwaderer, Geschäftsführer der Organisation Euronatur, die eng mit Paun zusammenarbeitet.

Immerhin behaupte die im Fokus stehende Firma Schweighofer von sich, "dass sie seit rund zwei Jahren kein Holz mehr aus Nationalparken kauft", sagt Schwaderer. "Die meisten anderen Firmen lehnen solche Selbstverpflichtungen bisher ab."

Dass der Titel Welterbe keinen automatischen Schutz garantiert, das zeigt sich auch in Bialowieza. Während in Weißrussland nahezu die gesamte Fläche des Welterbes als Nationalpark geschützt ist, wies Polen nur ein Viertel als unantastbare Kernzone aus. Um dieses Herzstück herum aber wird nun munter Holz gemacht, dabei haben Pufferzonen einen ökologischen Sinn.

Die offizielle Begründung für die Abholzungen des polnischen Umweltministers Jan Szyszko lautet: Es handle sich um "Schutzmaßnahmen". Man müsse den Buchdrucker, eine nur Nadelholz befallende Borkenkäferart, bekämpfen.

Naturschützer können diese Begründung nicht nachvollziehen, denn Bialowieza ist vor allem wegen seiner steinalten Eichen- und der Eschenwälder bekannt - also Laubbäumen. Sie halten das Holzmachen für reines Kassemachen.

Naturschützer protestierten den ganzen Sommer mit Blockaden der Holzarbeiten - bisher ohne Erfolg. Selbst der eindringliche Appell der Unesco, Bialowieza zu verschonen, verhallte. Die Regierung ignorierte ebenso die ultimative Aufforderung der EU-Kommission, sich an das geltende europäische Recht zu halten und den großflächigen Einschlag in dem Natura-2000-Gebiet zu unterbinden.

Die rechtskonservative polnische Regierung schlug ebenso eine Anordnung des Europäischen Gerichtshofs in den Wind. Ungewöhnlich konkret hatte sich die oberste juristische Instanz in die Tagespolitik eingemischt und einen sofortigen Abholzungsstopp verlangt.

Polen zu 100.000 Euro Zwangsgeld pro Tag verpflichtet

Der Europäische Gerichtshof hat Polen zu täglichen Zahlungen von mindestens 100.000 Euro wegen Abholzungen im Białowieża-Urwald verpflichtet. Der Wald gilt als einer der letzten Urwälder Europas. Warschau muss die Zahlungen leisten, solange es mit den Holzeinschlägen nicht aufhört.

"Polen muss sofort seine aktive Forstnutzung im Białowieża-Urwald stoppen. Ausnahmen sind Fälle, in denen dies für die öffentliche Sicherheit notwendig ist", heißt es im Gerichtsbeschluss.

Polen hatte mit den Abholzungen im Frühling 2016 begonnen. Nach Plänen der polnischen Regierung sollen bis zum Jahr 2023 insgesamt 188.000 Kubikmeter Holz eingeschlagen werden. Dabei versicherte Warschau, der Holzeinschlag werde das Schutzgebiet nicht betreffen.

Hintergrund: Was ist ein Urwald?

Als Urwälder werden Wald­ökosysteme bezeichnet, die niemals durch menschliche Eingriffe verändert wurden. Urwälder haben seit ihrem Entstehen nach der letzten Eiszeit, die vor rund 12 000 Jahren endete, eine ununterbrochene, natürliche Entwicklung durchlaufen.

Die Bäume sind teils mehr als 500 Jahre alt. Viele "Urwald-Arten" wie seltene Käfer, Vögel, Pilze, Flechten oder Bodenorganismen haben hier ihre letzten Überlebensinseln (Naturentfremdung: Kinder kommen immer weniger ins Grüne).

Allein im Bialowieza-Urwald, weiß Jaroslaw Krogulec, Naturschutzexperte beim polnischen Vogelschutzverband OTOP, leben mehr als 180 Vogel- und mehr als 5000 Pflanzenarten sowie 58 Säugetierarten, darunter der europäische Bison, der Wisent.