Nach wie vor wird darüber debattiert, wie es um die Ölpreise in der Zukunft bestellt sein wird. Die Preise zeigen ein Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot.
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© Reuters / Jean-Paul Pelissier
Die Abnehmer lassen sich vom Wunsch leiten, ihre Speicher mit billigem Öl zu füllen, doch bei den aktuellen Preisen können viele Produzenten selbst kurzfristige Betriebskosten nicht einmal abdecken.

Die Einschätzungen zum Rückgang der globalen Nachfrage unterscheiden sich stark. Noch vor kurzem sahen die Prognosen für April eine Senkung um 15-20 Mio.Barrel, also 15-20 Prozent des täglichen Verbrauchs weltweit vor. Mittlerweile stehen sogar 25 Millionen Barrel zur Debatte. Vor diesem Hintergrund wird sondiert, für wie viele Wochen bzw. Monate die Speicherkapazitäten ausreichen würden, deren Befüllen die Aufrechterhaltung der Preise ermöglicht.
Es gibt viele Gründe anzunehmen, dass in der neuen Realität von einem Preiskrieg und einem ernsthaften Ausbau der Ölförderung (was von einigen Herstellern nach dem Zerfall des OPECplus-Deals angekündigt wurde) kaum gesprochen werden kann. Zudem wird es schwer fallen, diese zusätzlichen Mengen zu verkaufen. Angesichts der aktuellen Umstände sind solche Schritte unangemessen. Doch dabei kann man auch nicht auf einen blitzschnellen Rückgang der Angebotsmengen warten. An einigen Orten behalten die Teilnehmer ihren Marktanteil bei, an anderen ist es nicht einfach, die technologischen Prozesse zu stoppen. Bislang hat Schieferöl auf der Angebotsseite reagiert - die Zahl der Bohranlagen in den USA reduzierte sich innerhalb einer Woche gleich um 40 Stück (von 664 auf 624). Allerdings zeigt sich auch hier nicht unmittelbar ein Effekt für die Förderung. Saudi-Arabien erklärte bereits, im Mai zusätzlich 600.000 Barrel pro Tag zu exportieren - das könnte ein Element des Feilschens sein, weil der Abschluss eines neuen Deals zwischen den größten Ölförderern nach wie vor auf der Tagesordnung steht.
Die Gründe für den Zerfall des OPECPlus-Deals werden immer weniger besprochen. Die Covid-19-Pandemie mischt alle Karten neu. Vor diesem Hintergrund ist es nicht mehr einfach, zu verstehen, wer dafür verantwortlich ist. Am wichtigsten ist offenbar, dass es keine Rolle mehr spielt. Es ist klar, dass ein solcher Einbruch der Nachfrage, wie wir ihn jetzt beobachten (Anfang März beharrte Saudi-Arabien auf zusätzlichen Einschränkungen von 1,5 Mio. Barrel pro Tag, was die Vereinbarungen zunichte machte), nicht durch einen neuen Deal kompensiert werden könnte.

Allerdings ist die Stabilisierung des Ölmarktes dringend geboten. Ein neuer Deal zwischen den größten Produzenten wird vielleicht sogar noch akuter als vor einem Monat. Einfach deshalb, weil die Preise auf andere Weise selbst in kurzer Zeit nicht geändert werden können. Eine einfache Einschätzung zur Lage: Sollten innerhalb zweier Monate in die Speicher rund eine Milliarde "überflüssige" Barrel (20 Mio. pro Tag innerhalb von 50 Tagen - es soll genug Platz geben) gepumpt werden, würde das ein zusätzliches Angebot von rund drei Mio. Barrel pro Tag innerhalb des gesamten nächsten Jahres bedeuten - und das unter sehr optimistischen Bedingungen einer sich vollständig wiederhergestellten Nachfrage und Vorkrisen-Fördermengen (im Rahmen der OPECPlus-Vereinbarung).

Damit wird klar, warum in der Basisvariante - also ohne eine globale Absprache der Ölförderer - die Beobachter eine sehr langsame Erholung der Preise prophezeien (es wird ein Preis von 40 Dollar zum Jahresende genannt), selbst wenn die Quarantäne-Maßnahmen in den kommenden Wochen beendet werden.

Wie werden sich die Ereignisse entwickeln?

In der Theorie gibt es zwei Varianten. Erstens, die "unsichtbare Hand des Marktes", die zur Volatilität von breit gespannten Preisen führt, wenn die Überproduktion und niedrige Preise weiter durch mangelnde Investitionen und Defizit abgelöst werden. Zweitens, mögliche Regelungsmechanismen in OPEC, OPECPlus und vielleicht sogar in einer größeren Koalition.

Am Montag vereinbarten Wladimir Putin und Donald Trump in einem Telefongespräch Konsultationen über den Ölmarkt zwischen den Energieministern. Ölunternehmer aus Texas beauftragten die Railroad Commission of Texas mit der Erörterung der Einschränkungen für die Ölförderung.

Das Ausmaß des Schocks wegen der eingebrochenen Nachfrage ist tatsächlich beispiellos. Die Ölpreise sind bereits auf dem Niveau vom Ende der 1990er - Anfang der 2000er-Jahre. Angesichts der offiziellen Inflationsraten sind sie sogar noch um das 1,5-fache niedriger. Dabei nahm die Qualität der Vorräte in den vergangenen 20 Jahren rasant ab; der Selbstkostenpreis der Ölförderung stieg also in der ganzen Welt.

Bei schweren Sorten sind überhaupt negative Dollarpreise an Verladestationen festzustellen. Selbst die Betriebskosten bei vielen Unternehmen sind nur etwas niedriger als die aktuellen Preise. Wie sollen diese Unternehmen reagieren? Die Förderung abbauen? Oder sie ausbauen, sobald das Preisniveau die notwendige Marke erreicht - also 30 Dollar? Mit Verlusten weitermachen? Von April bis Juni könnten laut Prognose von IHS Markit jeden Tag rund zehn Mio. Barrel der globalen Produktion allerdings abgebaut werden.

Vom vollen Selbstkostenpreis (einschließlich der Kapitalkosten) kann schon lange keine Rede mehr sein. Unternehmen kündigten bereits die Reduzierung der künftigen Investitionen um Dutzende Milliarden Dollar an.

Es ist ja eine Variante mit einer langfristigen Wiederherstellung des Gleichgewichts statt eines Preiskriegs möglich. Neue Vereinbarungen sind jetzt ebenso durchaus gefragt. Aber unter welchen Bedingungen?

Blicken wir in den Vormonat zurück und erinnern uns daran, wie der größte Vorwurf zum OPECPlus-Deal lautete. Mit der Aufrechterhaltung der hohen Ölpreise (60-65 Dollar pro Barrel) durch Förderungskürzungen vermachten die Teilnehmer des Deals den anderen Produzenten, vor allem amerikanischen, einen Marktanteil.

Einige Beobachter kritisierten gerade deswegen den Deal, andere wiesen darauf hin, dass unbedeutende Kürzungen einen größeren Gewinn ermöglichten und dies jetzt genutzt werden sollte.

In dieser Situation wurde ein Kompromiss versäumt - die Aufrechterhaltung des Abkommens zwischen den wichtigsten Produzenten mit Parametern der Einschränkung der Förderung, damit der Zielpreis bei 50-55 Dollar liegt. In diesem Fall würde es fast keinen Zuwachs von Schieferöl geben. Der Erfolg des OPECPlus-Deals und das Niveau von 60-70 Dollar lösten wohl unter anderem "Euphorie" aus.

Doch hätte das Problem nur in Schieferöl bestanden, hätte man die aktuelle Politik auch fortsetzen können. Letzten Endes könnte man nach einer gewissen Zeit und dem Rückgang der Qualität der Schieferölvorräte auch die Stabilisierung der US-Förderung sehen.

Es gibt da einen weiteren Faktor, der von den russischen Behörden nach dem Scheitern des Deals genannt wurde. Neben Schieferöl kommen bei hohen Ölpreisen auch andere Hersteller, vor allem aus der Tiefsee-Förderung, auf den Markt. Im Unterschied zu Frackingprojekten geht es dabei um langfristige Projekte - bei Kapitaleinlagen wird solches Öl auch bei niedrigen Preisen, auch bei eigenen Verlusten, weiterhin produziert werden. Sie können nicht innerhalb eines halben Jahres bzw. Jahres eines gemäßigten Preiskriegs dichtgemacht werden.

Das Coronavirus verursachte einen präzedenzlosen Absturz der Nachfrage. Bei allen offensichtlichen Nachteilen der aktuellen Situation eröffnet sich die einzigartige Möglichkeit eines Deals für alle.

Bei der aktuellen Entwicklung werden alle Marktteilnehmer Verluste erleiden. Die Schieferölförderung steht unter Druck. Die größten Ölkonzerne verloren bereits mehr als die Hälfte ihrer Kapitalisierung und revidieren ihre Investitionsprogramme. Betroffen ist auch die Flüssiggas-Produktion. Shell verkündete vor einigen Tagen den Ausstieg aus dem US-Frackingprojekt Lake Charles.

Das Coronavirus beseitigte alte Streitigkeiten über die Größenordnung der Kürzungen im Rahmen der OPECPlus. Doch es ließ das Problem bestehen, dass die nicht an dem Deal beteiligten Ölförderer nur die Vorteile der hohen Preise nutzen. Unter den neuen Umständen sieht das "Minimum-Programm" so aus: Vereinbarungen der großen Drei - Russland, OPEC und USA. Das "Maximus-Programm": Heranziehung anderer Produzenten, vielleicht nicht via Länder, sondern konkrete Unternehmen.

Doch die Voraussage der Ölpreise ist eine riskante Sache. Die Option eines negativen Szenarios (jeder für sich selbst, langsame Erholung) darf nicht außer Acht gelassen werden. Beim Thema Öl müssen ganz verschiedene Optionen der Entwicklung berücksichtigt werden. Der aktuelle Preis-Crash auf das Niveau des Jahres 1998 ist ein anschauliches Beispiel dafür, denn noch vor einem Monat schien das unvorstellbar zu sein.