Nein, die Kanzlerin ließ nicht den leisesten Zweifel daran, was sie vom Vorstoß ihres Stellvertreters hält: Nichts, gar nichts. Angela Merkel wahrte gerade noch die äußerste Fassade einer geschlossenen Regierung, indem sie Philipp Rösler nicht persönlich widersprach. Dafür nahmen Merkels Leute kein Blatt vor den Mund: Man dürfte die Griechen "nicht Pleite reden", erklärte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe: "Damit wird niemandem geholfen." Der Fraktionsvorsitzende von CDU und CSU im Bundestag, Volker Kauder, hatte sich im Fernsehen geäußert: "Wir sollten das diskutieren, was möglich ist". Sein parlamentarischer Geschäftsführer, Peter Altmaier legte nach: "Spekulationen sind kontraproduktiv und gefährlich."

Wer jetzt immer noch nicht verstanden hatte, wie unmöglich die Kanzlerin den Vorstoß Röslers fand, der wurde aus ihrem Umfeld dezent darauf hingewiesen, dass der Dax nach Röslers Gastbeitrag unter 5 000 Punkte fiel. Hatte die Kanzlerin nicht am vergangenen Mittwoch im Bundestag gewarnt: "Wir können nicht Schlagwörter in die Welt setzten und uns anschließend wundern, dass wir damit die gesamt Finanzwelt verunsichert haben." Vor einer Woche galt dies noch der Opposition, jetzt will Merkel sie auf den FDP-Teil ihrer Regierung gemünzt wissen.

Was war geschehen? Wirtschaftsminister Philipp Rösler hatte am Montag in einem Gastbeitrag für die Welt als erstes Regierungsmitglied offen über eine Pleite Griechenlands nachgedacht: "Um den Euro zu stabilisieren, darf es auch kurzfristig keine Denkverbote geben. Dazu zählt notfalls auch eine geordnete Insolvenz Griechenlands, wenn die dafür notwendigen Instrumente zur Verfügung stehen."

Der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, besuchte am Montag die Kanzlerin in Berlin - und schwieg öffentlich zu dem deutschen Streit. Doch es gibt versteckte Signale dafür, dass die Kommission die Debatte über eine griechische Insolvenz mit Verärgerung registriert. Es werde in Brüssel eben gern gesehen, wenn das wichtigste Land der Euro-Zone mit einer Stimme spricht, und politische Reformen in anderen Staaten nicht in Frage stellt.

Rückendeckung erhielt der FDP-Chef hingegen aus München. Ausgerechnet die CSU - sonst die Erzfeindin der Liberalen - verabschiedete am Montag im Parteivorstand einen europapolitischen Leitantrag, der viel näher an Rösler liegt als an Merkel. Die CSU geht in dem einstimmig vom Vorstand angenommenen Papier sogar noch weiter als der Liberale. Sie fordert indirekt einen Ausschluss der Schuldenländer aus der Euro-Zone. "Eurostaaten, die sich nicht an die gemeinsamen Regeln der Haushaltsdisziplin halten und damit sich und die Währungsunion in Schwierigkeiten bringen, müssen damit rechnen, die Währungsunion verlassen zu müssen. Sie sollen allerdings als EU-Staaten Hilfe bei der finanziellen Restrukturierung erhalten."

Auch die Liberalen sammelten sich in seltener Geschlossenheit hinter ihrem Parteichef. Der Gastbeitrag von Rösler sei auf einer Sitzung des Präsidiums "einmütig" begrüßt worden, sagte Generalsekretär Christian Lindner. Fraktionschef Rainer Brüderle gab Rösler Rückendeckung. "Wir sind solidarisch, aber nicht blöd", sagte Brüderle dem SWR. Griechenland habe Zusagen gebrochen. Und es sei nun "unsere Entscheidung, ob wir weiter Geld zahlen in ein Fass ohne Boden oder nicht."

Für die Opposition sind die konkurrierenden Botschaften aus der Regierung ein gefundenes Fressen. "Röslers Gerede wirkt wie ein Brandbeschleuniger", sagte Fritz Kuhn, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen. Auch die Sozialdemokraten wiesen den Vorstoß Röslers mit scharfen Worten zurück. Derlei Äußerungen seien "nicht mehr tragbar", sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles nach telefonischen Beratungen der Parteispitze. "Ich fordere Frau Merkel auf, dass sie noch heute klarstellt, wohin ihre Regierung beim Euro steuert."