Im März und April 2022 fanden Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine in Weißrussland und der Türkei statt, bei denen Kiew den russischen Forderungen nachgekommen ist. Kiew hat damals Ende März vorgeschlagen, dass die Ukraine dauerhaft ein neutraler Staat bleibt, der keine Atomwaffen erwirbt, keine ausländischen Truppen ins Land lässt und stark abrüstet. Im Gegenzug dazu war Russland bereit, Kiew beim EU-Beitritt zu unterstützen und bestimmte Staaten sollten der Ukraine Sicherheitsgarantien geben.
Es wurde zwar noch über Details, wie das genaue Ausmaß der ukrainischen Abrüstung verhandelt, aber im Grunde war man sich einig. Die strittigen Territorialfragen über die Krim und die Donbass-Republiken wollte man in friedlichen Verhandlungen innerhalb von bis zu 15 Jahren einvernehmlich regeln.
Für Leser westlicher Medien mag das neu sein, Leser des Anti-Spiegel wissen davon bereits seit Mitte Juni 2023, also seit einem Jahr, weil Putin die meisten Details damals öffentlich genannt hat und ich darüber berichtet habe.
Die New York Times hat nun in einem Artikel über die Verhandlungen vom März und April 2022 berichtet und auch die drei entscheidenden Dokumente veröffentlicht. Das waren ein Vertragsentwurf vom 17. März 2022, das Kommuniqué von Istanbul vom 29. März 2022, in dem die Ukraine selbst die eben genannten Vorschläge gemacht hat, und ein Vertragsentwurf vom 15. April 2022. Das Kommuniqué habe ich übersetzt und Sie finden es am Ende dieses Artikels.
Warum es keinen Frieden gab
Der Artikel der New York Times ist ausgesprochen interessant, weil er im Kern die russische Version der Verhandlungen von 2022 bestätigt, über die ich seit einem Jahr berichte. Allerdings stellt die New York Times einiges anders dar, als es war. So lenkt sie in ihrem Artikel beispielsweise davon ab, dass es die USA waren, die den Frieden, der zum Greifen nah war, verhindert haben. Diese Tatsache, die inzwischen von vielen Teilnehmern der Verhandlungen oder direkt und indirekt daran Beteiligten bestätigt wurde, erwähnt die New York Times nicht.
Stattdessen lenkt sie mit dem angeblichen Massaker von Butscha von dieser Tatsache ab und schreibt außerdem unter Berufung auf ukrainische Quellen, dass einige russische Bedingungen bezüglich der Sicherheitsgarantien für die Ukraine für die Kiewer Delegation unannehmbar gewesen seien, weshalb Kiew im April 2022 aus dem Gesprächen ausgestiegen sei und auf einen Sieg auf dem Schlachtfeld gesetzt habe.
Das kann man getrost anzweifeln, denn die in dem Artikel der New York Times genannten Probleme hätte man in weiteren Verhandlungen genauso lösen können, wie man die anderen zuvor vorhandenen Probleme gelöst hat, denn es ging, wenn die ukrainischen Quellen denn die Wahrheit gesagt haben, nur um Formulierungen.
Trotz dieser Ablenkungen der US-Zeitung von der Rolle der USA bei den Friedensverhandlungen von 2022 ist es bemerkenswert, dass das westliche Publikum nun überhaupt, wenn auch mit einem Jahr Verspätung, über die Details der Friedensgespräche informiert wird.
Ich werde noch detailliert auf den Artikel der New York Times eingehen, hier beschränke ich mich darauf, das Kommuniqué von Istanbul vom 29. März 2022 zu übersetzen, das die New York Times veröffentlicht hat. Das Kommuniqué hat Kiew damals vorgeschlagen und parafiert und es entspricht exakt dem, was die russische Seite schon lange sagt.
Beginn der Übersetzung:
KommuniquéEnde der Übersetzung
nach den Konsultationen vom 28. bis 30. März 2022
Grundlegende Bestimmungen des Vertrags über Sicherheitsgarantien der Ukraine
Der Vertrag sieht folgendes vor:
1. Erklärung der Ukraine als dauerhaft neutraler Staat mit völkerrechtlichen Garantien zum Zweck der Verwirklichung des bündnisfreien und atomwaffenfreien Status.
2. Mögliche Garantiestaaten: Großbritannien, China, die Russische Föderation, die USA, Frankreich, die Türkei, Deutschland, Kanada, Italien, Polen, Israel. Anderen Staaten, insbesondere der Russischen Föderation und Weißrussland, wird der freie Beitritt zum Vertrag angeboten.
3. Die internationalen Sicherheitsgarantien der Ukraine gemäß dem Vertrag gelten nicht für die Krim, Sewastopol und einzelne Bezirke der Regionen Donezk und Lugansk. (Im Vertrag wird es eine Definition geben, wie wir die Grenzen der einzelnen Bezirke der Regionen Donezk und Lugansk verstehen und wie sie von der Russischen Föderation separat verstanden werden).
4. Die Ukraine tritt keinen Militärbündnissen bei, stationiert keine ausländischen Militärstützpunkte und -kontingente und führt internationale Militärübungen nur mit Zustimmung der Garantiestaaten durch. Die Garantiestaaten bestätigen ihrerseits ihre Absicht, die Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union zu fördern.
5. Die Garantiestaaten und die Ukraine vereinbaren, daß im Falle einer Aggression, eines bewaffneten Angriffs auf die Ukraine oder einer Militäroperation gegen die Ukraine jeder der Garantiestaaten nach dringenden und sofortigen Konsultationen zwischen ihnen (die innerhalb von höchstens drei Tagen stattfinden) in Ausübung des in Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen anerkannten Rechts auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung (als Reaktion auf einen offiziellen Appell der Ukraine und auf der Grundlage dieses Appells) der Ukraine als dauerhaft neutralem Staat Beistand leisten wird,
Jeder derartige bewaffnete Angriff (jede militärische Operation) und alle infolgedessen getroffenen Maßnahmen werden dem Sicherheitsrat unverzüglich gemeldet. Diese Maßnahmen werden beendet, wenn der Sicherheitsrat die zur Wiederherstellung und Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen ergreift.
Der Mechanismus für die Umsetzung der Sicherheitsgarantien der Ukraine, der sich auf die Ergebnisse zusätzlicher Konsultationen zwischen der Ukraine und den Garantiestaaten stützt, wird im Vertrag im Hinblick auf den Schutz vor möglichen Provokationen geregelt.
6. Der Vertrag wird ab dem Zeitpunkt seiner Unterzeichnung durch die Ukraine und alle (oder die meisten) Garantiestaaten vorläufig umgesetzt.
7. Der Vertrag tritt in Kraft, nachdem der Status der Ukraine als dauerhaft neutraler Staat in einem gesamtukrainischen Referendum gebilligt und die entsprechenden Änderungen der ukrainischen Verfassung vorgenommen und in den Parlamenten der Ukraine und der Garantiestaaten ratifiziert worden sind.
8. Der Vertrag schlägt vor, das Bestreben der Parteien festzulegen, die Fragen im Zusammenhang mit der Krim und Sewastopol durch bilaterale Verhandlungen zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation innerhalb von 10 (Option - 15) Jahren zu lösen.
9. Es wird auch vorgeschlagen festzulegen, dass die Ukraine und die Russische Föderation die Fragen der Krim und Sewastopol nicht militärisch lösen werden, sondern ihre politischen und diplomatischen Bemühungen zur Lösung dieser Frage fortsetzen werden.
10. Die Seiten werden ihre Konsultationen (unter Einbeziehung anderer Garantiestaaten) fortsetzen, um die Bestimmungen des Vertrags über die Sicherheitsgarantien der Ukraine, die Modalitäten des Waffenstillstands, den Rückzug der Truppen und anderer paramilitärischer Formationen, die Öffnung und Gewährleistung des sicheren Funktionierens der humanitären Korridore auf Dauer sowie den Austausch der Leichen und die Freilassung von Kriegsgefangenen und internierten Zivilisten vorzubereiten und zu vereinbaren.
11. Die Parteien halten es für möglich, ein Treffen zwischen den Präsidenten der Ukraine und Russlands am ...... 2022 mit dem Ziel, den Vertrag zu unterzeichnen und/oder politische Entscheidungen über die noch offenen Fragen zu treffen.
Kommentar: Russland hat nie aufgegeben, immer wieder erneut Verhandlungen anzustoßen, um den Ukraine-Konflikt mit friedlichen Mitteln zu lösen:
Man wird Russland nichts vorwerfen können: Erneutes Friedensangebot an den Westen und die Ukraine