Berlin. Der türkische Präsident besucht Deutschland. Die Partnerschaft ist eng, aber nicht bequem: Umstritten sind unter anderem die Einwanderungspolitik und der Wunsch Ankaras nach einem EU-Beitritt. Güls Rede an der Humboldt-Universität wurde wegen einer Bombendrohung verlegt.

Es sollte eine Grundsatzrede werden über ein schwieriges, umstrittenes Thema. Über die "Türkisch-Deutschen Beziehungen vom Deutschen Bund zur Europäischen Union" sollte der türkische Präsident Abdullah Gül an der Berliner Humboldt-Universität sprechen. Dazu kam es erst mit Verspätung: Wegen einer Bombendrohung wurde die Hochschule zunächst geräumt. Die Drohung, die zuvor eingegangen war, sei von den Sicherheitsbehörden als ernstzunehmend eingestuft worden, sagte ein Sprecher des Veranstalters.

Die Universität am Boulevard Unter den Linden wurde auf Sprengstoff durchsucht; Gül wurde ins Schloss Bellevue gebracht, den Amtssitz seines deutschen Kollegen Christian Wulff. Einen Zusammenhang der Drohung mit einer Demonstration von Kurden gegen den Besuch schloss die Polizei aber aus. Seine Rede hielt Gül später in einem anderen Raum. Das Staatsbankett am Abend bei Wulff verschob sich deshalb um eine Stunde.

Güls Tag in Berlin, der mit diesem Misston endete, hatte mit viel Pomp begonnen: Mit militärischen Ehren hatte Wulff den türkischen Präsidenten empfangen. Aber auch die klaren Worte ließen nicht lange auf sich warten. Gül hatte politische Botschaften mitgebracht. Eine davon lautete: Sein Land wolle weiter eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union. Die von der Bundesregierung favorisierte "privilegierte Partnerschaft" lehnte er ab.

Dass der türkische Präsident das Ziel einer EU-Mitgliedschaft betonte, kam nicht von ungefähr: Die Verhandlungen stocken, und in Brüssel wachsen allmählich die Zweifel, wie ernst es die Türken noch meinen mit Europa. Die Aggressivität, mit der sich das Land unter Premierminister Recep Tayyip Erdogan zuletzt als regionale Vormacht zu etablieren suchte, hat Irritationen ausgelöst. Während Gül in Berlin über den roten Teppich schritt, drohte der türkische Energieminister Taner Yildiz dem EU-Mitglied Zypern die Entsendung von Kriegsschiffen an - es geht um Ölbohrungen vor der zyprischen Küste, gegen die die Türkei protestiert.

Anders als führende Unionspolitiker ging Wulff auf Güls Forderung nach einer Vollmitgliedschaft in der EU ein: Natürlich seien die Verhandlungen ergebnisoffen, würden aber schon mit dem Ziel eines Beitritts zur EU geführt. Gerade in Zeiten des Umbruchs im Nahen Osten und in Nordafrika könne das muslimisch geprägte Land im Übrigen Vorbild für viele Staaten der Region sein. "Ich glaube, dass wir in Deutschland darauf schauen, wie die Türkei ihre gewachsene Rolle jetzt auch wahrnimmt", fügte der Bundespräsident hinzu.

Die Türkei ist alles andere als ein bequemer Partner. Aber wohl gerade deswegen berief sich Wulff auf die enge und intensive Freundschaft beider Länder, als er Gül empfing. Danach kam Gül mit Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) zusammen.

Scharfen Widerspruch hatte Gül bereits zuvor für seine Rüge an der deutschen Ausländerpolitik geerntet. Das 2007 verschärfte deutsche Einwanderungsrecht widerspreche den Menschenrechten, hatte der Staatspräsident zum Auftakt gesagt. Nach der umstrittenen Reform hängt der Ehegatten-Nachzug seit 2007 vom Bestehen eines Deutschtests in der Türkei ab. Das bezeichnete Gül beim Treffen mit Wulff als ein "Kriterium, das ein bisschen verletzt".

Wulff indes verteidigte die deutsche Position im Sprachenstreit. "Niemand will die Assimilation", versicherte der Bundespräsident. Aber ohne grundlegende Sprachfähigkeiten sei eine Integration nicht möglich. Ähnlich äußerten sich der Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Steffen Seibert, die für Integrationsfragen zuständige Staatsministerin Maria Böhmer (CDU) und Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU).

Angesichts der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung der Türkei rief der Bundespräsident am Nachmittag die deutschen Firmen zu mehr Investitionen in der Türkei auf. Gutes Beispiel könne hier der Energiesektor sein, sagte Wulff auf dem Deutsch-Türkischen Wirtschaftsforum. Die Türkei sei die derzeit "wettbewerbsfähigste und innovativste Volkswirtschaft in Europa", lobte der Bundespräsident. Wulff appellierte zugleich an die Bundesregierung, Erleichterungen bei der Visa-Vergabe an türkische Geschäftsreisende zu prüfen. Dafür hatte sich sein türkischer Kollege zuvor stark gemacht. Die Türkei zählt mit einem Wirtschaftswachstum von derzeit mehr als zehn Prozent zu den dynamischsten Volkswirtschaften Europas.