Jeder Siebte über 65 Jahren in Thüringen bekommt mindestens ein Medikament, das gefährliche Nebenwirkungen hervorruft. Das zeigt eine aktuelle Studie der Techniker Krankenkasse (TK) unter den Versicherten. Die Auswertung bezieht sich auf das erste Halbjahr 2010 und legt erstmals Daten für Thüringen vor.

Erfurt. Die Medikamente stehen auf der Priscus-Liste. Diese hat 83 Wirkstoffe erfasst, die bei älteren Menschen zu Nebenwirkungen führen und daher gefährlich sein können. Darunter fallen zum Beispiel Mittel gegen Bluthochdruck, Depressionen und Schmerzen.
"Die Liste soll eine Hilfestellung für Ärzte darstellen", erklärt Professorin Petra Thürmann, Direktorin des Philipp-Klee-Institutes für Klinische Pharmakologie. Die 51-Jährige hat den 2010 präsentierten Katalog zusammen mit Kollegen erarbeitet.

Ziel des Forschungsverbundes war es, das Altern in Würde in den Mittelpunkt zu rücken. Das zeigt allein der Name. Priscus stammt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie altehrwürdig.

Der Hintergrund: Die derzeitigen Behandlungsansätze werden meist den Bedürfnissen älterer und mehrfach chronischer Menschen nicht gerecht. Bei Studien werden sie oft ausgeschlossen. Daher basieren aktuelle Behandlungsleitlinien auf Untersuchungen an jüngeren Patienten.

Ebenso außer Acht gelassen werden die miteinander konkurrierenden Behandlungen. So kennt der Arzt oft nicht alle Beschwerden des Patienten. Die Folge: Der Pillen-Cocktail fördert die Nebenwirkungen.

Nebenwirkungen sind unter anderem Nierenschädigungen, Magenblutungen, ein erhöhtes Sturzrisiko - sowie eine steigende Zahl der Krankenhausaufenthalte. "Das beeinträchtigt auch stark die Lebensqualität", macht Professor Petra Thürmann deutlich.

Ältere Menschen nehmen in Deutschland im Durchschnitt sechs verschiedene Medikamenten pro Tag ein. Wer mehr nimmt, hat auch mehr Probleme, sagt Thürmann. "Natürlich weiß man da nicht, was die Henne und was das Ei ist."

Das wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat bereits Ende 2010 anhand der Priscus-Liste eine Studie dazu erstellt. Diese kommt zu dem Schluss, dass sogar jeder dritte ihrer AOK-Versicherten ab 65 Jahre 2009 mindestens ein Arzneimittel erhalten hat, das für sie ungeeignet ist. Knapp sechs Prozent der ausgestellten Verordnungen sind davon betroffen. Für die einzelnen Bundesländer fehlen jedoch Daten.

Laut WIdO-Erhebung haben ältere Frauen im Vergleich zu älteren Männern ein deutlich höheres Risiko, ein ungeeignetes Medikament verschrieben zu bekommen. Sie wurden vorrangig mit riskanten Schlaf- und Beruhigungsmitteln sowie Medikamenten gegen Depressionen behandelt.

Auch die Barmer GEK verfügt über Statistiken, die das Problem in den Blick nehmen. "Zehn Prozent der Akuteinweisungen in Krankenhäuser sind auf negative Wechselwirkungen von Medikamenten zurückzuführen", informiert Pressesprecherin Claudia Szymula.

Zu diesem Ergebnis kommt auch die Thüringer Landesvertretung der Techniker Krankenkasse, die eine bessere Zusammenarbeit und Vernetzung von Kassen, Ärzten und Patienten fordert. Und: "Die Patienten müssen mündiger werden", hofft Pressesprecherin Teresa Urban, dass die Betroffenen mehr Selbstverantwortung übernehmen. Zumal sich viele Patienten schlecht informiert fühlen.

Das sieht auch das Thüringer Verbraucherministerium. Sprecher Uwe Büchner: "Wir können leider immer wieder nur appellieren, dass die Patienten kritisch nachfragen."

Erst Ende 2011 sind Erfolge messbar
  • 131 Medikamente sind im Vorfeld der Priscus-Studie als unangemessen für ältere Menschen eingestuft worden.
  • 27 Experten aus verschiedenen Fachrichtungen haben diese und weitere
    Arzneimittel bewertet und analysiert.
  • 83 Medikamente wurden schließlich als unangemessen bewertet.
  • Laut Kassenärztlicher Vereinigung ist erst Ende 2011 eine Analyse möglich, ob die Priscus-Studie Veränderungen bei der Verordnung von Arzneien zur Folge hatte.