Bis Ende 2014 wollen die USA und ihre Verbündeten die meisten Truppen aus Afghanistan abziehen. Die Menschen in dem Land fürchten, dass die Taliban danach zurückkehren könnten. Ein Besuch in Kabul.
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© dpaTrüber Ausblick in die Zukunft Afghanistans: Wenn die ausländischen Truppen bald abziehen, könnten sich die Taliban wieder an die Macht kämpfen.

Kabul. „Are you alright, Kabul?“ ruft eine junge Frau mit engen Jeans, T-Shirt und einer Gitarre um den Hals in Richtung Publikum. Aus dem Dunkel kommt ein enthusiastisches „Yeah“. Dann drischt die Frau auf die Saiten der Gitarre ein, begleitet von euphorischem Klatschen.

Für Noorjahan Akbar ist es schwierig geworden, Rockkonzerte wie dieses in einem Kabuler Hinterhof zu besuchen. Seit die junge Afghanin kürzlich mit Bekannten und Freunden eine Organisation für Frauenrechte gegründet hat, nimmt der Druck religiös-konservativer Kreise zu: „Unser Hausbesitzer, ein ehemaliger Kommandeur, beschwert sich, dass wir Besuch von jungen Männern und Frauen bekommen. Er behauptet, wir würden ein Bordell betreiben.“

Die internationale Gemeinschaft sei daran nicht unschuldig, sagt Noorjahan. Sie ziele auf einen Ausgleich mit den Aufständischen um jeden Preis. „Letztlich sagen sie: Lasst uns hier rausgehen ohne großes Tamtam und Afghanistan sich selbst überlassen.“

Zehn Jahre nach dem Beginn des Afghanistan-Einsatzes am 7. Oktober 2001 wächst unter Afghanen die Angst vor der Zeit nach dem Abzug: Bis Ende 2014 wollen US-Regierung und Nato-Verbündete die meisten ihrer Kampftruppen abziehen. Dabei herrscht Konsens, dass die Taliban noch nicht besiegt sind. Vielerorts ist die Sicherheitslage angespannter als in den Jahren zuvor. Dabei hatte der Westen versprochen, dem Land Demokratie und einen funktionierenden Staat zu bringen.

„Schlimmer als vor zehn Jahren“ Kate Clark, die für die unabhängige Denkfabrik Afghan Analysts Network in Kabul arbeitet, befürchtet, dass das Ausland den Abzug als Erfolg inszenieren wird: „Wenn sie abziehen, werden sie erklären, dass sie Afghanistan Frieden gebracht haben. Tatsächlich wird der Westen Afghanistan in einer schlimmeren Position zurücklassen als damals - als sie kamen.“ Christoph Reuter, langjähriger Korrespondent für Stern und Spiegel, kritisiert: „Es wurde kein Zustand geschaffen, der sich selber tragen würde.“

Feinde, die sich früher bekriegt haben, sitzen nun zusammen

Um zu retten, was zu retten ist, setzt die Staatengemeinschaft auf Verhandlungen mit den Taliban. Präsident Hamid Karsai berief dafür vergangenes Jahr den Hohen Friedensrat ein. In dem Gremium sitzen führende Taliban aus den 90er-Jahren.

Abdul Hakim Mujahid ist einer von ihnen; nach dem tödlichen Anschlag auf Ex-Präsident und Friedensratschef Burhanuddin Rabbani vergangenen Monat ist er sogar nominell die Nummer eins. Das Gremium sei "ein großer Fortschritt", sagt Mujahid in seinem Büro in Kabul: „All jene, die sich in der Vergangenheit bekriegt haben, sitzen zusammen.“

Leute wie Mujahid sind durch die Verhandlungen wieder hoffähig geworden. Sie würden mittlerweile von der deutschen Botschaft sogar zu Empfängen eingeladen, berichtet ein ziviler Aufbauhelfer. Seine Ansichten scheint Mujahid allerdings nicht geändert zu haben, die Diskussion um Frauenrechte etwa wischt er beiseite: „Diese Sorgen kommen von sehr kleinen Randgruppen, von Menschen, die verwestlicht sind. Ihre Anliegen sind unrechtmäßig.“

Der Mord an Ex-Präsident Rabbani hat alle Aussichten auf einen kurzfristigen Frieden mit den Taliban zunichte gemacht. Die Karsai-Regierung verdächtigt den pakistanischen Geheimdienst und möchte deshalb in Zukunft direkt mit Pakistan verhandeln. Das aber macht den Friedensrat obsolet, dessen Stellung schon vor dem Attentat allenfalls symbolischer Art schien. Kritiker wie Kate Clark halten die Arbeit des Rats ohnehin für „vergeudete Zeit“.

Nur wenige Kämpfer haben bisher ihre Waffen abgegeben

Wenig erfolgreich verläuft auch das 150 Millionen Dollar umfassende Programm, das Aufständische zur Aufgabe bewegen soll. Nur wenige Kämpfer haben bislang bei den Regionalstellen des Hohen Friedensrats ihre Waffen abgegeben. Mujahid wundert sich darüber nicht: „Der Kern der Kämpfer, die ideologisch motiviert sind, wird sich erst dem Friedensprozess anschließen, wenn dieser weiter fortgeschritten ist.“

Parallel zu den Verhandlungen machten die internationalen Truppen mit den übelsten Kriegstreibern gemeinsame Sache, kritisiert Clark. Laut Reuter hat der Westen neben Armee und Polizei noch verstärkt Milizen aufgebaut, um eine zusätzliche Kraft im Kampf gegen die Taliban zu gewinnen. „Nur werden diese Milizen von niemandem wirklich kontrolliert. Sie sind exakt jener Gewaltfaktor, der Anfang der 90er-Jahre das Land in den Bürgerkrieg gestürzt hat“, kritisiert Reuter.

Noorjahan, die junge Aktivistin, gibt trotz der verfahrenen Lage nicht auf. Unlängst hat sie im Parlamentsviertel öffentlich gegen sexuelle Repression protestiert. „Einer der lokalen TV-Sender“, erzählt sie, „widmete seine Freitagssendung dem Thema Belästigungen auf der Straße. Aber statt über unser Anliegen offen zu diskutieren, machte der Moderator am Ende der Sendung die Frauen für die Belästigungen verantwortlich.“