Berlin und Paris werben für die Änderung des EU-Vertrags

Angestrebt ist eine "noch engere und verbindlichere Zusammenarbeit" bei der Finanz- und Wirtschaftspolitik

Im Bundestag spitzen die Abgeordneten die Ohren und mahnen die volle Beteiligung an den Vorschlägen an

Sieben Mal betonte Frankreichs Staatspräsident Nicholas Sarkozy am Sonntagabend im Bundeskanzleramt, mit Kanzlerin Angela Merkel "voll und ganz" einig zu sein. Die CDU-Vorsitzende selber war weniger auskunftswillig, betonte aber, Paris und Berlin seien "absolut entschlossen", die Arbeitsfähigkeit der europäischen Banken sicherzustellen. Zwecks dessen hatte das Treffen anscheinend einen anderen Charakter bekommen als ursprünglich geplant. Statt nur über Banken zu sprechen, die wegen ihrer Griechenland-Anleihen in die Bredouille geraten sind, kamen Merkel und Sarkozy überein, den großen Wurf zu wagen. Es wird Änderungen am EU-Vertragswerk geben, um das Problem einer gemeinsamen Währungs-, aber nationaler Wirtschafts- und Finanzpolitiken an der Wurzel zu packen.

Merkel sagte, Paris und Berlin suchten eine Lösung, die "eine noch engere und verbindlichere Zusammenarbeit in Fragen der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Euro-Mitgliedsstaaten mit sich bringt. Dies wird auch Vertragsänderungen mit einschließen." Bislang hatte Merkel Änderungen unter Verweis auf die Komplikationen, die sie mit sich bringen können, als nicht aktuell bezeichnet. Sie hatte stattdessen auf Umwege wie die "EU plus" gesetzt - den Versuch, die EU-Mitglieder Beschlüsse fassen zu lassen, die keineswegs zufällig alle in die Richtung stärkerer Konvergenz bei der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik weisen. Als Beispiel hatte Merkel Anfang Juli die Heraufsetzung des spanischen Rentenalters genannt. Nun aber drängt die Zeit. Obwohl Vertragsänderungen Plebiszite in Irland oder Frankreich notwendig machen könnten, haben Merkel und Sarkozy sie auf die Tagesordnung gesetzt. Merkel sagte, die Entscheidung für den Euro bedürfe "noch eines Fundaments, eines Unterbaus. Es hat sich in dieser Krise gezeigt, dass das noch nicht ausreichend geschehen ist." Folgerichtig findet der reguläre EU-Gipfel der 27 Mitgliedsstaaten nun zeitgleich mit dem Sondergipfel der 17 EU-Staaten statt, die den Euro eingeführt haben.

Die angestrebte Änderung des EU-Vertragswerks geht offenbar über die Frage hinaus, wie die Leitlinien für den provisorischen Euro-Schutzschirm EFSF, "an denen noch gearbeitet wird", endgültig formuliert sind. Diese Leitlinien, sagte Merkel, "müssen so sein, dass der EFSF in Bezug auf die Aufgaben handlungsfähig ist, die wiederum dazu dienen, die Stabilität des Euro insgesamt zu erhalten". Das könnte sich auf die Frage beziehen, in welchem Umfang der EFSF Geldmittel mobilisieren darf. Frankreich, dessen Banken viele griechische Anleihen halten, möchte ein solches Instrument großzügiger einsetzen als Berlin. Dort war dazu bisher zu hören, Frankreich sei ein Land mit bester Bonitätsnote und solle seine Finanzinstitute selbst stützen. Der Rettungsschirm sei für Notfälle vorgesehen. Zudem schwelt noch ein Streit über sogenannte Kredithebel. In der Bundesregierung lehnt man solche Hebel, mit denen der EFSF mehr Macht erhalten würde, ohne dass sich die Haftungssumme erhöht, zwar nicht grundsätzlich ab. Einige der erwogenen Hebelideen, wie etwa eine Banklizenz für den Rettungsschirm, will Berlin aber verhindern. Alles in allem kann die am Sonntag angestoßene Entwicklung freilich dazu führen, dass die vom Bundestag Ende September verabschiedete Fassung des EFSF-Gesetzes letztlich nicht ganz den Inhalten entsprechen wird, die unter dem Druck der drohenden Bankenschieflage nun nötig werden könnten.

Merkel und Sarkozy betonten, die nationalen Parlamente würden umfassend und von Anfang an in diesen neuen Prozess einbezogen. Das ist auch sinnvoll, denn der EFSF droht in letzter Sekunde am slowakischen Parlament zu scheitern. Dort drohte die neoliberale Partei SaS am Montag in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz von Neuem, am heutigen Dienstag die Abstimmung scheitern zu lassen. Die slowakische Regierung könnte daran zerbrechen.

Im Bundestag war das Echo auf das Treffen Merkel-Sarkozy erwartbar geteilt, aber die Betonung der Mitspracherechte war unüberhörbar. CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder sagte der Welt: "Europa muss mehr ein Europa der Parlamente werden. Das hat mehrere Folgen: Die Parlamente müssen bei Entscheidungen mit Auswirkungen auf die Haushalte immer das letzte Wort haben. Das haben wir beim Rettungsschirm EFSF schon festgeschrieben. Dahinter gibt es kein Zurück." Die Parlamente würden sich auch in die Diskussion über die anstehenden weiter gehenden Reformen beteiligen. "Wenn Europa ein Europa der Bürger sein soll, müssen der Bundestag und die übrigen nationalen Parlamente hier von Anfang mitgestalten." Das bedeute nicht, dass die Regierungen keine Vorschläge machen könnten. "Die Parlamente müssen die Verträge aber letztlich billigen." Der Bundestag wolle mehr mitreden. "Das ist ganz klar."

Kurt Lauk, Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, sagte der Welt, man brauche Mechanismen, die "ganz massiv verhindern, dass irgendein anderes Land auf die Idee kommt, einen Hair Cut zu verlangen", und auch nur daran denke, "sich auf Kosten solider Nachbarn sanieren zu wollen". Die Bankenrestrukturierung dürfe nicht "über Kredite aus dem Steuersäckel finanziert und damit die Risiken der Banken weiter auf die Steuerzahler verlagert werden".

Der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, warnte Merkel vor einem Alleingang. Es sei "erschreckend, wie die Bundeskanzlerin erneut zu einem europäischen Gipfel fahren will, um dort offenbar finanzwirksame Zusagen zur Bankenstützung zu machen, ohne das Parlament vorher auch nur zu informieren". Das Bundesverfassungsgericht habe hier "klare Vorgaben gemacht". Bei den Banken habe Merkel ihre Politik geändert. "Die Koalition hatte sich vor einem Jahr entschieden, im Falle einer neuen Krise, die Banken nicht erneut zu stützen, sondern abzuwickeln. Nun sollen neue Milliardenbeträge mobilisiert werden, deren Notwendigkeit in der letzten Sitzung des Bundestages noch vehement bestritten wurde."

Angela Merkel ist unterdessen am Montag erst einmal nach Vietnam und in die Mongolei abgeflogen. Bis zu ihrer Rückkehr am Donnerstag werden Berliner Arbeitsgruppen an den neuen Euro-Vorschlägen wohl rund um die Uhr arbeiten.

Mitarbeit: Jan Hildebrand, Florian Kain