Die Massenproteste gegen die Macht der Finanzmärkte hinterlassen Wirkung. Selbst die Kanzlerin verliert wohlwollende Worte über die Demonstranten, deren Motivation sie "auch persönlich" nachvollziehen kann. In Frankfurt und Hamburg harren einige Aktivisten in Protestcamps aus - der Linkspartei macht das Hoffnung auf eine permanente Bewegung.
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© picture alliance / dpaObwohl selbst Zielscheibe der Proteste, zeigt Merkel Verständnis für die Demonstranten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat großes Verständnis für die weltweiten Proteste gegen Banken und den Kapitalismus geäußert. "Die Kanzlerin kann auch persönlich verstehen, dass die Menschen auf die Straße gehen", versicherte Merkels Sprecher Steffen Seibert. Die Regierung nehme die Proteste sehr ernst: "Darin drückt sich eine tiefe Sorge aus und auch ein berechtigtes Gerechtigkeitsverlangen der Menschen." In der internationalen Finanzwelt herrsche noch keine soziale Marktwirtschaft und soziale Verantwortung. Die Verantwortung dafür liege allerdings nicht bei der deutschen Regierung: "Es ist noch nicht gelungen, der internationalen Finanzwelt die Regeln zu geben und die Zügel anzulegen, die wir in Deutschland wünschenswert finden."

Merkel warne zugleich davor, die Schuld an der derzeitigen Finanzkrise ausschließlich bei den Banken abzuladen. Es dürfe nicht aus dem Blick geraten, dass "die jahrzehntelange Verschuldung, das jahrzehntelange Über-die-Verhältnisse-Leben" die derzeitige Krise verursacht habe, sagte er. Die nun anstehende "Stabilitätsanstrengung" müsse deshalb nicht nur von den Banken, sondern auch von der Politik und der "Gesamtgesellschaft" geleistet.

Mit der Erklärung reiht sich Merkel in die Reihe der Regierungspolitiker ein, die den Protesten Legitimität einräumen. Zuvor hatte sich unter anderem Finanzminister Schäuble ähnlich geäußert. Der CDU-Politiker sagte, er beobachte die Demonstrationen "mit großer Aufmerksamkeit - ich nehme das sehr ernst". EU und G20 müssten "überzeugend darlegen können, dass die Politik die Regeln setzt. Und dass wir nicht von den Märkten nur getrieben werden", so Schäuble. Dies sei "der Eindruck, den die Menschen haben. Und diesen Eindruck müssen wir durchbrechen." Sonst komme zur Krise der sozialen Marktwirtschaft und der Finanzmärkte noch "eine Krise des demokratischen Systems". Als Quertreiber präsentierte sich Ex-Bundespräsidentschaftskandidat Joachim Gauck: Er urteilte die Proteste als "unsäglich albern" ab.

EZB-Camper harren aus

Ungeteilte Rückendeckung erhalten die Demonstranten von der Opposition. "Zu Recht brandmarken sie das Auseinanderdriften von Arm und Reich", hatte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, gesagt. SPD-Chef Gabriel hatte sogar eine Zerschlagung der Banken gefordert, und dafür heftige Kritik der Regierungskoalition geerntet. Nun sieht es so allerdings so aus, als sei der Vorschlag diskussionsreif.
bank, demonstranten
© ReutersDie Demonstranten verbrachten bereits die zweite Nacht in der Kälte aus.

Unterdessen lodern die Proteste weiter. Vor der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main haben Demonstranten auch die zweite Nacht in Folge in Zelten verbracht. 150 bis 200 Menschen seien noch in dem Protest-Camp vor der EZB, sagte ein Sprecher der Bewegung "Occupy Frankfurt" ("Besetzt Frankfurt"). Sie wollten auf unbestimmte Zeit dort bleiben. Die Protestaktion war ursprünglich nur bis Mittwoch angemeldet. Die Organisatoren wollen bei der Stadt Frankfurt aber nun eine Verlängerung beantragen.

Das Protestcamp war nach einer Großdemonstration in Frankfurt mit mehr als 5000 Menschen aufgebaut worden. Auch in Hamburg haben Aktivisten Zelte vor einer Bank errichtet. Einige dutzend Demonstranten campieren vor der HSH-Nordbank. Vorbild dieser Aktionen sind die Proteste in den USA, wo Kritiker des Finanzsystems seit Wochen auf einem Platz nahe der New Yorker Börse unter dem Motto "Occupy Wall Street" gegen die Macht der Banken protestieren. Am Wochenende hatten hunderttausende Menschen in aller Welt demonstriert. In Deutschland gingen Zehntausende für soziale Gerechtigkeit auf die Straße.

Ernst: Mehr Proteste

Linken-Chef Klaus Ernst versteht die Massenproteste als Anregung zu regelmäßigen Aktionen. Er könne sich vorstellen, dass nun "überall Initiativen entstehen" und die Menschen "jeden Montag vor der örtlichen Filiale der Deutschen Bank oder der Commerzbank dafür demonstrieren, dass die Banken an die Kette gelegt werden", sagte Ernst dem "Hamburger Abendblatt". Der Protest gegen die Finanzkrise müsse im ganzen Land spürbar werden. Protestformen wie das Campieren vor dem Bundestag seien zudem eine "gute Sache", sagte Ernst und versprach dafür die Unterstützung der Linken.

Vor dem Bundestag hatten am Samstag etwa 400 Menschen eine Sitzblockade errichtet. Die Polizei räumte den Platz mit zwei Hundertschaften. Ein Polizeisprecher erklärte gegenüber n-tv.de, es sei schlicht nicht hinnehmbar gewesen, dass die Demonstranten im Bannkreis um das Reichstagsgebäude übernachten.

cba/AFP/dpa/rts