Ab Dezember ist der Pflanzensüßstoff Stevia auch in Deutschland zugelassen. Manche Hersteller erwarten eine Süßstoff-Revolution. Doch ein Alleskönner ist Stevia nicht.
Stevia
© AFP PHOTO/Norberto DuarteGetrocknete Blätter der Stevia-Pflanze.
Es klingt wie ein Werbeversprechen: eine Pflanze, deren Blätter 30-mal stärker süßen als Zucker, die dabei fast kalorienfrei ist, für Diabetiker geeignet und den Zähnen nicht schadet. Die Vermarkter von Stevia, dem südamerikanischen Süßkraut, haben sich auf die Fahnen geschrieben, den Süßstoffmarkt zu revolutionieren und synthetischen Süßstoffen wie Aspartam oder Saccharin Konkurrenz zu machen.

Zunächst war der pflanzliche Süßstoff nur in Frankreich erlaubt. Viele andere europäische Staaten haben sich mit der Zulassung Zeit gelassen. Denn lange Zeit standen Stevioglycoside, die süßen Inhaltsstoffe der Pflanze, im Verdacht, Krebs zu fördern. Ein Tierversuch hatte gezeigt, dass hohe Mengen bösartige Tumoren auslösen könnten. Die Studie wies jedoch zwei Mängel auf. Zum einen waren die getesteten Mengen stark überhöht und für Menschen mit normalen Geschmacksnerven nicht mehr erträglich. Zum anderen hatten Firmen, die Konkurrenzprodukte herstellen, die Studie finanziert.

Keine gesundheitlichen Bedenken

Inzwischen ist Stevia vom Krebsverdacht freigesprochen. Die European Food Safety Authority (efsa) hat den pflanzlichen Süßstoff positiv bewertet und schreibt, dass Steviolglycoside in toxikologischen Tests keine krebserregenden, toxischen oder negativen Auswirkungen auf die Fortpflanzungsorgane oder das ungeborene Leben haben. Damit stand einer EU-weiten Zulassung nichts mehr im Wege, die jetzt erfolgt ist. Findige nutzten Stevia schon zuvor zum Würzen. Als Badezusatz oder Mundspülung deklariert durfte es bereits verkauft werden. Wer also keine Skrupel hatte, seinen Kaffee mit „Badezusatz“ zu süßen, konnte das Produkt bereits testen.

Ab 2. Dezember sind solche Kniffe nicht mehr erforderlich, denn ab dann ist Stevia in der Europäischen Union als Süßstoff zugelassen. Allerdings empfiehlt die European Food Safety Authority als Richtlinie für den täglichen Verzehr vier Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht, die EU empfiehlt, 250 Milligramm pro Tag nicht zu überschreiten. Ganz verzichtbar wird der normale Haushaltszucker damit nicht, denn mit dieser Menge lassen sich Limonaden oder Colas nicht ausreichend süßen - möglicherweise setzen Hersteller in Zukunft auf einen Süßstoff-Mix.

300-mal stärker als Zucker

Geschmacklich unterscheiden sich die Steviolglycosoide kaum von Haushaltszucker. Dabei sind die Blätter 30-mal süßer als Zucker, das reine, extrahierte Steviosid ist sogar 300-mal süßer. In seiner Heimat Südamerika wird die starke Süßkraft des Krauts bereits seit Jahrhunderten genutzt. Selten berichten Anwender von einem leicht bitteren oder lakritz-ähnlichem Geschmack. Die Ursache dafür könnte jedoch in den Genen liegen. „Manche süß schmeckenden Substanzen stimulieren auf unserer Zunge neben den Sensoren für `süß´ zusätzlich die Sensoren für `bitter´. Aufgrund genetischer Unterschiede in diesen Bittersensoren sind Menschen unterschiedlich empfindlich für den bitteren Geschmack mancher Süßstoffe“, erklärt Anne Brockhoff, die auf molekulare Geschmacksforschung spezialisiert ist. Ob das Süßkraut, wie die Menschen in seiner Heimat Südamerika glauben, auch eine positive Wirkung auf entzündliche Krankheiten hat und hohen Blutdruck senken kann, müssen Studien erst noch klären.
Die Industrie, allen voran die Getränkeindustrie, freut sich auf das neue Produkt und hat bereits Patente für Getränke mit Stevia-Süße angemeldet. Fürs Backen eignet sich der Süßstoff aber nur bedingt, weil er kaum Volumen mitbringt und den Teig nicht zusammenhält.