Der mutmassliche Attentäter von Toulouse war in seinem Quartier berüchtigt. In seiner Wohnung lagern mehrere Säbel und ein riesiger Koran. Trotz mehrmaliger Anzeige passierte nichts.
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© KeystoneEin gespaltenes Leben: Mohammed Merah, mutmasslicher Mörder von sieben Menschen.

Mohammed Merah war kein unbeschriebenes Blatt: Der mutmassliche Attentäter von Toulouse sass schon zweimal in Frankreich im Gefängnis und wurde vom französischen Inlandgeheimdienst überwacht.

Genau dafür prangert eine Mutter aus Merahs Wohnquartier die Behörden nun an: «Die Polizei wusste genau, wie gefährlich und radikal er ist», sagt sie gegenüber Le Télégramme. Zweimal habe sie Anzeige erstattet gegen den Mann, der seit Tagen die Welt in Atem hält. Doch nichts sei geschehen.

Riesen-Koran und Al-Qaida-Videos

Die französische Zeitung nennt die Frau Aicha, und wenn ihre Geschichten stimmen, dann hatte sie allen Grund dazu, die Behörden auf Mohammed Merah aufmerksam zu machen. Der mutmassliche Attentäter soll ihren Sohn angegangen und den 15-Jährigen zu sich nach Hause gefahren haben - in jene Wohnung, in der er sich jetzt verschanzt.

«In seiner Wohnung hatte er einen riesigen Koran und mehrere grosse Säbel. Er nahm einen davon von der Wand und zwang meinen Sohn dann, sich Al-Qaida-Videos anzusehen.» Diese Bilder seien «unerträglich» gewesen, sagt Mutter Aicha über das, was ihr Sohn während der langen Stunden in Merahs Wohnung erlebte. Frauen seien per Kopfschuss exekutiert und Männern die Kehle durchgeschnitten worden.

Er kam mit dem Säbel

Schliesslich sei es ihr gelungen, ihren Sohn aus Merahs Wohnung zu holen. Und sie erstattete Anzeige. Doch am nächsten Tag stand Merah bei ihnen vor dem Haus. Vermummt und mit einem Säbel in der Hand, habe er «Allah Akbar» geschrien. Diesen Vorfall hatten andere Zeugen gegenüber Le Télégramme ebenfalls geschildert.

«Er schlug mich», sagt Aicha, «beschimpfte mich als Ungläubige und drohte mir, ich müsse dafür bezahlen wie alle Franzosen. Er sagte immer wieder, er sei ein Mujahed und er werde als Märtyrer sterben. Dass er all jene auslöschen wolle, die Muslime töteten. Und er sagte, dass er und seine Freunde meinen Sohn nehmen würden.» Später habe er ihren Sohn angegriffen und ihre Tochter geschlagen, als diese dazwischen ging.

«Er hatte zwei Gesichter»

Die Beweise dieser Begegnungen hat sie sorgfältig aufbewahrt: die blutigen Kleider der Tochter, die schriftlichen Anzeigen, die Korrespondenz mit den Behörden, Fotos und ärztliche Atteste. Aichas Anwalt spricht gegenüber der Zeitung von einer «sehr ausführlichen Anzeige», die sie eingereicht hätten - bereits im Juli 2010. Was daraus geworden sei, habe man ihr nie gesagt. Auch der Anwalt weiss nicht, ob jemals eine Untersuchung gegen Merah eingeleitet wurde.

«Er hatte zwei Gesichter», sagt Aicha über Merah. Einerseits habe er sie mit dem Tod bedroht. Andererseits wirke er «sanft wie ein Lamm. Wenn Sie ihn sehen, möchten Sie ihn zum Kaffee einladen.» Mohammed Merah habe sein Verhalten von einem Moment auf den anderen ändern können: «Gerade eben sah man ihn noch Bier trinken, dann eilte er zum Gebet.» Auch gegenüber den jungen Frauen im Quartier sei er sehr aufdringlich gewesen.

Deckt er den Bruder?

Das Bild des sanften Mohammed zeichnet auch Merahs früherer Bewährungshelfer. Der Mann, der den heute 23-Jährigen bis zu dessen Volljährigkeit betreute, sagt gegenüber dem Figaro: «Mohammed war der Typ, der älteren Damen die Tür aufhält. Ich habe vor allem Mühe zu glauben, dass er das den Kindern angetan hat.» Er frage sich, ob Mohammed nicht seinen älteren Bruder Abdel Kader decke. «Ich kenne Kader weniger, aber er war damals, in Mohammeds Jugend, dessen Bezugsperson.»

Der ältere Bruder war Berichten zufolge durch seine Nähe zu islamistischen Gruppierungen aufgefallen und mehrmals nach Ägypten gereist, wo er Kontakt zu radikalislamischen Salafisten hatte. Auch Aicha, die Frau aus dem Quartier, bezeichnet Kader als «das Gehirn» hinter den Aktivitäten seines Bruders. «Er hat ihn indoktriniert.» Der Bewährungshelfer gibt zu bedenken: «Mohammed war oft in Nachtclubs unterwegs. Salafisten würden das niemals tun.»

Kammfrisur und grosses Tattoo

Andere Stimmen aus dem Quartier bestätigen die Widersprüche: Mit dem Aufkommen einer Extremistengruppe im Quartier habe Mohammed die traditionelle orientalische Kleidung angenommen. Dann seien die Gerüchte über einen Afghanistan-Aufenthalt aufgekommen. «Als ich ihn wiedergesehen habe, trug er westliche Kleidung, einen gebleichten Kamm auf dem Kopf und ein grosses Tattoo auf dem Schädel», zitiert die Zeitung einen jungen Mann aus Merahs Umfeld.

Deswegen und wegen seiner extremistischen Ansichten sei er immer wieder aus Moscheen weggewiesen worden, sagt Aicha. «Weshalb hat man trotz meiner Warnungen nie etwas unternommen? Das ist unverständlich und empörend.»

ami