Der Nahostexperte Michael Lüders warnt vor einer neuen Tendenz im Terrorismus. Offenbar gibt es inzwischen immer mehr Einzeltäter. Dies sei besorgniserregend, weil es die Ermittlungen für die Polizei extrem erschwere, so Lüders bei n-tv.


n-tv: Es gibt eine neue Generation islamistischer Extremisten, aus der Mitte der Gesellschaft, in der wir leben. Nachdem, was wir bisher wissen: Ist Mohammed Merah der typische Täter, das typische Profil eines solchen Täters?

Michael Lüders: "Nun, wir haben in der Tat eine neue Tendenz, dass es nämlich Einzeltäter gibt, - wir haben es in Norwegen gesehen, in Deutschland, jetzt auch in Frankreich - Einzeltäter, die sich auf eine radikale Ideologie berufen, aber offenbar losgelöst von einem organisatorischen Netzwerk handeln. Das ist eine neue Entwicklung und es ist insoweit ein bisschen besorgniserregend, weil man natürlich in diesem Umfeld nur schwer recherchieren kann, denn ohne organisatorische Verbindungen zu anderen Mittätern gibt es zunächst einmal keine Indizien für die Polizei. Das ist nicht einfach für die Sicherheitskräfte und man muss natürlich immer auch ein bisschen den gesellschaftlichen Hintergrund beleuchten.

Wie sieht der aus?

In Frankreich ist das insbesondere das gestörte Verhältnis zwischen der französischen Mehrheitsgesellschaft und den vor allem aus Nordafrika stammenden Einwanderern. Algerien wurde vor 50 Jahren unabhängig von Frankreich. Dieser Unabhängigkeitskrieg, der acht Jahre dauerte, hat 500.000 Menschen das Leben gekostet. Nie, weder in Frankreich noch in Algerien, ist diese Vergangenheit aufgearbeitet worden und aus diesem Umfeld entsteht natürlich eine gewisse Frustration, Radikalität, zumal es den Immigranten aus diesen Ländern häufig sehr schlecht geht. Sie haben sozial so gut wie keine Aufstiegschancen."

Sie haben gesagt, Sie gehen davon aus, dass es Einzeltäter sind, die nicht eingebunden sind in eine größere Organisation. Jetzt sagt aber Merah, er sei Teil des Terrornetzwerks Al-Kaida. Was ist da dran?

"Ich glaube, dass er vor allem Wert darauf legt, wahrgenommen zu werden. Er möchte endlich als eine bedeutende Persönlichkeit angesehen werden. Würde er wirklich im Zusammenhang mit Al-Kaida stehen, würde Al-Kaida hier in einer Gruppe auftreten in Frankreich, dann würde er nicht über Stunden durch die Tür seines Hauses mit der Polizei, mit einem Psychologen über seine Lebensgeschichte reden. Er ist offenbar sehr mitteilungsbedürftig. Hätte er nicht sieben Menschen getötet, müsste man sagen, er ist eigentlich ein bedauernswerter Mensch, der einfach mal einen Coach braucht, der ihm ein bisschen den Weg ins Leben weist mit Blick darauf, dass man eine vernünftige Ausbildung macht, sich ein paar Prioritäten setzt im Leben und dergleichen Dinge mehr. Das ist nun bei ihm aus dem Ruder gelaufen."

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