© AP (David Eulitt)
Das Gehirn arbeitet analytisch und intuitiv, Letzteres tut es gerne bei religiösen Menschen. Aber schon kleine unterschwellige Signale - „priming“ - können das ändern.Wir sind nicht immer gleich, schon unterschwellige Umwelteinflüsse modulieren unser Empfinden und Denken. Wer sich sozial isoliert fühlt, weil ihm kalte Schultern gezeigt werden, der fröstelt auch am Körper, und wer eine Tasse warmen Kaffee in der Hand hat, dem rückt sich alles in ein warmes Licht. Diese Kraft des Subliminalen zeigt sich allerorten, auch dort, wo es gar nicht um Soziales geht: Allein der Anblick einer Kirche stimmt Menschen konservativ, Jordan Labouff (Baylor University) hat es im Vorjahr gezeigt, er hat Straßenpassanten um ihre politische Meinung zu verschiedenen Minderheiten gebeten, und die Antworten fielen neben Westminster Abbey in London anders aus als neben dem Rathaus von Maastricht (Int. J. Psych. Rel, 19. 1.).
Eine ähnliche Macht des Orts hatte man früher schon in Wahllokalen in den USA bemerkt: Wurde über die Erhöhung einer Steuer - und die Widmung des Betrags für Bildung - abgestimmt, war die Zustimmung in Schulen höher als in Kirchen.
„Analytisches Denken fördert Unglauben“Aber es geht noch weiter: Schon der bloße Anblick von Rodins Plastik „Der Denker“ schwächt die Kraft des Glaubens, das hat Will Gervais (University of British Columbia) nun gezeigt. Er wollte die Hypothese überprüfen, „dass analytisches Denken religiösen Unglauben fördert“.
Hintergrund ist die Vermutung, dass im Gehirn zwei Informationsverarbeitungs-Systeme mit- und gegeneinander arbeiten, ein analytisches (System 2) und ein intuitives (System 1). Letzteres erklärt undurchsichtige Phänomene gern mit übernatürlichen Kräften oder Teleologie etc., es ist in Religionen geläufig.
Und wer eine Religion hat, bei dem schlägt dieses System auch generell ins Informationsverarbeiten durch. Gervais hat zunächst Denkaufgaben gestellt: „Zwei Waren, A und B, kosten zusammen 1,10 Dollar. A kostet einen Dollar mehr als B. Wie viel kostet B?“ Es gibt zwei Antworten, eine rasche, intuitive (10 Cent), sie ist falsch, die richtige (5) findet sich auf analytischem Weg. Die Probanden, die auf 10 getippt hatten, zeigten beim anschließenden Abfragen des Glaubens („Der Glaube beherrscht mein ganzes Leben“ vs. „Ich denke nicht viel über Religion nach“ etc.) höhere Religiosität. Gläubige Menschen halten es offenbar eher mit der Intuition (Science, S. 336, S, 496).
Aber auch das lässt sich steuern, mit „priming“, Signalen, die man gar nicht bemerkt: Der Anblick des „Denkers“ von Rodin schwächte den Glauben der Testpersonen, der Anblick der griechischen Statue eines Diskuswerfers nicht. Und auch bloße Wörter wirken: Wenn Testpersonen Sätze aus fünf Wörtern wie „denken“ etc. bilden sollten, fiel die anschließende Auskunft über den Glauben schwächer aus als bei neutralen Wörtern wie „springen“ etc. Die Wirkung zeigt sich selbst dann, wenn es nur darum ging, irgendein Wort zu lesen: War es so schwer entzifferbar gedruckt, dass schon die Lektüre Konzentration brauchte, setzte sich in den Gehirnen auch in religiösen Fragen eher das analytische „System 1“ durch.
Wie das alles zugeht - und selbst, was Ursache ist und was Wirkung: die Religion oder der Denkstil - ist unklar, und die Forscher wollen die Fragen auch nicht verengen: Die Absenz von Gottesglaube kann viele Gründe haben, es liegt nicht am analytischen Denken allein. Und: „Unsere Studie schweigt zu den langen Debatten über den Wert und die Rationalität religiösen Glaubens.“
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