Die Behörde "Efsa" soll dem Schutz der Verbraucher dienen. Doch die Verbindungen zur Industrie sind eng. Das schmeckt nun auch dem EU-Parlament nicht mehr.
Efsa, Europäische Lebensmittelbehörde
© Picture AllianceDie europäische Lebensmittelbehörde Efsa hat ihren Sitz in Parma in Italien
Die europäische Lebensmittelbehörde Efsa (European Food Safety Authority) soll über die Sicherheit von Lebensmitteln in der EU wachen - zum Beispiel, indem sie festlegt, welche Zusatzstoffe in Nahrungsmitteln enthalten sein dürfen. Auch über die Genehmigung von gentechnisch veränderten Organismen entscheidet die Behörde. Sie soll damit dem Schutz der Verbraucher dienen. Doch Kritiker werfen den europäischen Lebensmittelwächtern immer wieder zu enge Verbindungen zur Industrie vor. Nun zeigt sich auch das EU-Parlament besorgt über die Unabhängigkeit der Institution. Und ein aktueller Wechsel einer Spitzenkraft der Efsa zu einem Lobbyistenverband der Industrie heizt die Debatte um Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit der Behörde weiter an.

Im April dieses Jahres hat die EU-Politikerin Monica Macovei, Berichterstatterin im Haushaltskontrollausschuss, einen Antrag durchgesetzt, das Efsa-Budget aus 2010 nicht abzusegnen. Die Rumänin bemängelt unter anderem schwerwiegende Interessenkonflikte und zu hohe Ausgaben der Organisation - und fordert die Efsa auf, hier erst einmal aufzuräumen. An diesem Donnerstag stimmt das Parlament nun darüber ab, ob es der Kritik von Macovei folgt.

Neben dem Budget der Efsa steht auch die Entlastung der Budgets der Europäischen Arzneimittelagentur (Ema) und der Europäischen Umweltagentur (Eea) zur Debatte. Auch hier beanstandet der Haushaltsausschuss unangemessen hohe Ausgaben und mögliche Interessenkonflikte. "Dies ist ein einzigartiger Vorgang", sagt Christoph Then vom Münchner Verein Testbiotech, der sich selbst zum Ziel gesetzt hat, die "unabhängige Forschung und die gesellschaftliche Debatte über die Auswirkungen der Biotechnologie zu fördern". Zum ersten Mal genehmige der Ausschuss den Haushalt von mehreren EU-Behörden nicht. "Niemals zuvor wurde diese Notbremse gezogen. Das ist ein deutliches Zeichen, dass es so nicht weitergeht", so Then.

Einflussreicher Lobbyverband

Efsa-Mitgliedern ist es nicht grundsätzlich verboten, für die Industrie tätig zu sein. Sie müssen allerdings eine im Internet abrufbare Interessenerklärung abgeben, in der sie angeben, für welche Institutionen oder Firmen sie aktuell tätig sind oder es in den vergangenen fünf Jahren waren. Zudem müssen sie öffentlich machen, ob sie etwa Aktien eines Unternehmens halten und von wem sie Geld für Beratertätigkeiten oder Forschungsprojekte erhalten.

Bei der Efsa werden in dem Report vor allem die auf verschiedenen Ebenen immer wieder vorhandenen Verbindungen zum International Life Sciences Institute (ILSI) kritisiert, das Studien zu Umwelt- und Gesundheitsthemen erstellen lässt. Das Institut selbst gibt sich zwar den Anschein der Gemeinnützigkeit und Unabhängigkeit. Finanziert wird der Lobbyverband allerdings hauptsächlich von Großkonzernen wie BASF, Coca-Cola, Danone, Kraft, Nestlé, Unilever oder Monsanto - und damit von Unternehmen aus dem Nahrungsmittel- und Chemiebereich.

"Mit dem ILSI gibt es bei der Efsa systematische Verflechtungen auf mehreren Ebenen", kritisiert Then. Für Ärger sorgte etwa der Fall der Präsidentin des Efsa-Verwaltungsrates, Diána Bánáti, die lange Zeit gleichzeitig im Vorstand des ILSI saß. Pikant an der Sache: Die Ungarin hatte in ihrer Interessenerklärung zuerst nur angegeben, das Institut zu beraten; den Spitzenposten verschwieg sie.


Kommentar: Und wie viele andere Mitglieder der Efsa verschweigen wohl ihre Verbindungen zu den Lobbyverbänden/Großkonzernen?


Dass die beiden Posten nicht gerade miteinander vereinbar waren, dürfte Bánáti wohl letztlich bewusst gewesen sein - denn auf Druck von außen gab sie Ende 2010 einen davon ab, allerdings den beim Lobbyverband. Für die Efsa war sie danach weiterhin tätig.

Doch nun ist Bánáti als Präsidentin des Verwaltungsrates zurückgetreten - auf Drängen der Efsa, wie die Behörde jetzt mitteilte. Stattdessen übernimmt sie wieder eine Spitzenposition im umstrittenen ILSI. Nur einen Tag vor der wichtigen Abstimmung im Parlament liefert dieser Seitenwechsel neuen Zündstoff. "Das sieht doch stark nach einem Drehtüreffekt aus", kritisiert Then.

Genau diese "Drehtürpolitik" der Efsa - ein Wechsel von Experten aus der Behörde in die Industrie oder umgekehrt - wird in dem Macovei-Report kritistiert, allerdings am Beispiel der Belgierin Suzy Renckens: Sie leitete bis 2008 die Efsa-Abteilung für Gentechnik und wechselte kurz nach ihrem Ausscheiden aus der EU-Behörde zum Schweizer Agrarkonzern Syngenta, um sich dort weiter mit dem Thema zu beschäftigen - diesmal jedoch aus einer anderen Perspektive. Das Unternehmen stellt gentechnisch verändertes Saatgut her und vertreibt es - für den Verein Testbiotech, der den Fall öffentlich machte, ein potenzieller Interessenkonflikt, den auch der Ombudsmann der EU bestätigte.

Industriestudien, um Risiken zu bewerten

Kritiker beanstanden auch in der Gentechnikabteilung der Efsa schwerwiegende Interessenkonflikte. Die Expertengruppe ist für die Risikobewertung gentechnisch veränderter Pflanzen zuständig. "Der langjährige Leiter der Abteilung, Harry Kuiper, hat zuvor für eine Task Force des ILSI gearbeitet, in der ausschließlich Vertreter der großen Agrarkonzerne sitzen", sagt Then. Unter Kuiper sei die Risikoprüfung gentechnisch veränderter Pflanzen bei der Efsa vereinfacht und eine umfassende Prüfung vermieden worden, kritisiert Testbiotech. Der Verein hat den Fall ebenfalls dem Ombudsmann zur Prüfung vorgelegt.

Was den Fall Kuiper betreffe, sei man "wachsam", teilte eine Efsa-Sprecherin auf stern.de-Anfrage mit. Wobei jedoch zu berücksichtigen sei, dass Top-Wissenschaftler ihre Expertise nur dadurch erlangen könnten, dass sie auf ihrem Feld aktiv seien. Ähnlich klingt die Erklärung der Efsa-Direktorin Catherine Geslain-Lanéelle zu dem Fall: "Fast alle Wissenschaftler arbeiten heutzutage auf die ein oder andere Weise mit der Industrie zusammen", sagte sie in einem Interview mit der Zeitung taz.

Stephanie Töwe-Rimkeit, Gentechnikexpertin bei Greenpeace, sieht die Rolle der Efsa in diesem Feld kritisch. "Es ist zumindest auffällig, dass sich die Efsa bis jetzt kein einziges Mal negativ zu gentechnisch veränderten Importprodukten und Pflanzen für den Anbau ausgesprochen hat", sagt sie. Zudem habe es immer wieder Ungereimtheiten gegeben. So habe die Efsa beim Genmais MON 863 auf Grundlage einer von dem amerikanischen Saatgut- und Gentechnikkonzern Monsanto vorgelegten Studie keine Bedenken hinsichtlich der Sicherheit gesehen - im Gegensatz zu anderen Wissenschaftlern, die die Studie noch einmal unter die Lupe nahmen.

Ein großer Mangel ist der Gentechnikexpertin zufolge, dass die Risikobewertung in der Regel auf Grundlage von der Industrie eingereichten Studien erfolgt. "Hier müssen auch unabhängige Studien einbezogen werden." Ein Aspekt, den auch die EU-Politikerin Macovei in dem Report kritisch anmerkt.

Ex-Monsanto-Mitarbeiterin für Aufsichtsrat vorgeschlagen

Die Efsa wehrt sich gegen den Vorwurf der Industrienähe. Offenheit, Transparenz und Unabhängigkeit seien Grundwerte, schreibt die Behörde auf ihrer Internetseite. Seit Dezember vergangenen Jahres würden zudem neue Regeln gelten, die die Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Arbeit sichern sollen. Insgesamt seien im Jahr 2011 durch interne Kontrollmechanismen 360 mögliche Interessenkonflikte vermieden worden, so die Efsa weiter. 45 wissenschaftliche Experten seien von der Mitarbeit ausgeschlossen worden. Zudem betont eine Sprecherin gegenüber stern.de, dass die Empfehlungen der wissenschaftlichen Gremien immer ein gemeinschaftliches Ergebnis seien und keine Einzelmeinungen.

Doch aktuell sorgt ein weiterer Fall für Unmut: Der Vorschlag der EU-Kommission, mit Mella Frewen eine ehemalige Mitarbeiterin von Monsanto als neues Mitglied in den Verwaltungsrat der Efsa zu berufen. Frewen steht zudem dem Industrieverband "FoodDrinkEurope" vor.

Im EU-Parlament stößt die Wahl auf Widerstand. "Wir haben übereinstimmend über alle Fraktionsgrenzen beschlossen, dass wir diese Dame nicht unterstützen, weil wir annehmen, dass sie wegen ihrer Nähe zu Monsanto nicht objektiv entscheiden würde", sagte der österreichische EU-Abgeordnete Richard Seeber der Tageszeitung Die Presse. Das Parlament kann die Ernennung allerdings nicht verhindern, sondern lediglich Stellung beziehen. Denn letztlich entscheiden die Mitgliedstaaten.

"Industrie hat da nichts zu suchen"

Die Kommission begründete ihre Wahl unter anderem damit, dass laut Efsa-Gründungsstatuten in dem Gremium auch Mitglieder sitzen sollen, die einen "Hintergrund in Organisationen haben, die Verbraucherinteressen oder Interessen anderer entlang der Lebensmittelkette vertreten sollen", was Industrievertreter mit einschließt.

Genau das bemängeln jedoch Vertreter unabhängiger Organisationen. "Die Berufung von Mella Frewen in den Verwaltungsrat der Efsa würde dem Ruf der Behörde schaden", sagt Greenpeace-Expertin Töwe-Rimkeit. "Die Industrie hat in diesem Gremium nichts zu suchen", ist auch Then überzeugt. "Ihre Vertreter sollten vom Verwaltungsrat ausgeschlossen werden, um der Efsa eine echte Chance zur Veränderung zu geben." Stattdessen sollten Vertreter aus Umwelt- und Verbraucherverbänden berufen werden.

Der Verwaltungsrat, der aus 15 Mitgliedern besteht, ist vorrangig für organisatorische Aufgaben der Behörde zuständig - was die Efsa betont. In seinen Aufgabenbereich fällt allerdings auch die Besetzung der wissenschaftlichen Gremien, die wiederum Risiko-Gutachten ausarbeiten. Kritiker befürchten daher, dass der Verwaltungsrat auf diesem Weg durchaus die wissenschaftliche Arbeit beeinflussen kann.