Ein russischer Medienmogul, über den sonst so gut wie nichts bekannt ist, hat im vergangenen Jahr eine utopische Initiative gestartet und nun kürzlich in einem offenen Brief an Milliardäre um Unterstützung für sein ehrgeiziges Projekt gebeten: Dabei geht es um vollständig funktionsfähige, holografische menschliche Avatare als Gehirn-Computer-Schnittstellen, geplant ist der Erhalt von Bewusstseinsinhalten über den Tod hinaus.

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Realisiert werden soll dies in mehreren Schritten an speziell geschaffenen Instituten mithilfe spezialisierter Wissenschaftler. Dieses Programm schießt mit seinem Konzept noch weit über das aktuelle Avatar-Projekt der DARPA hinaus, jener futuristischen Technologieschmiede des Pentagon.

Zunächst liest sich das Ganze wie der Stoff zu einem überdrehten Science-Fiction-Streifen. Das alles scheint nicht sonderlich ernst gemeint, erinnert eher an die TV-Miniserie Ijon Tichy, »analoge Halluzinelle« & Co. Doch was sich Dmitri Itskow vorgenommen hat, soll die Zukunft des Menschen revolutionieren. In mehreren Stufen will er dafür sorgen, den menschlichen Geist für die Ewigkeit zu bewahren und Maschinen von Hirn-Computern aus zu steuern. Der russische Visionär gibt sogar einen Zeitplan für sein Projekt an: Bis zum Jahr 2045 soll ein neuer Mensch geschaffen sein - 2045 Initiative nennt Itskow folglich sein »Geisteskind«, das er im Februar 2011 ins Leben rief. Geht man davon aus, dass dieses Konzept einigermaßen realisierbar ist, würde die Menschheit wirklich an der Schwelle zu einer völlig neuen Form des Daseins stehen. Wie so oft bei solch weitreichenden Visionen stellen sich zwei Hauptfragen. Zunächst, ob diese Gedanken wirklich zukunftsweisend sind oder vielmehr nur abgedriftete Spinnereien. Dann aber auch, ob die Neuerung wirklich Segen bringt oder nicht eher doch Gefahren, die in letzter Konsequenz sogar neue Bedrohungen für uns alle bedeuten. Könnte Itskow dabei sein, die nächste Büchse der Pandora zu öffnen?

Diese Fragen zur Zukunft des Menschen führen zwangsläufig erst einmal wieder einen Schritt zurück. Sie führen zurück zu den gegenwärtigen Zukunftsprojekten der DARPA als fortschrittlicher militärischer Denkfabrik des Pentagon, die ihren Milliardenetat gewiss nicht an völlig ausweglose Ideen verschwendet. Somit kann sie einen Ausgangspunkt bilden, der zumindest auch eine vage Einordnung der 2045 Initiative zulässt. Dies umso mehr, als die DARPA mit ihrem Projekt Avatarähnliche Ziele verfolgt wie die Itskow-Initiative, wenn auch nicht so utopisch.

Wesentlich aber ist für die DARPA gleichfalls die zunehmende Verknüpfung zwischen Mensch und Maschine mitten auf dem Schlachtfeld. Der Soldat der Zukunft soll mittels geeigneter Algorithmen und Schnittstellen eng mit humanoiden Robotersystemen in Verbindung stehen und sie als ausführende Organe kontrollieren können. Diese Konstrukte dienten im Feld als Soldatenersatz, mehr noch, wohl als Übersoldaten, die mit künstlicher Intelligenz und ausreichend Agilität ausgestattet die »schmutzige Arbeit« des Krieges übernehmen müssten, so erklärt die DARPA. Was wiederum keineswegs hieße, dass Kriegsschauplätze allein von Robotern beherrscht würden. Die Maschinen könnten allerdings zahlreiche Aufgaben übernehmen, darunter auch Aufklärung,Sicherheit und die Bergung von Opfern. Derzeit im DARPA-Testarsenal: ein kopfloser Roboter, genannt Petman, sowie ein ziemlich monströses, vierfüßiges Etwas namens AlphaDog, das auf Soldaten wie der Hund aufs Herrchen hört und als Lastentransporter auch in relativ unwegsamem Gelände eingesetzt werden kann.

Die DARPA, deren Gesamtbudget für das Jahr 2013 bei 2,8 Milliarden US-Dollar liegt, zweigt nach derzeitigen Angaben sieben Millionen Dollar für Avatar ab. Für die Pentagon-Behörde gilt es aber auch, noch weiter zu denken und ein noch engeres Zusammenwirken zwischen Soldat und Roboter zu realisieren. Ohne genauere Angaben hierzu zu machen, unternahm die DARPA wie es heißt mittlerweile bereits erfolgreiche Experimente, Roboter allein durch Hirnströme zu steuern.

Zurück zur 2045 Initiative des Dmitri Itskow. Angesichts derDARPA-Pläne scheint sein Projekt lediglich die nächste folgerichtige Entwicklungsstufe zu sein. Der Russe, dessen Biografie sich in bemerkenswertes Dunkel hüllt, beabsichtigt mit seinen Bemühungen, Menschen von Leid und Tod zu bewahren, so die Darstellung des erst 31-Jährigen. Fast nahtlos knüpft seine Initiative dabei ans DARPA-Programm an.

Der erste Schritt soll ermöglichen, einen Roboter per Hirn-Schnittstelle fernzusteuern. Zwischen 2015 und 2020 will Itskow erreichen, dass solche »Androiden-Avatare« nicht nur realisiert, sondern auch weithin eingesetzt werden. Menschen könnten über diese Hilfe indirekt, aber unter völlig kontrollierten Bedingungen in gefährlichen Umgebungen arbeiten, Rettungseinsätze durchführen und unter Extrembedingungen reisen. Avatar-Komponenten würden in der Medizin zur Rehabilitation behinderter Menschen gebraucht, um neuartige Prothesen bereitzustellen und verloren gegangene Sinnesorgane zu ersetzen. In den darauf folgenden fünf Jahren zwischen 2020 und 2025 soll dann ein autonomes Lebenserhaltungssystem für das menschliche Gehirn geschaffen werden, verbunden mit einem Roboter-Avatar, um Menschen zu retten, deren Körper vollständig verschlissen oder irreparabel geschädigt sind. Sofern das Gehirn weiterhin intakt ist, soll der Patient nach Meinung von Itskow auf diesem Wege zu einem vollständig funktionsfähigen körperlichen Leben zurückkehren. Die 2045 Initiative beschreibt diesen Schritt als wesentlich, um hybride, bioelektronische Geräte zu schaffen und eine neue IT-Revolution einzuleiten.

Zwischen 2030 und 2035 soll es anschließend gelingen, ein Computermodell des Gehirns und des menschlichen Bewusstseins zu erzeugen, um anschließend Mittel und Wege zu ersinnen, das individuelle Bewusstsein auf einen künstlichen Träger zu transferieren. Die Initiative spricht in diesem Kontext von der Möglichkeit kybernetischer Unsterblichkeit, die unsere Welt verändern wird. Sie soll auch zur Entwicklung einer »freundlichen künstlichen Intelligenz« führen, soll die Fähigkeiten des Menschen erweitern und auch dem gewöhnlichen Bürger ermöglichen, das eigene Gehirn mehrmals wieder herzustellen oder zu modifizieren.

Im Jahr 2024 und somit in nur zwölf Jahren dürfte es laut Itskow dann bereits so weit sein, dass ein von Materie unabhängiger Geist einen neuen Körper erhält, dessen Kapazitäten weit über diejenigen gewöhnlicher Menschen hinausgehen. »Der Beginn einer neuen Ära der Menschheit«, so Itskow, der zu seinem Programm außerdem enthusiastisch kommentiert: »Heute ist eine Zukunft schwer vorstellbar, in der aus Nanorobotern bestehende Körper, die jede Form annehmen können, erschwinglich sein werden. Es ist auch schwierig, sich Körper-Hologramme vorzustellen, die kontrollierte Materie repräsentieren. Doch eines ist klar: Die Menschheit wird zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen völlig kontrollierten evolutionären Übergang durchmachen und schließlich eine neue Art werden. Darüber hinaus werden auch die Voraussetzungen für eine Expansion in den fernen Weltraum im großen Stil geschaffen.«

Um seine futuristische Initiative voranzutreiben, klopfte Itskow kürzlich mittels eines offenen Briefes an die Türen von Milliardären der legendären Forbes-Liste. Dabei argumentierte er gegenüber den Superreichen, sie hätten die finanziellen Möglichkeiten, ihr eigenes Leben bis in die Unsterblichkeit zu verlängern. Doch wie wahrscheinlich, wie realistisch sind die Gedanken Itskows wirklich? Sinnvoll beantworten kann diese Frage wohl derzeit niemand. Doch Skepsis dürfte angebracht sein, auch hinsichtlich des hypothetischen und doch recht straffen Zeitplans der Initiative. Selbst wenn der russische Unternehmer bereits genaue Pläne hinsichtlich der Umsetzung des Projekts besitzt und Forschungslabors, Fachwissenschaftler und modernste Technologie einbinden will, selbst wenn er eine Infrastruktur für Stiftungen, internationale Kongresse, Meisterklassen, Workshops und zahlreiche andere Bemühungen organisieren möchte: Die Initiative ist ein futuristisches Mammutprojekt! Solche Ziele in den kommenden drei Jahrzehnten zu erreichen, scheint derzeit für die meisten Menschen - Laien wie Fachleute gleichermaßen - unvorstellbar. Und so mahnt auch Dario Borghino vom Technikmagazin Gizmag: »Man muss sich hüten, zu glauben, dass unwahrscheinliche technische Fortschritte automatisch wahrscheinlicher werden, wenn man einfach weiter hinaus in die Zukunft blickt.« Andererseits wurden schon zahlreiche Utopien entgegen aller Negativprognosen und -prophezeiungen in die Tat umgesetzt, zumeist Gedanken, deren geistige Väter bekanntlich zu Lebzeiten für ihre vermeintlichen Hirngespinste weithin verhöhnt wurden. Welchen Nutzen die neuen Errungenschaften letztlich dann für die Gesellschaft hatten, war in jedem Falle eine eigene Diskussion.

Auch wenn die 2045 Initiative bereits vom Dalai Lama befürwortet wird, wie Itskow stolz verkündet, sagt dies letztlich noch nichts über die Schattenseiten einer derartigen Biotechnologie, die zunächst wohl nur die Reichsten und Mächtigsten für sich werden nutzen können. Allein bei der Vorstellung, Geist und Körper zu entkoppeln, erschauern so manche. Und wenn man die Möglichkeit ernsthaft in Erwägung zieht, dass ohnehin schon skrupellose Hirne sich künftig keinerlei Gedanken mehr über eigene körperliche Qualen machen müssten, welche Entfremdung von aller Menschlichkeit könnte diese Revolution mit sich bringen? Würde sie letztlich auch die Hemmschwelle für immer brutalere Kriege deutlich senken? Wie angemessen ist darüber hinaus der Gedanke, dass künstliche Gehirne mit dem geistigen Inhalt ihrer biologischen Vorlage menschliche Avatare steuern und so dennoch eine voll funktionsfähige Körperlichkeit im herkömmlichen Sinne empfinden sollen? Womit endet letztlich die artifizielle Immortalität? Wenn das irdische Dasein zur virtuellen Blase verkommt, wie groß ist dann noch sein realer Wert? Vielleicht ist es doch gut so, wie es ist, denn zumindest die Vision der 2045 Initiative scheint eher keine echte Alternative zu sein, so faszinierend sie als Forschungs- und Zukunftsprojekt auch sein mag.