Ein Blick hinter die Kulissen der Pharma-Branche: Wer eigentlich schluckt die Pillen, die erst in der Entwicklung sind, also reichlich Risiken und Nebenwirkungen bergen?
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© MDR/NeoproductionsHerr Buchmüller will herausbekommen, was 1989 wirklich passierte.
Medikamente sind etwas ganz Wunderbares. Etwas, das den wissenschaftlichen Fortschritt, den wir Menschen vorantreiben, eindrucksvoll symbolisiert. Medikamente können Schmerzen lindern, Leben verlängern, Familien wieder glücklich machen. Das Problem ist nur: Diese wunderbaren Helfer der Menschheit haben auch eine Vorgeschichte. Sie müssen erst entwickelt werden. Und in dieser Entstehungsphase können sie das Gegenteil von dem darstellen, was sie eigentlich sein sollen: Da sind sie kein Beglücker, sondern eine Gefahr.

Arte machte dies zu einem Themenabend. Im Beitrag „Die Pillen-Tester“ lernen wir Probanden kennen, die gegen Zahlung einer bestimmten Summe Medikamente testen, die zuvor noch nie an Menschen ausprobiert wurden. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission, sagt in dem Film den Satz: „Die Bezahlung darf kein Anreiz sein, über diese Studien Geld zu verdienen.“ Es ist ein Satz, der offenbar besagen soll: Das Geld, das die Versuchsteilnehmer erhalten, soll sie nicht dazu verleiten, mit ihrem Körper Schindluder zu treiben. Weshalb aber, bitteschön, sollten gesunde Menschen sich sonst darauf einlassen, sich als Versuchskaninchen zur Verfügung zu stellen, wenn nicht um der in Aussicht gestellten Euro willen?

2000 Euro - ein „Super-Zubrot“

Bei Christian jedenfalls ist das so. Der 30-Jährige, den wir in dem Film kennenlernen, studiert Betriebswirtschaft und macht sich gerade auf den Weg in eine Klinik. Fünf Tage wird er sich dort aufhalten, um sich ein Blutgerinnungsmedikament spritzen zu lassen, bei dem natürlich - das Arzneimittel wurde bislang erst an Tieren getestet - unerwartete Nebenwirkungen nicht auszuschließen sind. Knapp 2000 Euro erhält er dafür - für ihn als Student, wie er sagt, „ein Super-Zubrot“.

Acht Versuchsreihen gleichzeitig

Lars, den Arte ebenfalls aufgetan hat, muss über seine Versuchsreihen, an denen er teilnimmt, aufwändig Buch führen. An acht verschiedenen Tests war er gleichzeitig beteiligt. Das ist zwar verboten, aber aufgefallen ist das niemand. Ebenso wenig wie seine Diabetes-Erkrankung. Und so testet er, was geht, neue Mittel gegen Schnupfen oder auch gegen Hämorrhoiden. „Ich muss gucken, wie ich zu Kohle komme“, sagt der arbeitslose Schlosser, der Hartz IV bezieht.

Die Gefahr, seine Gesundheit bei derlei Versuchen zu ruinieren, ist sehr real - wie ein Hamburger Ex-Probant erfahren musste. Seit Jahren streitet er vor dem Landgericht um eine Entschädigung, weil ein neuartiges Krebs-Medikament bei ihm zu schweren Verbrennungen an Arm und Rücken führte. Für 1000 Euro hätte er eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben sollen, angeblich um das Test-Debakel zu vertuschen. Er ließ sich darauf nicht ein.

Der wilde Pharma-Osten

Christian, Lars und der Fall Hamburg - es sind drei Fälle, mit denen Arte zeigt: Der gesundheitliche Fortschritt hat auch in der Bundesrepublik, mitten unter uns, seinen Preis. Einen Preis, der aber, glaubt man dem Arte-Abend, in anderen Gesellschaften noch deutlich höher ausfällt. „Pharmalabor Ost“ nannte sich der Beitrag, der den „Pillen-Testern“ unmittelbar vorausging und Geschichten aus dem wilden Osten berichtete. Aus der DDR vor dem Mauerfall sowie jüngere Begebenheiten aus Polen und Rumänien. Dort, so zeigen aufwändige Recherchen des Arte-Teams, testeten westliche Pharma-Konzerne ihre neuen Pillen besonders gerne, weil sie keine kritische Öffentlichkeit oder strenge Aufseher fürchten mussten. Im Gegenteil: Die DDR, die in den 80er Jahren wirtschaftlich zunehmend am Ende war, verkaufte ihre Bevölkerung regelrecht. Wie Versuchskaninchen, die eben dies gar nicht wussten: Dass es sich um unerprobte Arzneimittel handelte, denen sie sich aussetzten und mit denen sie ihre Gesundheit riskierten. Oder sogar ihr Leben. Bisweilen kam es bei den Testreihen den Arte-Recherchen zufolge auch zu Todesfällen.

Es war, alles in allem, ein überzeugender Themen-Abend, der gut aufgearbeitet war , bei dem GEZ-Zahler ihr Geld mal wieder in sinnvolle Arbeit umgesetzt sahen - der aber im Nischensender Arte leider wieder einmal ein viel zu kleines Publikum erreicht haben dürfte.