Vor zwei Jahren sorgte der angesehene Psychologe Professor Daryl Bem mit der Publikation einer Studie für internationales Aufsehen und einen nicht minderen Aufschrei der Wissenschaftsgemeinde, als er im nicht weniger respektierten Fachjournal "Journal of Personality and Social Psychology" behauptete, den Beweis für die Fähigkeit des Menschen zur Vorherahnung zukünftiger Ereignisse gefunden zu haben. Seither dauert der Expertenstreit um die Interpretation der Ergebnisse unvermindert an (...wir berichteten, s. Links). Ohne Bezug zu Bems Arbeit und der Kontroverse haben US-amerikanische und italienische Psychologen nun eine Meta-Analyse veröffentlicht, die die menschliche Fähigkeit zu belegen scheint, eigentlich unvorhersehbare zukünftige Ereignisse vorherzusehen und entsprechend physiologisch zu reagieren.
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© Public DomainArchiv: Illustration der hist. Vorstellung der Schmerzleitung nach René Descartes' "Traite de l'homme" von 1664.

Evanston (USA) - Wie Julia Mossbridge von der Northwestern University, Patrizio Tressoldi von der Università di Padova und Jessica Utts University of California aktuell in der Spezialrubrik "Frontiers in Perception Science" des Fachmagazins Frontiers in Psychology berichten, basiert ihre Meta-Analyse auf der Beobachtung, dass anregende und neutrale Stimulation beim Menschen zu geringfügig unterschiedlichen Reaktionen "nach" dem Reiz führt, dass zugleich jedoch eine Vielzahl der in der Meta-Analyse untersuchten Studien zu diesem Effekt auch eine deutlich "vor" dem Reiz messbare Reaktion belegen und dies selbst dann, wenn die Art des Reizes auf einer zufälligen Auswahl durch einen Computer basierte.

Die Autoren der entsprechenden Studien bezeichnen diesen Effekt oft als "Vorgefühl" bzw. "Vorahnung", wenn Probanden oder Patienten ein Ereignis schon physiologisch wahrnehmen, "bevor" es passiert, oder sprechen in solchen Fällen dann von "unerklärter vorausschauender Aktivität" (unexplained anticipatory activity).

Zugleich gehen die Autoren der Studie mit ihrer Interpretation aber derart vorsichtig um, dass sie selbst letzteren Begriff (unexplained anticipatory activity) bevorzugen, "da dieser das Phänomen beschreibe, ohne zugleich zu implizieren, dass der Effekt tatsächlich eine Umkehrung der normalen vorwärts gerichteten Kausalität darstellt."

Unabhängig dieser Fragen der Terminologie, belegt das Ergebnis der Meta-Analyse durch Mossbridge, Tressoldi und Utts, dass unser Körper bereits ganze 2 bis 10 Sekunden "vor" dem eigentlichen Ereignis, also dem ausgeübten Reiz, ganz gezielt auf den zukünftigen Reiz reagieren kann, selbst wenn wir - aufgrund der zufälligen Auswahl der Reizart - diese gar nicht vorhersehen können.

"Man muss nicht wirklich betonen, dass diese Feststellung nicht wirklich Teil des Kanons derzeitig naturwissenschaftlicher Paradigmen ist", kommentiert Greg Taylor auf "dailygrail.com" die Ergebnisse der aktuellen Studie.

Dennoch stammen die beschriebenen physiologischen Reaktionen aus einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen, darunter Studien zur Hautleitfähigkeitsreaktionen, Herzfrequenz, zum Blutvolumen, zur Atmung, elektroenzephalographischer (EEG) Aktivität, Pupillenerweiterung, Blinzelfrequenz oder vom Blutsauerstoffgehalt abhängiger Reaktionen (blood oxygenation level dependent - BOLD).

Zwar sind die anhand der Meta-Analyse gefundenen Effekte klein, weisen aber dennoch eine hohe statistische Signifikanz auf. Zugleich scheint die Analyse die Möglichkeit auszuschließen, dass es sich bei den Ergebnissen um Artefakte von schlechtem Experiment-Aufbau bzw. Versuchsplänen handelt, da selbst höher qualitative Experimente - die methodologische Bedenken, etwa durch eine Randomisierung und eine Analyse der Erwartungstendenz berücksichtigten - teilweise deutlich höhere Signifikanzniveaus aufzeigten als Studien von geringerer Qualität.

Hinzu analysierten die Autoren auch Daten aus Studien der emotionalen Physiologie, die den Vorahnungs-Effekt gar nicht untersucht hatten und fanden selbst in den Daten dieser Studien einen Beleg für das Phänomen.

Abschließend skizziert die Studie eine ganze Anzahl möglicher profaner Erklärungen für den beobachteten Effekt - gesteht aber ein, dass es für keine dieser Erklärungen einen schlagenden Beweis gibt:

"(...) die Ergebnisse unserer Meta-Analyse belegen einen deutlichen Effekt. Wir sind uns aber nicht darüber im Klaren, wie dieser Effekt erklärt werden kann. Wir schlussfolgern, dass für den Fall, dass eine scheinbar anomale vorausschauende Aktivität existiert, es auch möglich sein sollte, diese in mehreren voneinander unabhängigen Laboratorien, unter Einhaltung vereinbarter Protokolle, gemeinsamer abhängiger Variablen und abgestimmter Analysemethoden, zu reproduzieren. Auf diese Weise könnte das Problem mit noch größerer Zuversicht und Genauigkeit angegangen werden."

Fast, als geschehe dies aus einer vorherseherischen Angst heraus, ihre Studie könnte in der Wissenschaftsgemeinde auf ähnlichen Gegenwind und Empörung stoßen, wie die Behauptungen von Professor Bem, heben die Autoren der Meta-Analyse abschließend erneut hervor, dass "der Grund für diese vorahnende Aktivität - im Gegensatz zu übernatürlichen und paranormalen Prozessen - unzweifelhaft im Bereich natürliche physikalischer Prozesse" liege, jedoch noch bestimmt werden müsse.

"Mit diesem Schlusssatz" so kommentiert auch Greg Taylor die Meta-Analyse abschließend, "meinen sie wahrscheinlich: 'Nun, die meisten Menschen würden unsere Ergebnisse zwar als paranormal beschreiben, aber da wir alle Skeptiker und Wissenschaftler verlieren würden, wenn wir dies ebenfalls tun, streiten wir genau dies eindeutig ab' ".

- Die vollständige Meta-Analyse finden Sie hier


Quellen: frontiersin.org/Perception_Science, dailygrail.com