Ein wenig befremdlich klingt es schon: Plastik, hergestellt aus Abfall-Fett? In Österreich fertigen Forscher aus Schlachthausresten einen neuartigen Kunststoff. Das Material ist nur halb so teuer wie herkömmliches Bioplastik - tierische Fette taugen sogar als Ökosprit für Flugzeuge.
Schlachthof
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Schlachthäuser könnten künftig nicht nur Fleisch für Schnitzel, Steaks und Würste liefern - sondern die Verpackung gleich mit. Denn aus den Schlachtabfällen lässt sich ein neuartiger Biokunststoff herstellen. Sogar den Transport bis zur Ladentheke könnte der Rohstoff ermöglichen, schließlich kann man aus den Tierresten auch umweltfreundlichen Treibstoff gewinnen.

Die ersten Versuche laufen bereits: In schrankhohen Stahlkesseln in einem Labor in Österreich "verarbeiten wir in kleinem Maßstab schon Schlachtabfälle zu grünem Kunststoff", erklärt Martin Koller vom Institut für Biotechnologie und Bioprozesstechnik der Technischen Universität Graz. Er ist Koordinator des EU-Projekts ANIMPOL, einem Kunstwort aus "animal" für "Tier" und "pol" für "Polyester".

Polyester entsteht wie jeder herkömmliche Kunststoff aus Erdöl - und diese schwarze Masse ist nichts anderes als der Überrest von Lebewesen, die vor Jahrmillionen gestorben sind. Ihre Bausteine sind auch in heutigen Organismen enthalten. Das nutzt ANIMPOL aus und will - ausgerüstet mit drei Millionen Euro EU-Fördergeld - das Plastikzeitalter nachhaltiger gestalten. "Allein im letzten Jahr wurden weltweit rund 250 Millionen Tonnen Kunststoff mit Hilfe fossiler Brennstoffe produziert", konstatiert Koller. "So werden nicht nur wertvolle Rohstoffe vernichtet, die zur Neige gehen. Zudem entsteht ein Umweltproblem, wenn dieses Plastik entsorgt werden muss."

Von der einfachen Verpackung bis zum hochwertigen Implantat

Zwar gibt es bereits Bioverpackungen. Doch sie enthalten oft Erdölanteile und basieren auf nachwachsenden Rohstoffen wie Maisstärke. Die Herstellung dieser Biokunststoffe steht also in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion - ähnlich wie der heftig diskutierte Biosprit. "Wir müssen Rohstoffe einsetzen, die reine Abfallprodukte sind und die Ernährungssituation nicht beeinflussen", betont daher Koller.

Nach Angaben der Ernährungsorganisation Food Watch landet bis zu einem Drittel von jedem Tier beim Schlachten im Abfall. Ein großer Teil davon ist Fett. Rund 500.000 Tonnen produziert Europas Schlachtindustrie davon jedes Jahr - und verbrennt es meistenteils.

Um stattdessen aus dem überschüssigen Fett Bioplastik herzustellen, setzt Kollers Team auf Mikroorganismen, die es speziell zu diesem Zweck gezüchtet hat. Zunächst wandeln die Forscher das Restfett chemisch in Biodiesel um. Dieser dient anschließend als Futter für die Bakterien. Die Mikroorganismen produzieren daraus winzige Kügelchen des Biokunststoffs. Aus den 500.000 Tonnen Abfallfett können auf diese Weise etwa 200.000 Tonnen Plastik entstehen.

Die Wissenschaftler sind sogar in der Lage, die Materialeigenschaften genau zu steuern. Gefüttert mit den passenden Nährstoffen, stellen Mikroben vom Stamm Cupriavidus necator Kunststoff her, der eher starr ist und sich für die Produktion von Einweggeschirr oder Kugelschreiberhüllen eignet. Sogenannte Pseudomonaden dagegen erzeugen eine eher gummiartige Substanz. Die Verwendung für den Kunststoff reicht damit von einfachen Verpackungsmaterialien bis hin zu hochwertigen Produkten wie Bioimplantaten.

Die Akzeptanz der Verbraucher müsse sich noch beweisen

Das neue Material ist Koller zufolge zudem nur halb so teuer wie herkömmliches Bioplastik, das mit drei bis fünf Euro pro Kilogramm zu Buche schlägt. Eine entsprechende Einkaufstüte würde damit zwar immer noch das Doppelte einer herkömmlichen Plastiktasche kosten - aber eben nicht mehr das Vierfache.

Ob allerdings die Verbraucher das Produkt akzeptieren, muss sich zeigen. "Der Gedanke, Lebensmittel in einer Tragetasche aus Schlachtabfällen zu transportieren, könnte abschreckend wirken", gesteht Anke Leighty von der Mainzer Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung. Ganz anders schätzt Umweltforscher Michael Braungart das Verbraucherverhalten ein. "Die Kunden werden begeistert sein, dass nachhaltige Verpackungen aus Resten gefertigt werden", glaubt der Leiter des EPEA-Instituts für Internationale Umweltforschung in Hamburg. Er ist überzeugt: "Das Verfahren ist ökologisch äußerst sinnvoll und dürfte bald Nachahmer finden."

Die Forscher jedenfalls arbeiten daran, auch andere Reste der Nahrungsmittelindustrie zu verwerten. So fallen beispielsweise in der europäischen Käseproduktion jedes Jahr rund 50 Millionen Tonnen Molke an. Ein Großteil davon landet auf dem Müll. "Daraus könnten wir mit Hilfe spezieller Bakterien biologisch abbaubaren Biokunststoff herstellen", erklärt Koller.

Jährlich 500.000 Tonnen Biodiesel aus Abfallfetten

Die Schlachtabfälle könnten sogar der Luftfahrtbranche auf die Sprünge helfen. Bis zum Jahr 2050 wollen die Airlines ihren CO2-Ausstoß im Vergleich zum Jahr 2005 um die Hälfte reduzieren.


Um das Branchenziel zu erreichen, hat der Lufthansa-Konzern im Jahr 2011 zu Testzwecken einen ungewöhnlichen Cocktail in die Tanks des Airbus A321 gepumpt: Eine Hälfte des Gemischs bestand aus herkömmlichem Kerosin auf Rohölbasis, den Rest lieferte Öl aus der tropischen Energiepflanze Jatropha, Leindotteröl sowie zu fünf Prozent Fette finnischer Schlachtabfälle.

"Dieser Biosprit hat sich bei unserem sechsmonatigen Test auf der Strecke Frankfurt-Hamburg als absolut alltagstauglich erwiesen", erklärt Lufthansa-Sprecherin Sandra Kraft. Kleiner Nachteil: Der Treibstoff ist doppelt so teuer wie normales Kerosin.

Das soll sich allerdings ändern. Für 2013 ist in Österreich eine Produktionsanlage für die industrielle Herstellung von Bioplastik und Biodiesel aus Schlachtabfällen geplant. Koller ist überzeugt: "Wir könnten aus Abfallfetten jährlich rund 500.000 Tonnen Biodiesel herstellen, der sich leicht zu preiswertem Flugzeug-Sprit veredeln lässt."

Die Menge ist zwar gering im Verhältnis zu den rund neun Millionen Tonnen Kerosin, die allein die Lufthansa 2011 verflogen hat. Und auch die von den Forschern angestrebten 200.000 Tonnen Biokunststoff können nur einen Bruchteil der elf Millionen Tonnen Plastik ersetzen, die vergangenes Jahr in Deutschland verbraucht wurden. Aber Plastik oder Treibstoff aus Schlachtabfällen zu gewinnen ist allemal besser, als den Rohstoff einfach zu vernichten.

© Technology Review, Heise Zeitschriften Verlag, Hannover