Durch die Kartierung der Masseverteilung einer gewaltigen galaktischen Kollision, sind US-Astronomen auf deutliche Hinweise auf eine bislang unbekannte Kraft gestoßen, die offenbar nur auf sogenannte Dunkle Materie einwirkt. Sollte sich die Beobachtung und die Schlussfolgerung der Forscher bestätigen, würde es sich um eine weitere und damit fünfte physikalische Grundkraft im Universum handeln.
Musketenkugel-Galaxiehaufen
© NASA/STScI; ESO WFI; Magellan/U.Arizona/D.Clowe et al. Röntgenteleskopaufnahme des Musketenkugel-Galaxienhaufens im Sternbild Krebs.
Davis (USA) - Wie der Astronom William Dawson von der University of California auf dem Jahrestreffen der American Astronomical Society im kalifornischen Long Beach berichtet, entdeckte er und sein Team diese Hinweise bei der Beobachtung und Kartierung der Massenverhältnisse im sogenannten Musketenkugel-Galaxienhaufen (DLSCL J0916.2+2951), einem gewaltigen Himmelsobjekt im Sternbild Krebs, rund 5,2 Milliarden Lichtjahren von der Erde entfernt.

Für gewöhnlich sind Galaxien durch die Gravitation an andere Galaxien gebunden und bilden so gewaltige Galaxienhaufen. Der Musketenkugel-Galaxienhaufen ist hierbei ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn zwei solcher Galaxienhaufen, von denen beide aus mehreren hundert Einzelgalaxien bestehen, miteinander kollidieren.

Im Musketenkugel-Galaxienhaufen machen jedoch die sichtbaren Sterne gerade einmal zwei Prozent der Gesamtmasse des Haufens aus. Etwa 12 Prozent dieser Masse besteht hingegen aus heißem Gas das mit Röntgenteleskopen entdeckt und gemessen werden kann (s. Abb.). Der Rest der Gesamtmasse, etwa 86 Prozent, besteht hingegen aus unsichtbarer sogenannter Dunkler Materie. Da normale feste Materie nur einen derart geringen Anteil der Gesamtmasse ausmacht, ist die Chance recht hoch, dass bei dieser Kollision kaum Galaxien des Haufens miteinander kollidieren, sondern diese lediglich aneinander vorbeiziehen.

Obwohl die Dunkle Materie natürlich auch im Musketenkugel-Galaxiehaufen unsichtbar ist, können Astronomen ihre Verteilung dadurch untersuchen, indem sie die gewaltige Masse des Galaxienhaufens als sogenannte Gravitationslinse nutzen, wenn diese Masse das Licht dahinterliegender Objekte etwa zu einem sogenannten Einstein-Ring verzerrt. Die Art und Weise, wie die Masse das Licht dann verzerrt, verrät den Astronomen dann die Verteilung der Dunklen Materie.

Diese Methode auf den Musketenkugel-Galaxienhaufen angewandt, stießen die Wissenschaftler nun jedoch auf ein merkwürdiges Phänomen: Verdichtungen Dunkler Materie werden relativ zu den sichtbaren Galaxien im Haufen verlangsamt. "Wir können einen Abstand zwischen der Dunklen Materie und den Galaxien von etwa 19.000 Lichtjahren ausmachen", zitiert "wired.com", den Wissenschaftler.

Der Grund, weswegen diese Beobachtung so ungewöhnlich ist, ist der, dass Dunkle Materie für gewöhnlich kaum mit sich selbst reagieren sollte. "Die Dunkle Materie sollte innerhalb der Kollision eigentlich ganz einfach durch sich selbst hindurchgleiten und sich demnach in etwa genau so schnell bewegen, wie die aufgrund der gewaltigen Abstände ebenfalls kaum miteinander interagierenden Galaxien.

Stattdessen hat es jedoch den Anschein, als ob die Dunkle Materie mit etwas Zusammenstößt - möglicherweise mit sich selbst - was sie abbremst und so im Vergleich zu den Galaxien derart verlangsamt. Die Voraussetzung hierfür wäre jedoch, dass die Dunkle Materie überhaupt mit sich selbst interagieren kann und das wäre ein bislang völlig unerwartetes und ebenso bislang unbekanntes Verhalten dieser Materie. Es würde sich also um eine neue universelle Naturkraft handeln - zusätzlich zu den vier bislang bekannten Grundkräften: Gravitation, Elektromagnetismus, starke und schwache Wechselwirkung.

Zwar wurde über die Existenz einer solchen fünften Grundkraft schon vielfach spekuliert und sie auch mit Teilchenbeschleunigern konkret gesucht - nachgewiesen oder direkt beobachtet konnte sie bislang jedoch noch nicht werden.

Obwohl diese "Dunkle Kraft" (noch) nicht Teil bisheriger physikalischer Modelle ist, könnte sie schon bald dabei behilflich sein, das Verhalten und zahlreiche Phänomene der Dunklen Materie besser zu verstehen.

Eine dieser Fragen ist das sogenannte Kern-Problem in Zwerggalaxien und Sternhaufen. Hier sollte Dunkle Materie sich eigentlich im Zentrum dieser Objekte konzentrieren - würde sie lediglich mit der Schwerkraft interagieren. Stattdessen ist jedoch in nahezu allen dieser Objekte genau das Gegenteil zu beobachten - ist die Dunkle Materie in diesen Haufen doch meist geradezu gleichmäßig verteilt. Würde Dunkel Materie nun durch die "Dunkle Kraft" mit sich selbst interagieren, könnte dies eine solche Verteilung, die der von Gas gleicht, erklären.

Zudem könnte die Entdeckung ein neues Beobachtungsfeld zum sogenanten "Dunklen Sektor" eröffnen. Mit dieser Bezeichnung beschreiben einige Wissenschaftler eine vermeintlich ganze Reihe von Kräften, die sich nicht auf normale Materie auswirken. Da bisherige Modelle über die Dunkle Materie davon ausgehen, dass die sie bildenden Teilchen sehr einfach aufgebaut sind und keinen besonderen Kräften unterliegen, gab es bislang für die meisten Physiker und Denker schlichtweg keinen Grund anzunehmen, dass dies anders sein könnte.

"Ich stelle mir dann immer gerne eine fremde, wissenschaftlich denkende Lebensform vor, die selbst vollständig aus dunkler Materie besteht aber nicht einmal in Betracht zieht, dass unsere Form der Materie derart komplex sein und mit Kräften und sich selbst interagieren könnte - einzig und alleine aus dem Grund heraus, dass die Wissenschaft dieser Wesen aus Dunkler Materie unsere Materie nicht nachweisen kann", so Dawson.

Da selbst Dawson und Kollegen bislang jedoch nur mit 85-prozentiger Sicherheit sagen können, dass das, was sie beobachten durch die Interaktion von Dunkler Materie mit sich selbst erklärt wird, müssen weitere Untersuchungen die Theorie der Forscher nun noch überprüfen und belegen. "Eine solche Wahrscheinlichkeit ist zwar recht gut, wenn man sich in Las Vegas befindet - aber Wissenschaftler können aber keine großen Behauptungen aufstellen, wenn es noch Unsicherheiten von bis zu 20 Prozent gibt". Gerade die Verzerrung des Lichts durch Gravitationslinsen sei eine sehr diffizile Angelegenheit und berge eine Vielzahl an möglichen Fehlerquellen.


Quellen: wired.com