Neue Untersuchungsergebnisse, welche die Gefährlichkeit der meistverkauften chemischen Insektenvernichtungsmittel der Bayer AG bestätigen, sind mehr als beunruhigend. Die Mittel werden mit dem dramatischen Anstieg des Verschwindens von Bienenvölkern und dem Tod von Singvögeln in Europa und Nordamerika in Verbindung gebracht.
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Es deutet sogar einiges darauf hin, dass fetale Zellen im mütterlichen Blut und die Gehirne ungeborener Kinder durch das giftige Insektizid von Bayer geschädigt wurden. Dennoch weigern sich die EU-Behörden bislang, ein Verbot oder auch nur ein Moratorium gegen diese neue Klasse von Insektiziden, die Neonicotinoide, zu verhängen.

Zu Beginn der 1990er-Jahre brachte Bayer eine neue Klasse chemischer Insektizide, die Neonicotinoide, auf den Markt. Diese werden unter verschiedenen Handelsnamen wie Clothianidin, Poncho und Gaucho vertrieben. Die Neuentwicklung war eine Reaktion auf die verbreitete Resistenz; ebenso auch auf gesundheitliche Bedenken gegen ältere Pestizide. Heute sind die Neonicotinoide von Bayer und anderen Herstellern die am meisten verkauften Insektizide von China bis zu den Vereinigten Staaten. Bei den Neonicotinoiden handelt es sich um »systemische« Chemikalien, welche die Insekten töten, indem sie in die Zelle der Pflanzen gelangen. In England wird das Mittel für Nutzpflanzen wie Raps und für Topfpflanzen verwendet.
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© Daniel Prudek / ShutterstockDas Neonicotinoid Poncho, das meistverkaufte Insektizid der Bayer AG, wird mit dem Sterben von Bienen und Vögeln – und Schlimmerem – in Verbindung gebracht
Vor fünf bis sechs Jahren wurde aus den Vereinigten Staaten und der EU - besonders aus England - berichtet, dass ganze Bienenvölker verschwanden. Seit 2004 sind in den USA mehr als eine Million Bienenvölker eingegangen. Imker aus 25 Bundesstaaten melden den so genannten Bienenvolk-Kollaps. Im Winter 2009 ging in England ungefähr ein Fünftel der Bienenvölker ein, das ist das Doppelte der normalen Rate. Staatliche Behörden behaupteten, sie stünden vor einem Rätsel.

Beunruhigende Studien

Mitarbeiter einer privaten britischen Forschungsorganisation namens "Buglife and the Soil Association" führten 2007 verschiedene Tests durch, um der Ursache des Bienensterbens auf die Spur zu kommen. Sie stellten dabei fest, dass der Rückgang teilweise durch Neonicotinoide verursacht wurde. Buglife kam zu dem Schluss, dass neonicotinoidhaltige Pestizide das Nervensystem der Bienen schädigten und dadurch die Gesundheit und den Lebenszyklus langfristig beeinträchtigten. In dem Bericht heißt es: »Neonicotinoide sind möglicherweise ein wichtiger Faktor bei dem gegenwärtig beobachteten Rückgang der Bienenpopulation. Sie könnten auch zum Rückgang anderer Arten von Nichtziel-Invertebrata [wirbellose Tiere] beitragen.iDie Organisation forderte ein völliges Verbot sämtlicher neonicotinoidhaltiger Pestizide. Bislang ist die EU weder dieser Forderung noch den Appellen vieler prominenter Wissenschaftler nachgekommen.

In einem im März dieses Jahres veröffentlichten Bericht schrieb die Organisation "American Bird Conservancy": »Neonicotinoidhaltige Insektizide werden Vögel schon bei einem Bruchteil der bei anderen Pestiziden tödlichen Dosis schwächen, und diese Schwächung wird länger andauern. Wahrscheinlich werden kleine, nicht-tödliche Dosen bei Vögeln eine Teillähmung und andere nicht-tödliche Beeinträchtigungen bewirken. Diese Wirkung entgeht der Aufsicht, die sich ausschließlich auf tödliche Werte konzentriert«.ii Weiter heißt es: »Neonicotinoide sind nicht nur tödlich für Vögel, sondern auch für die Wassersysteme, von denen sie abhängen. Ein einziges mit einem Nicotinoid belastetes Maiskorn kann einen Singvogel töten. Selbst ein winziges Weizen- oder sonstiges Getreidekorn, das mit dem ältesten Nicotinoid, Imidacloprid, behandelt wurde, kann einen Vogel vergiften. In der Zeit des Eierlegens reicht bei den heute zugelassenen Neonicotinoiden schon ein Zehntel eines Maiskorns pro Tag aus, um die Fortpflanzung zu beeinträchtigen.«iii

In Deutschland sammelte das Julius-Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen (JKI) in Quedlinburg, Proben toter Honigbienen. Als Todesursache wurde Clothianidin ermittelt. Bayer CropScience schob das Sterben auf mangelhafte Samen-Chargen. Wenig überzeugend behauptete das Unternehmen, die Umhüllung habe sich bei der Aussaat vom Saatgut gelöst, so dass ungewöhnlich große Mengen an giftigem Staub auf angrenzende Felder gedriftet seien, wo Bienen Pollen und Nektar sammelten. Wie Rechtsanwalt Harro Schultze hervorhebt, werde vermutet, dass Bayer fehlerhafte Studien vorgelegt habe, um die Risiken von Pestizid-Rückständen in behandelten Pflanzen herunterzuspielen. Rechtsanwalt Schultze vertritt eine Koalition verschiedener Gruppen, die Anzeige gegen Bayer erstattet haben. Das Bayer-Management müsse zur Rechenschaft gezogen werden, da die Risiken bereits seit mehr als zehn Jahren bekannt seien.iv

Im Januar 2012 veröffentlichte das US-Landwirtschaftsministerium einen neuen Bericht, den Wissenschaftler unter der Leitung von Jeffrey Pettis vom Bienenforschungsinstitut des Ministeriums ausgearbeitet hatten. Die Studie, die in der deutschen Fachzeitschrift Naturwissenschaften veröffentlicht wurde, war brisant.

Sie bestätigte, dass sorgfältig durchgeführte Experimente mit Bienen die Neonicotinoiden ausgesetzt waren, eine Wechselwirkung zwischen nicht-tödlichen Konzentrationen von Imidacloprid (Gaucho von Bayer) und der Bildung von Nosema-Sporen im Darm der Tiere ergeben hatte. Wie die Wissenschaftler mitteilen, zeigten ihre Ergebnisse, dass die gegenwärtig üblichen Methoden zur Bewertung möglicher negativer Auswirkungen von Pestiziden unzureichend seien. Es sei nicht die erste Studie, die eine komplexe und unerwartete Wechselwirkung zwischen schwach dosierten Pestiziden und einer Pathogenbelastung belegten. Man brauche neue Teststandards, welche die größere Anfälligkeit berücksichtigten. Eine subtile Wechselwirkung, wie sie sich bei dieser Studie gezeigt habe, könnte maßgeblich zu der weltweit beobachteten erhöhten Sterblichkeit von Bienenvölkern beitragen.v

Einer der führenden europäischen Experten über die Wirkung der Neonicotinoide, der niederländische Toxikologe Henk Tennekes, hebt hervor, anders als von Bayer und anderen Neonicotinoid-Herstellern behauptet, seien Bienen, die in der Nähe von besprühten Feldern lebten, den Neonicotinoiden während der gesamten Anbausaison ausgesetzt. Das Gift reichere sich so immer mehr an. Wie Tennekes erklärt, sind die Bienen in der gesamten Sammelsaison diesen Verbindungen und verschiedenen anderen Pestiziden ausgesetzt. Im Frühling fanden sich extrem hohe Werte von Clothianidin und Thiamethoxam in den Auspuffgasen der Ackergeräte bei der Aussaat von behandeltem Mais. »Im Boden eines jeden von uns überprüften Feldes fanden wir Neonicotinoide, auch in unbebauten Feldern.«

In höchstem Grade alarmierend sind die Hinweise, dass sich der Kontakt mit Neonicotinoiden potenziell verheerend auf Menschen, Vögel und Bienen auswirken kann. Tennekes vermutet einen Zusammenhang mit dem in den letzten Jahren beobachteten rapiden Anstieg der Häufigkeit von Autismus bei Kindern in den USA. Dort sind fünf bis zehn Prozent der vier Millionen Neugeborenen jährlich betroffen.

Tennekes: »Auch die Häufigkeit chronischer neurodegenerativer Erkrankungen bei Erwachsenen, beispielsweise Parkinson oder Demenz, hat deutlich zugenommen. Diese Trends könnten darauf zurückzuführen sein, dass der Kontakt im frühen Lebensalter als Auslöser für die spätere Erkrankung ist. Und das möglicherweise durch eine Reduzierung der Zellen in wichtigen Hirnregionen bis unter den Wert, den die Funktion bei zunehmendem Alter erfordert. Kontakt mit Pestiziden vor der Geburt und im Kindesalter erweisen sich als signifikanter Risikofaktor, der eine Wirkung auf Struktur und Gesundheit des Gehirns ausübt, so dass das Risiko neurologischer Erkrankungen im späteren Leben steigen kann. Es häufen sich die Belege dafür, dass der ständige Kontakt mit Nicotin die normale Entwicklung eines Kindes erheblich beeinträchtigen kann. Vorgeburtlicher Kontakt mit Nicotin ist ein bekannter Risikofaktor für den plötzlichen Kindstod, niedriges Geburtsgewicht und das Aufmerksamkeits-Defizit-/Hyperaktivitäts-Syndrom. Deswegen könnten die Neonicotinoide beim Menschen gesundheitsschädlich sein, insbesondere während der Entwicklung des Gehirns.«vi


Kommentar: Neonicotinoide sind synthetisch hergestellte nikotinartige Wirkstoffe und haben somit nicht wirklich allzu viel mit dem natürlichen Wirkstoff Nikotin zu tun. Nikotin Propaganda ist heutzutage allzu häufig:

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Politische Korruption bei der US-Umweltschutzbehörde


Der verbreitete Einsatz der Bayer-Neonicotinoide erhielt 2003 einen enormen Schub, als die US-Umweltschutzbehörde "Environmental Protection Agency" (EPA) Bayer trotz erheblicher behördeninterner wissenschaftlicher Bedenken die Zulassung erteilte. EPA-Wissenschaftler schätzten es als wesentlich giftiger ein als Bayers zweites Nicotinoid Imidacloprid, das unter dem Handelsnamen Gaucho vertrieben wird. Gaucho gilt als »7000 Mal giftiger für Bienen als DDT«. DDT wurde 1972 in den USA verboten, nachdem zahlreiche Studien seine toxische Wirkung auf Mensch und Tier belegt hatten.

Die derzeitigen (noch unter der Regierung Bush) ernannten Amtsträger bei der EPA ließen zu, dass Bayer die Zulassung für Poncho erhielt, trotz der offiziellen Bewertung der EPA-Wissenschaftler, die Clothianidin als »hochgradig toxisch für Bienen durch Kontakt und oralen Kontakt« einschätzten. Das Mittel sei in Boden und Grundwasser äußerst beweglich. Es wandere mit hoher Wahrscheinlichkeit in Flüsse, Teiche und andere Felder, wo es von Wildblumen aufgenommen werde. Und dann töte es weitere Bienen und Insekten wie Schmetterlinge und Hummeln. Die Warnung in einem an die Öffentlichkeit gelangten EPA-Memorandum vom 28. September 2005 fasst die Umwelt-Risikoeinschätzung für Clothianidin der "Environmental Fate and Effects Division" zusammen. Clothianidin »bleibt nach einer Sprühaktion noch tagelang toxisch für Bienen. Bei Honigbienen kann sich die Folge dieses toxischen Kontakts unter anderem in letalen oder sub-letalen Auswirkungen auf die Larven und Reproduktionsfähigkeit der Königin äußern.«vii

Gegenwärtig überprüft die EPA die Zulassung für die Neonicotinoide von Bayer. Wenn es der Konzern schafft, die Lizenz zu behalten, findet die nächste Überprüfung durch die EPA erst in 15 Jahren statt. Bis dahin könnten die Schäden irreversibel sein.

Ein EU-Verbot wird blockiert

Die Verwendung von Neonicotinoiden ist in mehreren EU-Mitgliedsstaaten verboten, darunter bedeutsamerweise auch in Deutschland, dem Heimatland des Bayer-Konzerns. Dennoch scheiterte erst kürzlich ein generelles Verbot in der EU. In einer Pressemitteilung der britischen Organisation Buglife vom 19. März heißt es hinsichtlich der soeben veröffentlichten Studie von "American Bird Conservancy": »Sie bestätigt die Giftigkeit von neonicotinoidhaltigen Insektiziden, Bedenken wegen des Umweltschutzes beschränken sich jedoch nicht auf Bestäuber. Sie können jahrelang im Boden überdauern, in das Wasser-Ökosystem eindringen und Vögel und Säugetiere betreffen. Neonicotinoide werden unter anderem deshalb so häufig eingesetzt, weil sie als nicht-toxisch für Wirbeltiere angepriesen werden - eine Behauptung, die in dieser Studie als falsch entlarvt wird.«

Die EU-Kommission verweigerte die Zustimmung für ein vorgeschlagenes Verbot für drei der meistverwendeten Neonicotinoide - Imidacloprid, Thiamethoxam und Clothianidin. Vertreter der Mitgliedsstaaten trafen sich im März, um über ein Verbot zu beraten, nachdem die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit ein »akutes« Risiko für Honigbienen festgestellt hatte. Doch da sich fünf Mitgliedsstaaten, darunter auch England, der Stimme enthielten, wurde das Verbot nicht verabschiedet.

Es ist nicht nur eine Frage des Schutzes von Honigbienen oder Singvögeln einerseits und einer effizienteren Landwirtschaft andererseits. Es geht um die Zukunft des Lebens auf der Erde. In einer Studie des US-Landwirtschaftsministeriums wurde geschätzt: »... vielleicht ein Drittel unserer Ernährung hängt direkt oder indirekt von Insekten-bestäubten Pflanzen ab.« Honigbienen bestäuben mehr als 70 von 100 Nutzpflanzen, die wiederum 90 Prozent der Nahrungsmittel der Welt liefern. Sie bestäuben die meisten Früchte und Gemüse - Äpfel, Orangen, Erdbeeren, Zwiebeln und Karotten.

Die Bayer AG macht keine Anstalten, Produktion und Vertrieb seiner toxischen Neonicotinoide freiwillig zu stoppen. Im Gegenteil, sie macht weiter, ganz im Stil von Admiral Farragut in der Schlacht von Mobile Bay: »Zum Teufel mit den Torpedos, volle Kraft voraus!«

Zu den Errungenschaften des deutschen Pharma-Riesen (die der Konzern heute lieber vergisst) gehört die Synthese eines Stoffes, der 1898 als Hustenmittel vermarktet wurde - und zwar unter dem Handelsnamen Heroin. Und das alles nach dem »heroischen« Gefühl, das es Bayer-Arbeitern bei einem Test vermittelte.viii Wenn es der Bayer AG gestattet wird, seine tödlichen Neonicotinoide weiter zu vertreiben, so wird die Zahl der Opfer und das Ausmaß des Leidens möglicherweise höher sein als beim Heroin in den letzten hundert Jahren.

Nach Aussage der deutschen Organisation "Coordination gegen BAYER-Gefahren" gehören Gaucho und Poncho zu den meistverkauften Bayer-Pestiziden. 2010 habe der Umsatz bei Gaucho rund 820 Millionen Dollar, bei Poncho 260 Millionen Dollar betragen. Gaucho sei das meistverkaufte Bayer-Insektizid, Poncho rangiere auf Platz 7. Es sei erstaunlich, dass der Umsatz für Gaucho und Poncho im Geschäftsbericht für 2011 nicht ausgewiesen werde.ix

Die niederländischen Toxikologen Tennekes und Alex Lu, Professor für Umweltbiologie an der "Harvard University" (Abteilung Umwelthygiene) zählen zu der wachsenden Schar von Wissenschaftlern aus aller Welt, die ein sofortiges weltweites Verbot für die Verwendung der neuen Neonicotinoid-Pestizide fordern. Professor Lu verlangt einen ganz einfachen Test: »Ich würde vorschlagen, weltweit fünf bis sechs Jahre lang keinerlei Neonicotinoide einzusetzen. Wenn sich die Bienenpopulation während und nach dem Verbot erholt, dann haben wir ja wohl die Antwort.« Solche Worte sollten in Washington, Brüssel und anderswo zu denken geben.

Fußnoten:

i Anon., Clothianidin a Neonicotinoid Pesticide Highly Toxic to Honeybees and other pollinators, 20. März 2007
ii Dr. Pierre Mineau and Cynthia Palmer, The Impact of the Nation’s Most Widely Used Insecticides on Birds, American Bird Conservancy, März 2013.
iii Ebenda.
iv ENS, German Coalition Sues Bayer Over Pesticide Honey Bee Deaths, August 25, 2008
v Jeffrey S. Pettis, et al, Pesticide exposure in honey bees results in increased levels of the gut pathogen Nosema, Naturwissenschaften-The Science of Nature, 13. Januar 2012, (in englischer Sprache)
vi Henk Tennekes, Prenatal exposures to pesticides may increase the risk of neurological disease later in life, 20. März 2012
vii Henk Tennekes, They’ve turned the Environment into the Experiment and WE are all the experimental Subjects, 19. January 2011
viii Richard Askwith, How aspirin turned hero: A hundred years ago Heinrich Dreser made a fortune from the discovery of heroin and aspirin, Sunday Times, 13. September 1998
ix Coalition against BAYER Dangers (Germany), a.a.O.