München - Nach jahrelangem Streit mit und um die „Zwölf Stämme“ sind die Behörden nun in einer unangenehmen Lage: Die Opposition wirft ihnen vor, eine Sekte viel zu nachgiebig behandelt zu haben.

Aus Sicht vieler Politiker sind die „Zwölf Stämme“ eine fundamentalistische Sekte. Die Gruppe selbst sieht sich als christliche Glaubensgemeinschaft, die nach den biblischen Geboten lebt. Und weil die Bibel das Schlagen von Kindern erlaubt, ist die Züchtigung mit der Rute für die „Zwölf Stämme“ eine ganz normale Erziehungsmethode. Im Sommer 2013 schloss das Kultusministerium die Privatschule der „Zwölf Stämme“, im September nahm das Jugendamt 40 Kinder ihren Eltern weg und gab sie in Pflegefamilien. Nun erhebt die Gruppe am Rande einer Landtagssitzung massive Vorwürfe gegen die Behörden - insbesondere gegen das Jugendamt Donau-Ries.

Ort des Geschehens: Der Saal S401 im Landtag, in dem jeden Donnerstag der Sozialausschuss tagt. Die Sitzung verläuft ganz normal. Zwei Beamte von Kultus- und Sozialministerium müssen sich kritische Fragen der Opposition anhören, warum die Behörden nicht schon viel früher gegen die Glaubensgemeinschaft auf ihrem schwäbischen Gut Klosterzimmern eingeschritten sind. So hatte das Kultusministerium 2006 die Gründung einer Privatschule erlaubt, obwohl die Misshandlungsvorwürfe längst bekannt waren.

„Die Sekte hat den Staat erpresst und der Staat hat sich erpressen lassen“, sagt Grünen-Fraktionschefin Margarete Bause. Die SPD-Abgeordnete Angelika Weikert legt nach: Die 40 Kinder aller Altersstufen hätten nach der Gründung der Privatschule keinen Kontakt zur Außenwelt mehr gehabt. „Das größte Problem ist, dass sie jeden Tag 24 Stunden mit allem Drum und Dran in der Sektengemeinschaft festgehalten waren.“

Die Antwort der Ministerialbeamten: Vorwürfe sind keine Beweise. „Das Jugendamt kann nicht mit geheimdienstlichen Methoden arbeiten“, sagt Josef Ziller, ein Beamter aus dem Sozialministerium.

In der hintersten Zuschauerbank sitzen mehrere aus Klosterzimmern angereiste Mitglieder der Gruppe. Sie schildern nach der Sitzung ihre Sicht der Dinge. Der Kern der Vorwürfe: Das Jugendamt Donau-Ries soll beim Vorgehen gegen die Eltern jedes Maß und Ziel aus den Augen verloren haben. „Bei uns ist eine Hundertschaft der Polizei aufmarschiert“, sagt Martin Müller, ein Mitglied der Gruppe.

Nach Müllers Angaben nahmen die Behörden Kinder aus zwölf Familien mit. „Aber zehn dieser Familien sind vorher überhaupt nie vom Jugendamt kontaktiert worden.“ Nach Darstellung der „Zwölf Stämme“ wurde die behördliche Anordnung zur Wegnahme der Kinder den Familien auch erst zwei Tage nach dem großen Polizeieinsatz übermittelt. Die Gruppe habe ihren Anwalt zu Hilfe gerufen, dem die Polizei aber den Zutritt verweigert habe. Alle Kinder seien anschließend amtsärztlich untersucht worden, dabei habe es keine Beweise körperlicher Misshandlung gegeben.

Mitgenommen wurden auch mehrere Kinder, die in Klosterzimmern nur zu Besuch waren. „Die haben alles geschnappt“, sagt Müller. Unter den Kindern auf Besuch sei auch das drei Jahre alte Kind eines Ehepaars aus Argentinien gewesen. „Das Kind spricht kein Wort Deutsch. Die Eltern haben es erst nach neun Tagen zurückbekommen.“ In den Pflegefamilien sei zum Teil jeder Kontakt zu den Eltern unterbunden worden. „Ich habe Briefe geschrieben, die wurden geöffnet und mir erst nach Tagen wieder zurückgegeben“, sagt ein Mädchen, das inzwischen wieder bei seinen Eltern ist.

Das Sozialministerium erklärte zu den Vorwürfen, dass die Jugendämter auf der Grundlage familiengerichtlicher Beschlüsse gehandelt hätten. Auskünfte könnten die zuständigen Familiengerichte und die Jugendämter aber nur geben, wenn dem keine datenschutzrechtlichen Bestimmungen entgegen stünden.