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© ReutersMüll verbrennen und Pfannen schlagen auf offener Straße: Protest gegen zwei Wochen ohne Strom in Buenos Aires.
Argentinien schlittert in eine dramatische Wirtschaftskrise, der Schwarzmarkt-Dollar gewinnt an Wert - und die Regierung tut nichts, die Präsidentin schweigt.

Im Januar sind Sommerferien in Argentinien, und entsprechend ruhig geht es normalerweise auf der politischen Bühne zu. Aber dieses Jahr ist alles anders: Statt zufrieden am Strand zu liegen, sorgen sich die Argentinier um die Wirtschaft. Drei von vier Bürgern, so eine Umfrage, halten die Aussichten für düster. Hinzu kommt die Spekulation um ein Machtvakuum: Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, die früher immer zu allem und jedem Stellung nahm, ist seit dem 19. Dezember nicht mehr öffentlich aufgetreten - was ist los mit ihr?

Dass die Wirtschaft aus dem Lot geraten ist, merken die Argentinier täglich beim Einkaufen. Die Inflation, amtlich unbeirrt auf 10,9 Prozent arretiert, schwankt inoffiziellen Quellen zufolge um die 28 Prozent und erreicht 2014 womöglich 40 Prozent. Obwohl die Regierung mit dem Handel Abkommen getroffen hat, um wenigstens die Preise der Grundnahrungsmittel zu deckeln, steigen sie weiter. Die Bezieher der Mindestrenten - das sind drei von vier Rentnern - müssen mittlerweile 70 Prozent ihres Geldes für Lebensmittel ausgeben. Die Autobahn-Maut, die Krankenversicherung, der Busfahrschein - alles wird teurer, und oft sogar um mehr als die 28 Prozent.

Geldwechsler rufen - und erinnern an alte Zeiten

Die Preise von Obst und Gemüse werden durch das Klima und die Spekulation des Handels in die Höhe getrieben; das erregt die Kunden ganz besonders. Ein Kilo Tomaten für umgerechnet bis zu sechs Euro - das erinnert an die Krisen vergangener Jahrzehnte, als Toilettenpapier und Tiefkühl-Hühnchen kaum zu haben waren. Und die Geldwechsler rufen wieder „Cambio-cambio-cambio!“ - wie zu schlechten alten, instabilen Zeiten.

Der Schwarzmarkt-Dollar, dessen Existenz die Regierung zu ignorieren versucht, ist in den vergangenen Tagen auf 12 Pesos geklettert - Ausdruck der Unruhe vor allem des Mittelstandes, der traditionell in Dollar spart und nun Mittel und Wege sucht, die Hürden zu umgehen, die die Regierung gegen Kapitalflucht errichtet hat. Denn auf dem offiziellen Devisenmarkt erhalten nur Firmen Dollars zugewiesen, die importieren oder Schulden begleichen. Auslandsreisende, die ihre Kreditkarte einsetzen, müssen einen kräftigen Zuschlag zwischen 20 und 35 Prozent zahlen.

Der offizielle Kurs liegt bei 6,80 Pesos - wenn 12 bezahlt werden, muss die Angst vor der Peso-Entwertung also groß sein. Und die Kurs-Abschläge für kleinere Dollarnoten erklären die Wechsler ganz unverblümt mit dem Volumen: Je dicker das Paket Dollar-Noten, desto umständlicher das Hinausschmuggeln. Die Höhenflüge des Dollarkurses versucht die Regierung regelmäßig im Januar mit den Ferien zu begründen, weil dann die Nachfrage wegen der Auslandsreisen größer sei. Aber die Erfahrung zeigt, dass der Kurs kaum sinkt, wenn die Urlaubszeit vorbei ist.

Der „dólar blue“, wie der bar getauschte Schwarzmarkt-Dollar heißt, bildet sowieso nur einen kleinen Markt, gemessen an den großen Devisenbewegungen des Außenhandels. Die Reserven gehen für die großen Brocken drauf, vor allem für Energie. Im Januar dürfte Argentinien 2 Milliarden Dollar für Energie-, vor allem Gasimporte ausgeben - ein hochsensibles Thema, nachdem die Hitzewelle Anfang Januar das Energiesystem in zahlreichen Städten zusammenbrechen ließ; manche Viertel waren zwei, sogar drei Wochen ohne Strom. Die Dollarreserven sind deshalb zum Jahresende unter die 30-Milliarden-Grenze gefallen, und bis März werden sie der Zentralbank zufolge bis auf 27 absinken. Dann allerdings dürften sie sich wieder auffüllen: Argentinien erwartet eine gute Soja-Ernte.

Von der Bildfläche verschwunden

Zu all diesen Unsicherheiten addiert sich der Eindruck politischer Führungslosigkeit. Die Präsidentin, traditionell eine glänzende Verkäuferin ihrer selbst, ist seit dem 19. Dezember nicht mehr öffentlich aufgetreten - selbst Fotos von ihr werden Mangelware. Je öfter ihre Mitarbeiter versichern, sie entscheide, handle und regiere wie eh und je, desto häufiger fragen sich Anhänger wie Kritiker, was mit ihr los sei: Ist sie krank? Ist sie traurig? Hat sie die Lust verloren?

Nach ihrer Gehirn-Operation im Oktober war sie zunächst voller Tatendrang ins Amt zurückgekehrt, hatte ihr Kabinett umgebildet und die Trauerkleider abgelegt, die sie seit dem Tod ihres Mannes und Amtsvorgängers Néstor Kirchner 2011 stets trug. Aber seit dem 19. Dezember schweigt sie - selbst zu der Plünderungswelle, die ein Streik der Polizisten vor Weihnachten auslöste, oder zu den Stromsperren wegen der Hitze-Überlastung. Da sie 2015 nicht mehr antreten darf - und augenscheinlich auch nicht mehr will, selbst wenn sie dürfte - , beginnen die möglichen Nachfolger in Stellung zu gehen. Auch das verstärkt den Eindruck der Führungslosigkeit.

Jedenfalls hat die Beliebtheit der Präsidentin gelitten. Im Oktober fand ihre Amtsführung Umfragen zufolge noch etwa genauso viele Kritiker wie Befürworter - 46,6, beziehungsweise 44,4 Prozent. Aber jetzt sind nur noch 27,4 Prozent zufrieden, und 66,5 Prozent lehnen sie ab.