Hermann Gröhe
© dpaBundesgesundheitsminister Hermann Gröhe
Intransparent und ineffizient - eine neue Studie stellt dem deutschen Gesundheitswesen ein vernichtendes Urteil aus. Das Brisante daran: Zu den Autoren zählen Ärzte ebenso wie Kassenmanager und Patientenvertreter.

Schon am ersten Tag im neuen Amt musste Hermann Gröhe klar werden, dass seine Aufgabe als Bundesgesundheitsminister ziemlich kompliziert ist. Auf der Bühne im Atrium des Ministeriums sang der Mitarbeiterchor, die Gruppe hatte sich in theatralisches Schwarz gewandet. Ihr Ständchen handelte von den Untiefen des Kassensystems, der Text war so schlicht wie verschwurbelt: Die Sänger reihten die Namen aller Gesetze und Vorhaben aneinander, mit denen sich die Vorgängerregierung gemüht hatte, von A wie "Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz" bis Z wie "Zahnärzte-Gebührenordnung".

Am Ende geriet das Lied ziemlich lang - und Gröhe rutschte etwas angespannt auf seinem Stuhl in der ersten Reihe herum. Er sei erleichtert, dass es sich wenigstens um ein Werk in Dur gehandelt habe, scherzte er, als der Chor die Bühne wieder verlassen hatte.

Auf den Minister kommen kaum lösbare Aufgaben zu

Mit Blick auf seinen Aufgabenzettel müsste der CDU-Politiker die Tonlage eigentlich unverzüglich in Moll ändern. Auf den Minister kommen kaum lösbare Aufgaben zu. Das deutsche Gesundheitssystem, für das er verantwortlich zeichnet, befindet sich in einem deutlich schlechteren Zustand als bislang angenommen. Die gesetzliche Versicherung sei ein reines "Krankheitsverwaltungssystem, bei dem der Patient nur als Mittel zum Zweck erscheint", heißt es in einer bislang unveröffentlichten Studie des "Zukunftskreises Gesundheit". Insgesamt sei das Gesundheitswesen "aufgrund der demografischen und gesellschaftlichen Entwicklung nicht nachhaltig für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet".

Dabei handelt es sich bei den Autoren um eine ungewöhnliche Runde, in der sich mehr als 60 Versicherungsexperten, Kassenmanager, Patientenvertreter undÄrzte zusammengeschlossen haben. Also ausgerechnet jene Gruppen, die sich normalerweise im Kampf um Milliarden und mediale Aufmerksamkeit gegenseitig öffentlich beharken. Ein ganzes Jahr lang hat die Gruppe auf Initiative des Frankfurter Beratungsunternehmens Premium Circle beraten, hat gemeinsam Finanzströme, Qualität und Abläufe des Gesundheitswesens analysiert. Ihre mehr als hundert Seiten lange Expertise liest sich wie eine Handlungsanleitung für Hermann Gröhe.

Nach Ansicht der Fachleute ist gerade in der gesetzlichen Versicherung ein Qualitätswettbewerb kaum ersichtlich, stattdessen stießen die Kritiker auf "Intransparenz", "Unübersichtlichkeit" und "verworrene Finanzströme". Zu viele Institutionen seien damit beauftragt, die Versorgung zu steuern, außerdem gebe es für die Betreuung der Patienten oft mehrere Gesetzesgrundlagen, die nicht konsistent seien - je nachdem, ob der Grund für eine Behandlung der Kranken-, Unfall- oder Pflegeversicherung zugerechnet werde.

Schweigen im Koalitionsvertrag

Auch an der Privatassekuranz übt die Studie scharfe Kritik. Das Modell funktioniere nur in der Theorie gut. In der Praxis indes stießen die Autoren jedoch auf "teilweise erhebliche Leistungsdefizite" in einzelnen Tarifen. Eine "weitgehend irreführende Werbung" suggeriere Produkt- und Leistungsinhalte, "die aufgrund fehlender gesetzlicher Standards in den Tarifen nicht vorhanden seien".

Den Ehrgeiz zu ganz großen Reformprojekten im Gesundheitsbereich jedenfalls hat die Koalition in ihren ersten Wochen noch nicht gezeigt. Dabei gäbe es einiges zu tun, wie die Studie zeigt. Immerhin hat sich die Koalition vorgenommen, mit kleineren Projekten für mehr Transparenz und Qualität in der gesetzlichenKrankenversicherung zu sorgen, das gilt vor allem für Behandlungen und Operationen in Kliniken.

Vor dem Problemfeld private Krankenversicherung allerdings haben sich Union und SPD bislang weggeduckt. Reformideen für die Privatassekuranzen finden sich im Koalitionsvertrag mit keinem einzigen Wort.