Staus über 200 Kilometer Länge, massenhafter Widerstand und überforderte Behörden: Vier Tage vor dem WM-Eröffnungsspiel kommt es in São Paulo erneut zu tumultartigen Szenen. Einsatzkräfte der Polizei gehen mit Tränengas gegen Demonstranten vor.
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Blendgranaten flogen in Richtung der Streikenden, Tränengas wurde eingesetzt: Die 20-Millionen-Metropole São Paulo erlebte auch am Pfingstmontag die Fortsetzung der Auseinandersetzung zwischen Polizei und den Streikposten der sich im Ausstand befindenden U-Bahn-Bediensteten. Eine Hundertschaft der Polizei war gegen rund 150 Protestler massiv vorgegangen.

13 Personen wurden von der Polizei vorübergehend in Gewahrsam genommen; ihnen wird vorgeworfen, eine Tür beschädigt und die Arbeit am U-Bahnhof behindert zu haben. Durch die Fortsetzung des Streiks droht São Paulo drei Tage vor dem WM-Eröffnungsspiel zwischen Gastgeber Brasilien und Kroatien (12. Juni) im Corinthians-Stadion der Verkehrs-Infarkt.

Staatspräsidentin Dilma Rousseff bezeichnete den Streik als eine "systematische Kampagne" gegen das WM-Turnier. Und sie bekam von der Justiz Unterstützung. Ein Arbeitsgericht stufte am Sonntag den Streik der U-Bahn-Beschäftigten als illegal ein. Es wurde angeordnet, dass jeder weitere Streiktag eine Geldbuße von umgerechnet 160.000 Euro (500.000 Real) für die Gewerkschaft nach sich ziehe. Für die ersten vier Streiktage wurde eine Strafe von umgerechnet 32.000 Euro (100.000 Real) verhängt.


Kommentar: Wahrscheinlich wird die Regierung etwas verzweifelt sein, wenn sie zu solchen Mitteln greift. Und es zeigt, dass die WM in Brasilien nicht Willkommen ist!


Das schüchterte die Gewerkschaft aber keineswegs ein, sie kündigte am Sonntag eine Fortsetzung ihres Ausstandes an. Die Demonstranten skandierten am Montagmorgen lautstark "Nein zu Repressalien", bevor die Ordnungskräfte gegen sie vorgingen. Aufgrund des unbefristeten Streiks droht São Paulo auch in den kommenden Tagen ein Verkehrschaos, normalerweise nutzen 4,5 Millionen Menschen täglich die Untergrundbahn. Bereits am vergangenen Freitag hatte es einen Polizeieinsatz gegen Streikposten an der U-Bahn-Station Ana Rosa gegeben, dabei waren Schlagstöcke und Tränengas eingesetzt worden.

Seit fünf Tagen wird in São Paulo nun gestreikt. Ein Ende ist nicht abzusehen. Nur drei der fünf U-Bahn-Linien konnten ihren Betrieb am Pfingstmontag aufrechterhalten. Schon zu normalen Zeiten kollabiert fast täglich der Verkehr in São Paulo, herrscht zu jeder Tages- und Nachtzeit auf den Straßen der Ausnahmezustand. Auf mehr als 200 Kilometern stauten sich die Fahrzeuge beispielsweise am Donnerstag, und das ist nicht einmal Rekord. Der steht seit Ende Mai bei 344 (!) Kilometern.

Streikposten hatten am Montag den Verkehr auf einer Hauptstraße von São Paulo mit brennenden Mülltonnen blockiert. Die U-Bahn-Beschäftigten wollen mit ihrer seit Donnerstag andauernden Streikaktion höhere Löhne durchsetzen. Die Gewerkschaften haben ihre Forderungen auf eine Lohnerhöhung von 16,5 auf 12,2 Prozent reduziert. Das Angebot der lokalen Regierung beläuft sich lediglich auf 8,7 Prozent.

Die WM finde zu einem Zeitpunkt statt, "in der die politische Lage überkocht. Mir wäre es auch am liebsten, wenn alle nur über den Fußball reden würden. Aber das ist in dieser Zeit mit politischen Auseinandersetzungen nicht möglich", hatte Brasiliens zweimaliger Weltmeister und Rekord-Nationalspieler Cafu im SID-Interview betont - er hatte sich vor Ort selbst ein Bild vom Chaos machen können. "Streiks gibt es auf der ganzen Welt. Das hat im Grunde nichts mit der WM zu tun. Es ist bei uns ein Moment, in dem die Bevölkerung glaubt, dass man seine Stimme im Vorfeld der WM am deutlichsten hört", sagte Cafu.

SZ.de/sid/afp/jbe