Eine zunehmende Unberechenbarkeit der Staatsfeinde wird zum größten Problem für die Sicherheitsbehörden. In NRW geraten vor allem Islamisten und Rechtsextreme ins Visier der Verfassungsschützer.
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Eine zunehmende Unberechenbarkeit der Staatsfeinde wird zum größten Problem für die Sicherheitsbehörden. Polizei und Verfassungsschutz beobachten, wie die Terroristenszene in viele kleine, unübersichtliche Teile zersplittert. Beim Islamismus fürchtet man vor allem Einzeltäter, und im Rechtsextremismus entstehen wie aus dem Nichts kleinste Gruppen, die sich teilweise in großem Tempo radikalisieren. Fehlende Strukturen und eine kaum nachzuverfolgende Vernetzung bereiten den Innenministerien bundesweit beträchtliche Sorgen. Vor allem Islamisten und Rechtsextremisten stehen im Fokus.

Dies geht beispielhaft aus dem aktuellen Bericht des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2014 hervor. In NRW kennt die Behörde 2000 Salafisten, wovon 325 als gewaltbereit gelten. Zum harten Kern der "Gefährder" zählen 100 Personen. Der Salafismus sei "die am schnellsten wachsende extremistische Strömung in Deutschland", erklärte NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) bei einer Pressekonferenz gemeinsam mit seinem Verfassungsschutzchef Burkhard Freier. Deshalb werden bei Polizei und Verfassungsschutz 385 neue Stellen geschaffen.

Man müsse mehr observieren und auswerten, sagte Jäger. Seit den Terroranschlägen von Paris und Kopenhagen Anfang des Jahres werden Salafisten nicht mehr als Mitglied einer Zelle, sondern als potenzielle Einzeltäter gesehen. Es gibt zudem allein in NRW etwa 40 lokale salafistische Netzwerke, die selbstständig voneinander agieren. Sie nutzen nach aktuellen Erkenntnissen den Bürgerkrieg in Syrien und im Irak, um junge Leute zu radikalisieren.


Kommentar: Da wird der tragische und vielleicht inszenierte Anschlag in Paris als Rechtfertigung genutzt, noch mehr Menschen unter Verdacht zu stellen und überall Bedrohungen zu sehen, wie es zum Beispiel in Bremen geschehen ist:

Viele Frauen wollen in den Dschihad

Seit 2012 sind 180 Dschihadisten aus NRW in die Kriegsgebiete ausgereist; 25 starben, und 50 sind wieder zurückgekehrt. Unter den Ausreisewilligen befinden sich überproportional viele Frauen, die offenbar von falschen romantischen Vorstellungen ausgehen. "Als Zweit- und Drittfrau eines verrohten Terroristen inmitten eines Bürgerkriegs steht ihnen ein entbehrungsreiches Leben bevor, bei dem an jedem Tag Gefahren drohen", warnte Jäger. Die Zahl der Ausreisen sei rückläufig, es ließe sich jedoch nicht von einer Trendwende sprechen.

Die Landesregierung will ihr Präventionsprogramm "Wegweiser" ausweiten, um vor den Gefahren des Salafismus aufzuklären, und in diesem Jahr weitere Anlaufstellen in Köln, Duisburg, Dinslaken und Dortmund eröffnen. Man werde das Programm "flächendeckend" umsetzen, betonte der Chef des NRW-Verfassungsschutzes, Burkhard Freier. Es gebe auch keine Hinweise darauf, dass inhaftierte Salafisten für eine Radikalisierung in Gefängnissen sorgten. Zudem läuft seit Oktober 2014 das Aussteigerprogramm für Islamisten.

Von 30 Aussteigern würde etwa ein Drittel durch das Programm betreut. Freier verweist auf "einige Beispiele", die deutlich machten, dass Personen auch nach mehrjähriger Haft nicht wirklich geläutert seien. Wenn sie in ihre ursprüngliche Szene zurückkehrten, kehrten sie rasch wieder zu ihrer alten Radikalität zurück. "Um sie aus dieser Szene herauszuholen, braucht es ein solch aufwendiges Aussteigerprogramm", sagte Freier.

Bei der Finanzierung für deutsche Salafisten gibt es Hinweise, dass Finanzmittel aus dem Ausland kämen, sagte Freier, wollte aber nicht konkreter werden, weil man es "nicht gerichtsfest nachweisen" könne. Weiteres Geld stamme von reichen "Einzelpersonen" und "Spenden" für angebliche Hilfsaktionen. Dies seien die maßgeblichen Quellen für den Dschihad. Von 850 Moscheen in NRW unterhielten lediglich 20 enge Kontakte zu bekannten Salafisten. Verfassungsschutzchef Freier will allerdings nicht konkreter werden, weil dazu noch weitere Erkenntnisse benötigt werden.

Hogesa als eigenständiges Phänomen

Bei den Rechtsextremisten sieht der Verfassungsschutz immer wieder "Anhaltspunkte für klar rechtsterroristisch orientierte Gruppen, die oftmals auch konspirativ agieren und eine deutliche Gewaltbereitschaft gegenüber ihren Feindbildern haben". Dazu zählt die Gruppe Oldschool-Society (OSS), die vor einigen Wochen zerschlagen wurde. Innenminister Jäger will zudem den Druck auf die "Ideologen" und "Strippenzieher" im rechtsextremen Spektrum erhöhen. Bei der Pressekonferenz verkündete er, dass er ein Rechtsgutachten zur Partei Die Rechte in Auftrag gegeben habe.

Damit soll geklärt werden, ob ein Verbotsverfahren gegen die Partei sinnvoll sein könnte. Es gehe darum, ob es sich um eine Nachfolgeorganisation der bereits 2012 verbotenen Kameradschaft Nationaler Widerstand Dortmund handele, erklärte Jäger. Die ehemalige Kameradschaft sei faktisch komplett unter den Schirm des Parteienprivilegs geschlüpft, sagte Jäger. "Die Frage ist zu klären: Ist das tatsächlich eine Partei oder tut sie nur so." Jäger spricht bereits von der "sogenannten Partei Die Rechte". Sie falle immer wieder durch Provokationen auf, unter anderem durch Demos vor Asylbewerberheimen.

Rechtsextreme hätten die Ableger der sächsischen Pegida-Demos in NRW-Städten "organisiert, dominiert und gesteuert", erklärte Jäger. Allerdings sei den Demonstranten die Lust am Spazierengehen vergangen. Zwischen Rechtsextremen und Hooligans gebe es allenfalls einzelne personelle "Überlappungen", aber "keine strukturierte Unterwanderung der Hooliganszene durch den organisierten Rechtsextremismus", betonte Jäger.

Um die Gruppierung Hooligans gegen Salafisten (Hogesa), die im Herbst 2014 mit Gewaltausbrüchen bei einer Demo in Köln die Polizei überraschte, ist es ruhiger geworden. "Das, was in Köln passiert ist, ist kein einmaliges Phänomen", sagte der NRW-Innenminister. Es habe eine "Zusammenrottung" von unterschiedlichen Akteuren gegeben. Man brauche eine wissenschaftliche Aufbereitung. Verfassungsschutzchef Freier betont, dass Rechte zwar versuchten, in die Hogesa-Szene "einzuwandern", "sich aufzupumpen und mehr zu werden". Dennoch sei Hogesa ein eigenständiges Phänomen.