Wo Glyphosat mit Flugzeugen gesprüht wird, gibt es missgebildete Kinder. Wo Gen-Soya verfüttert wird, gibt es missgebildete Ferkel.

Über Krebserkrankungen und Missbildungen von Kindern in Argentinien, wo das Pflanzenschutzmittel Glyphosat über Felder mit gentechnisch veränderter Bt-Soja gesprüht wird, berichteten wir in einem 1. Teil.

Europäische Tierbetriebe importieren das Gen-Soja aus Argentinien, Brasilien sowie den USA als Futtermittel für ihre Ferkel und Säue. In Dänemark schlägt ein Grossproduzent Alarm.
glyphosat deformiertes ferkel
© zdfEin deformiertes FErkel
Ib Pedersen betreibt bereits seit fast zwanzig Jahren eine Schweinezucht in Dänemark. Er hält mehrere Hundert Sauen und über zweitausend Ferkel. Seit etlichen Jahren entdeckt er immer häufiger Missbildungen und Deformationen, die ihn beunruhigen. «Frontal21»-Redaktoren waren vor Ort, wo ihnen Pedersen ein Ferkel zeigte, das am gleichen Tag geboren worden war:
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«Dieses kleine Ferkelchen wird es nicht schaffen. Es kann nicht trinken, weil es keine Nase hat, durch die es Luft bekommen kann, es muss durch das Maul atmen.»
Seit sich solche Missbildungen häuften, ging der Schweinezüchter möglichen Ursachen nach. Ein Verdacht richtete sich auf Rückstände des Pflanzengiftes Glyphosat im Futtermittel, das er verwendete. Sie könnten für die Defekte der Tiere verantwortlich sein.

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Zwei Behälter, gefüllt mit deformierten Ferkeln, brachte Ib Pedersen im Frühling 2013 zur Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig, wo die Mikrobiologin Monika Krüger seit Jahren potenzielle Auswirkungen von Glyphosat auf Nutztiere erforscht.

Glyphosat im ganzen Körper

In ihrem spezialisierten Labor konnte Krüger bei allen eingelieferten Ferkeln Glyphosat nachweisen, und zwar in ähnlichen Konzentrationen im ganzen Körper - in den Organen, der Muskulatur und in den Darmwänden: «Das bedeutet, dass die Tiere das Glyphosat über die Plazenta der Muttertiere aufgenommen haben.» Die Muttertiere hatten Futter mit genverändertem Getreide gegessen, das gegen das Pflanzenschutzmittel Glyphosat auf den Feldern resistent ist.

Behörden: «völlig unbedenklich»

Für die Sicherheit von Importen von glyphosathaltigen Futtermitteln in die EU ist das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin zuständig. Dieses hat Bedenken stets als haltlos zurückgewiesen. Noch letztes Jahr erklärte Lars Niemann vom Bundesinstitut: «Der Wirkstoff Glyphosat ist nicht mutagen, er ist nicht kanzerogen, er ist nicht reproduktionstoxisch, er ist nicht fruchtschädigend, und er ist nicht neurotoxisch.» Mit andern Worten: Glyphosat sei völlig unbedenklich. Keine Missbildungen. Keine Krebserkrankungen.

Aus diesem Grund sind in Tierfutter und Lebensmitteln relativ hohe Rückstände des Pflanzengifts gesetzlich erlaubt. Besonders belastet damit ist Kraftfutter für Nutztiere, das per Schiff, vor allem aus Südamerika, nach Europa kommt. Meistens handelt es sich um genveränderte Soja.

«Zulassungsbehörden von Agrarlobby beeinflusst»

Die jüngste Kehrtwende der Weltgesundheitsorganisation WHO scheint zuständige Behörden wenig zu beeinflussen. Die WHO-Einschätzung, Glyphosat sei «wahrscheinlich krebserregend», «ist wissenschaftlich schlecht nachvollziehbar», wiegelt das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung in einer Stellungnahme ab und wiederholt, es gebe «keine Anhaltspunkte für eine krebserregende Wirkung».

Die Forscherin Claire Robinson der britischen NGO «Earth Open Source» kritisiert den Filz zwischen der Aufsichtsbehörde und der Industrie, die mit Glyphosat Milliarden umsetzt. In der Sendung «Frontal21» erklärte Robinson: «Ich denke, diese Art der Nähe der Zulassungsbehörden zur Industrie in Deutschland, aber auch in Europa insgesamt, gefährdet die Gesundheit der Menschen. Es werden Wirtschaftsinteressen über die Belange der öffentlichen Gesundheit gestellt - und das ist unverzeihlich.»

Laut den Recherchen von «Frontal21» sind ein Angestellter des Industriekonzerns Bayer und zwei Angestellte des BASF-Konzerns Mitglieder der wichtigen Pflanzenschutzmittel-Kommission des Bundesinstituts für Risikobewertung. Bayer und BASF sind Agrarunternehmen, die Geld mit Glyphosat verdienen.

Industrie und Bundesrat: «Bei richtiger Anwendung keine Gefahr»

Syngenta-Sprecher Thoralf Küchler führt die Spuren von Glyphosat, die im Urin vieler Menschen und auch im Grund- und Trinkwasser gemessen wurden, darauf zurück, dass «die Analysetechniken immer empfindlicher geworden sind, so dass geringste Mengen nachgewiesen werden können». Solche Spuren von Glyphosat seien «gesundheitlich absolut unbedenklich».

Das Gleiche sagt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV: Moderne Methoden könnten eben «kleinste Konzentrationen von Stoffen» nachweisen. Die gefundenen Dosen seien «gesundheitlich unbedenklich».

2013 berief sich der Bundesrat auf «die internationalen Gremien der WHO und der EU», die sich «einig sind, dass bei vorschriftsgemässer Anwendung von Glyphosat...ein vernachlässigbar geringes Gesundheitsrisiko für den Menschen besteht». Die Umweltorganisation «Pro Natura» kritisierte, dass sich die Behörden «fast ausschliesslich auf die Daten der Hersteller abstützen».

Auch zur neusten WHO-Beurteilung («wahrscheinlich krebserregend») sagt das BLV im Einklang mit der Industrie, die WHO stütze sich «auf ältere, bekannte Daten, von denen...bisher...kein krebserzeugendes Risiko abgeleitet wurde».

Das BLV lässt sich nicht davon beeindrucken, dass nach Angaben der New York Times sämtliche 17 wissenschaftlichen Beurteiler der WHO-«International Agency for Research on Cancer» IARC einstimmig zum Schluss kamen, Glyphosat sei «wahrscheinlich krebserregend». Studien mit Laborversuchen, Tierversuchen und die Auswertung von Krebserkrankungen sowie Missbildungen am Menschen haben gemäss IARC alle zum gleichen Resultat geführt.

Die IARC-Beurteiler hätten nur Studien und Statistiken ausgewertet, deren Daten frei zugänglich sind. Das schloss viele von Firmen finanzierte Studien aus, welche die Glyphosat-Hersteller zur Begutachtung von Glyphosat den Behörden vorlegten.

Keine gesundheitlich sichere Schwelle

Im Unterschied zu andern Schadstoffen gibt es bei krebserregenden und erbverändernden Substanzen keine minimale Dosis, die sicher wäre. Der Satz des Paracelsus stimmt bei Krebserregern nur insofern, als die Zahl der Opfer abnimmt, je geringer die Dosis ist. Allerdings wäre es schwierig nachzuweisen, dass in der Schweiz bei einer Missbildung oder einer Krebserkrankung Glyphosat im Spiel war. Die Beweislast liegt bei den Geschädigten.

In Argentinien, Brasilien oder Paraguay führt das flächendeckende Besprühen von Feldern mit Glyphosat zu einer relativ grossen Exposition der dort arbeitenden oder ansässigen Bevölkerung.

Erste Massnahmen ergriffen

In einigen Ländern haben Behörden erste vorsorgliche Massnahmen ergriffen:

El Salvador hat Glyphosat 2013 verboten, weil die Behörden eine Epidemie von Nierenerkrankungen auf das Pflanzenschutzmittel zurückführten.

Dänemark verbot Glyphosat in der Landwirtschaft bereits 2003, weil es das Grundwasser belaste.

Die Niederlande verbot 2014 jede nicht-kommerzielle Verwendung von Glyphosat ab Ende 2015.

Ähnliche Argumente bei Asbest und Tabak

Als es früher darum ging, die Krebsgefahr von Asbest oder die Krebsgefahr für Nichtraucher einzuschätzen, argumentierten Industrie und Behörden nach dem gleichen Muster:
  • Die allermeisten Studien ergaben kein Risiko. - Fast alle diese Studien hat die Industrie finanziert.
  • Bei «richtiger Anwendung» geht von Asbest keine Gefahr aus. — Welche Vorwürfe kann man den Betroffenen beim Anbau von Soja in Argentinien machen?
  • Internationale Behörden wie WHO und nationale Gesundheitsbehörden halten die Produkte aus Asbest und das Nichtrauchen für «gesundheitlich unbedenklich».
Sowohl beim Asbest als auch beim Tabak standen Behörden einer mächtigen Lobby gegenüber. Diese zahlte Professoren, Mediziner und Studien. Die Behörden liessen sich täuschen oder waren zu wenig unabhängig. Wie bei Glyphosat ging es bei der Asbest- und Tabakindustrie um Multimilliarden-Geschäfte.


Auf Menschen in Anbaugebieten nehmen unsere Behörden keine Rücksicht

Bundesämter werden erst aktiv, wenn sie die Glyphosat-Spuren im Trinkwasser, im Urin oder in Lebensmitteln für Einwohner in der Schweiz als ein Gesundheitsrisiko betrachten. Auf Risiken in fernen Anbaugebieten nehmen unsere Behörden keine Rücksicht. Selbst wenn Missbildungen und Krebserkrankungen in Argentinien, Brasilien oder Paraguay nicht mehr zu bestreiten wären, dürfte Glyphosat in der Schweiz weiterhin verkauft werden.

Das Bundesamt für Landwirtschaft schreibt Infosperber dazu: «Grundsätzlich erlaubt die Lebensmittel- und Futtermittelgesetzgebung nur die Überprüfung der Einhaltung der Schweizer Anforderungen an das Lebens-, resp. Futtermittelrecht - sprich die Einhaltung der Höchstwerte von Rückständen.» Das Parlament hat den Bundesämtern keine Kompetenz gegeben, auf Produktionsbedingungen und Risiken im Ausland Rücksicht zu nehmen.

Glyphosat darf deshalb in der Schweiz weiter verkauft werden, selbst wenn es im Ausland grosse Schäden verursacht. Nur glyphosat-haltige Futtermittel kommen nicht in die Schweiz, weil gen-verändertes Soya nicht in die Schweiz importiert werden darf.

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Wesentliches Material für diesen Beitrag stammt von der ZDF-Recherche der Sendung «Frontal21».

Migros und Coop entfernen freiwillig «Roundup»-Pflanzenschutzmittel für Hobbygärtner, die Glysophat enthalten, aus ihren Regalen. Zuvor hatten dies die Stiftung für Konsumentenschutz SKS, Greenpeace und die Ärzte für Umweltschutz dringend gefordert.

*Hier können Sie eine Petition der Stiftung für Konsumentenschutz SKS für ein Verbot von Glysophat unterschreiben. An der Petition beteiligen sich auch Greenpeace und die Ärzte für Umweltschutz..

Hier zu einer ausgezeichneten Dokumentation von ARTE vom März 2015 mit Aussagen geschädigter Bauern.


Weiterführende Informationen

Zur ZDF-Sendung «Frontal21» über Glyphosat vom 19.5.2015
Seedy Business: What Big Food is hiding with its slick PR campaign on GMOs