Immer mehr Bürger erhoffen sich von Schreckschusswaffen und Pfefferspray Schutz. Die Nachfrage nach dem "Kleinen Waffenschein" ist sprunghaft angestiegen. Doch wird damit der Alltag wirklich sicherer?
schreckschusspistole
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Immer mehr Bürger in Deutschland rüsten auf: Von Ende November bis Ende Januar nahm die Zahl der "Kleinen Waffenscheine" um mehr als 21.000 zu. Das zeigt eine tagesschau.de vorliegende Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Irene Mihalic. Insgesamt waren im Nationalen Waffenregister Ende Januar fast 301.000 "Kleine Waffenscheine" gespeichert.

Nach den Vorfällen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht hatten die Behörden in mehreren Bundesländern in den vergangenen Wochen immer wieder wachsendes Interesse am "Kleinen Waffenschein" gemeldet.

Diesen Anstieg bestätigen auch die Waffenhändler: Ingo Meinhard, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Büchsenmacher und Waffenfachhändler (VDB), spricht gegenüber tagesschau.desogar von einem "Boom". Seit dem Winter sei die Nachfrage nach freien Abwehrmitteln stark angestiegen. Darunter fallen CS-Reizgas, Pfefferspray, spezielle Taschenlampen zum Blenden und auch Schreckschusspistolen.

Andere Körpersprache

"Wer sich ein Abwehrmittel kauft, fühlt sich wieder sicher. Aufgrund dieses Gefühls habe ich eine andere Körpersprache und komme erst gar nicht in diese Opferrolle", erklärt Meinhard. Die Erfahrungen der Waffenhändler zeigten: Egal, ob Mann oder Frau, ob alt oder jung, die Mitte der Gesellschaft sei als Kunden in den Waffenläden und statte sich aus, sagt Meinhard.

Selbstbewaffnung als "Irrweg"

Nach den Terroranschlägen von Paris und der Kölner Silvesternacht sei das Sicherheitsgefühl der Menschen beeinträchtigt, bestätigt auch die Grünen-Abgeordnete Mihalic, selbst ausgebildete Polizistin. Doch die Selbstbewaffnung der Bevölkerung kritisiert sie gegenüber tagesschau.deals "Irrweg": "Im Ganzen betrachtet würde das nicht zu mehr Sicherheit für den Einzelnen, sondern bei Massenansammlungen eher zur Eskalation führen. Denn wer kann im Gewimmel, bei Karneval oder Konzerten, Täter und Opfer auseinanderhalten?" Am Ende greife jeder jeden an und überall sei Chaos. "Wir müssen ein Maximum an öffentlicher Sicherheit gewährleisten und dazu gehört, den Besitz und die Nutzung von Waffen mit hohen Auflagen zu versehen", fordert die Grünen-Politikerin.


Kommentar: Die Politikerin hat teilweise recht mit ihren Aussagen, dass es zu einer Eskalation führen kann. Doch das wird auch das eigentliche Ziel sein: Eine Eskalation zu erzeugen.


Doch wie ist die rechtliche Situation? Der "Kleine Waffenschein" ist seit 2003 erforderlich, wenn man Reiz-, Signal- oder Schreckschusswaffen tragen möchte. Tragen bedeutet zum Beispiel, die Waffe am Gürtel zu tragen. Das darf nur, wer den Schein hat. Dafür muss man bei der zuständigen Behörde einen Antrag ausfüllen und etwa 50 Euro bezahlen. Die Polizei Köln veröffentlichte - wohl wegen der hohen Nachfrage - nach den Übergriffen aus der Silvesternacht das Formular auf ihrer Facebook-Seite.

Keinen Schein braucht, wer eine Schreckschusswaffe kaufen will. Das ist in Deutschland ab 18 Jahren erlaubt. Die Waffe darf dann nur verpackt mitgeführt werden. Das heißt, für den Kauf solcher Waffen gibt es bislang keine Auflagen. Auch für die Aufbewahrung zu Hause ist kein Waffenschein erforderlich. Mihalic fordert, diese "Lücken im Waffenrecht" zu schließen. "Ein Baustein wäre, dass auch Kauf und Besitz von Schreckschusswaffen, Pfefferspray und Co. zukünftig erlaubnispflichtig werden."

kleiner waffenschein
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Für Pfefferspray allerdings braucht der Nutzer nach Angaben des Waffenexperten Meinhard keinen Waffenschein. Allerdings ist Pfefferspray in Deutschland nur mit dem Zusatz "zur Tierabwehr" zu kaufen. In Notwehrsituationen darf es zur eigenen Verteidigung eingesetzt werden, wann aber eine solche Lage eintritt, ist eine juristische Frage.

Auch in Notwehrsituationen genutzt werden kann das CS-Gas. Es ist quasi die Light-Variante des Pfeffersprays und mit einem Prüfsiegel des BKAs ausgestattet und auch für den Einsatz gegen Menschen zugelassen. Weil aktuell der deutsche Pfefferspray-Markt relativ leer gefegt sei, versuchten ausländische Produzenten ihr Pfefferspray hier abzusetzen. Fehle dabei der Tierabwehr-Zusatz, falle es unter das Waffengesetz und sei zunächst verboten, erklärt Meinhard.

Schuss auf die Melone - sie platzt

Doch wie gefährlich ist eine Schreckschusspistole? Dabei kommt es auf die Munition an. Entweder gibt es einen Schreckschuss - einen Knall - oder eine Pfeffer- oder Reizgas-Munition. Diese könnte den Gegenüber außer Gefecht setzen, weiß Waffenexperte Meinhard. Damit soll ein Aggressor auf Distanz gehalten werden. Lässt man aber jemanden direkt an sich heran und ziele dann, sei die Waffe nicht bestimmungsgemäß eingesetzt worden. "Zielt man direkt auf eine Melone, platzt sie", erklärt Meinhard. Genauso könne man einen Menschen ernsthaft verletzten, wenn man ihm die Waffe direkt an den Körper halte und abdrückt.

Einen Grund für eine Gesetzesverschärfung sieht Branchen-Vertreter Meinhard nicht. Er befürchtet bei einem Verbot verstärkten illegalen Waffenhandel. Die Zahl der neu ausgestellten Waffenscheine versucht er zu relativieren: Nur weil es mehr als 300.000 "Kleine Waffenscheine" gebe, bedeute das nicht, dass 300.000 Bürger mit Schreckschusspistole herumliefen. Zudem gebe es Auflagen, dass eine Schreckschusspistole bei einer öffentlichen Veranstaltung wie einer Demo nicht mitgetragen werden dürfe. Dort sei der Veranstalter für die Sicherheit der Teilnehmer zuständig.

Vertrauen in Sicherheitsbehörden

Die Grünen-Abgeordnete Mihalic sieht die Politik in der Pflicht. Sie müsse es sehr ernst nehmen, dass sich die Menschen an öffentlichen Plätzen zunehmend unsicher fühlten. "An diesem Thema zeigt sich, dass der jahrelange Personalabbau auch auf Bundesebene ein großer Fehler war, dessen Folgen sich angesichts der aktuellen Bedrohungslagen verstärkt zeigen. Wir müssen diesen Trend des Personalabbaus bei den Sicherheitsbehörden nachhaltig umkehren." Ziel müsse sein, dass Menschen darauf vertrauen, dass das Gewaltmonopol beim Staat liege.

Wie groß der Boom nach Abwehrmitteln tatsächlich ist? Eine genaue Zahl, wie viele Schreckschusspistolen oder Pfeffersprays in den vergangenen Monaten tatsächlich über den Ladentresen gingen, kann auch Meinhard nicht nennen. Deshalb hat sein Verband eine Studie bei der Gesellschaft für Konsumforschung in Auftrag gegeben, die die absoluten Zahlen an Verkäufen je nach Bundesland für 2014 und 2015 ermitteln soll.