fusion reactor
Das Megaprojekt ITER verspricht seit Jahrzehnten vergeblich billigen und sauberen Strom aus der Kernfusion. Private Unternehmen wollen dieses Versprechen nun einlösen.

Very British - irgendein Spaßvogel hat einen kleinen Union Jack oben auf das ST25 gepflanzt. Die bullige Apparatur, die auf einem achteckigen Holzpodest kauert, könnte auch eine viktorianische Zeitmaschine sein - gut gesichert in ihrem Drahtkäfig mit zwei Spezialschlössern.

Alan Sykes, technischer Direktor von Tokamak Energy, klickt ein paar Schaltflächen auf der Steuerkonsole an, Warnleuchten blinken, dann ist in einem Bullauge kurz ein leuchtendes Flackern zu sehen - rosa, mit einem Hauch Magenta. Das war's? Das soll die Zukunft der Energieversorgung sein? "Ja", bestätigt David Kingham, Geschäftsführer des Unternehmens, "wir wollen in spätestens zehn Jahren Strom aus Fusionsenergie produzieren." Mit kleinen, modularen Reaktoren, so ähnlich wie der hier im Labor.

Fusionsenergie? Ist das nicht dieses ewige Versprechen auf eine schier unerschöpfliche Energiequelle, dem Hunderte Forscher im französischen Cadarache nachjagen? Der Forschungsreaktor ITER wird frühestens 2023 fertig - und es vergehen mindestens noch weitere acht Jahre, bis die erste Fusion gezündet wird. Der ITER wird ein dreißig Meter hohes, Tausende von Tonnen schweres Gebilde, dessen Bau voraussichtlich 15 bis 20 Milliarden Euro kosten wird.

Und nun will ein Start-up aus Milton Park in der Nähe von Oxford es schneller schaffen? Mit einem Gerät, das aussieht wie aus der Bastlerwerkstatt? Um einen ringförmigen Wulst aus glänzendem Edelstahl wickeln sich vier nahezu armdicke Stahlreifen von gut anderthalb Metern Durchmesser. Diese wiederum umschließen dicke, blau isolierte Kabel. Bullaugen öffnen den Blick ins Innere, gesichert mit dicken Bolzenschrauben und Drahtgeflecht. Auf der Ober- und Unterseite schließen Kupferspulen das Gebilde ab. Das soll also besser sein als ITER?

Der Herausforderer

Wie eine kleine Firma den Fusionswettlauf mit dem Milliardenprojekt ITER aufnimmt.

"Wissenschaft ist immer ein ungewisses Unterfangen", sagt Kingham und lächelt. "Aber wir sind sehr zuversichtlich." Mit seinem ehrgeizigen Zeitplan ist das 20-köpfige Team nicht allein. Acht weitere Unternehmen arbeiten an alternativen Reaktorkonzepten für die Fusionsforschung. Sie peilen an, spätestens in zehn Jahren erste Fusionskraftwerke zu bauen.

Das Ziel ist lohnend, keine Frage. Bei der Fusion wird so viel Energie frei, dass sich alle anderen Energiequellen recht mickerig ausnehmen: Ein Kilogramm Wasserstoff verschmolzen zu Helium liefert so viel Energie wie 11000 Tonnen Steinkohle.

Technisch ist die Fusion allerdings eine riesige Herausforderung. Denn um Wasserstoffatome zu Helium zu verschmelzen, muss man die elektrische Abstoßung zwischen den Atomkernen überwinden. Das aber gelingt nur bei extrem großer Hitze, wenn das Gas eine diffuse Wolke aus Elektronen und Atomkernen bildet, das sogenannte Plasma.

Ein derartig erhitztes Plasma würde einfach auseinanderfliegen. Die Atomkerne würden nicht mehr aufeinandertreffen, um zu verschmelzen. Also müssen die Forscher das Plasma einsperren, beispielsweise mit starken Magnetfeldern. Wenn ausreichend viele Teilchen oft und heftig genug miteinander zusammenstoßen, fängt das Plasma an zu "brennen", sagen die Wissenschaftler. Nötig sind dafür zum Beispiel etwa 100 Millionen Grad und eine Plasmadichte von ungefähr 100 Billionen Teilchen pro Kubikzentimeter. Klingt viel, ist aber 250.000-fach dünner als die Lufthülle der Erde.

Allerdings zeigte sich schon bei den ersten Fusionsexperimenten in den 1970er-Jahren, dass Plasma seinen eigenen Kopf hat: Es bildet Wirbel, Turbulenzen und Filamente, bricht aus dem Magnetfeld aus - und verliert bei all diesen Aktionen an Energie. Geht in den äußeren Schichten jedoch mehr Energie verloren, als die Fusion im Inneren produziert, erlischt es.

"Sie müssen sich das vorstellen wie in einer Badewanne", sagt Steven Cowley, der das Forschungszentrum für Fusionsforschung im britischen Culham leitet. "In der Mitte ist das Plasma am heißesten. Hier haben Sie 100 Millionen Grad." Er nimmt die Hände auseinander wie ein Angler, der die Größe seines Fanges zeigen will. "Aber an der Wand des Vakuumgefäßes haben Sie Zimmertemperatur. Natürlich bilden sich bei solch enormen Temperaturunterschieden Turbulenzen." Die Antwort der Fusionsforscher: Wir müssen einen großen Reaktor bauen, dann sind die Verluste kleiner.

Dass diese Idee tatsächlich funktioniert, kann man wenige Hundert Meter von Cowleys Büro entfernt besichtigen: Dort steht der JET (Joint European Torus), 1984 eingeweiht, mit einer Plasmakammer von acht Metern Durchmesser. Mit ihm gelang es den Wissenschaftlern 1997 zum ersten Mal weltweit, ein Fusionsplasma zu zünden und eine Fusionsleistung von 16 Megawatt zu erzeugen. Cowley sieht das Gebäude von seinem Schreibtisch aus - eine weiße, fast unscheinbare Industriehalle. Das Einzige, was auffällt, sind große Klappen auf dem Dach. "Sie dienen zur Kühlung", erklärt er. "Irgendwie mussten wir ja die Wärme aus dem Gebäude rauskriegen."

Aber der Triumph war nicht vollständig - die Verluste waren zu hoch. Die Wissenschaftler konnten nur 65 Prozent der zuvor in das Plasma eingebrachten Heizleistung zurückgewinnen. "Ein Maß für die Verlustleistung ist die Energie-Einschlusszeit", erklärt Cowley. Sie sagt aus, wie lange Gasteilchen brauchen, um vom heißesten Teil des Plasmas nach außen in die kühleren Schichten zu gelangen. Beim JET betrug diese Zeit eine Sekunde. "Bei ITER werden es drei Sekunden sein", sagt Cowley. Denn dort hat die Plasmakammer einen Durchmesser von 30 Metern.

Seit Jahrzehnten folgt die Plasmaphysik damit einer Logik, die fatal an die Teilchenphysik erinnert: Jede neue Anlage wird noch größer, ihr Bau dauert noch länger und wird noch teurer. Kleine Unternehmen wie Tokamak Energy wollen mit dieser Logik brechen. "ITER ist wie eine Kathedrale", sagt David Kingham. "Die machen fantastische Wissenschaft. Aber bei einer so wichtigen Sache wie der Fusionsenergie darf es nicht nur einen Weg geben."

Ironie der Geschichte: Das technische Grundprinzip, auf dem Tokamak Energy aufbauen will, wurde ursprünglich ebenfalls in Culham entwickelt. Viele der Wissenschaftler, die jetzt bei der Firma angeheuert haben, waren dort beschäftigt. Sykes beispielsweise war in der Theorie-Abteilung. "Wir haben ein bisschen mit den Formeln rumgespielt", erzählt er. Dabei entdeckten sie, dass sich das Plasma besser verdichten lässt, wenn sich beim Reaktor das Verhältnis von Höhe zu Breite ändert. Das Ergebnis war ein "sphärischer Tokamak", geformt wie ein Apfel mit herausgestochenem Kerngehäuse. Um die Theorie zu testen, bauten die Forscher solch eine kleinere Plasmakammer, das MAST-Experiment (Mega Ampere Spherical Tokamak). Und siehe da: Die Ergebnisse bestätigten sich. Trotzdem blieb der Schwerpunkt in Culham auf dem konventionellen Design.

Denn sphärische Tokamaks hatten lange ein Problem: Eines ihrer zentralen Bauteile ließ sich nicht gegen Neutronen abschirmen. Sie entstehen während der Fusion und sind für die Energiegewinnung zentral: Neutronen transportieren rund 80 Prozent der Fusionsenergie aus dem Plasma heraus, erhitzen Neutronen-Absorber in der Wand der Plasmakammer. Diese Hitze treibt schließlich die Turbinen zur Stromerzeugung an.

Aber die Neutronen bringen auch eine große Schwierigkeit mit sich: Sie beschädigen das Material der zentralen Magnetspule in der Mitte des Reaktors. Um die zu schützen, muss mindestens ein Meter Abschirmung zwischen ihr und der Plasmakammer liegen. "Die Leute haben gesagt, es würde nicht funktionieren, weil man an der Stelle einfach nicht genug Platz hat", erinnert sich Sykes. Außerdem sei "Culham sehr eng mit dem ITER-Projekt verknüpft. Die wollten sich nicht ablenken lassen."

Bei Tokamak Energy glauben die Entwickler, einen Weg aus dieser Sackgasse gefunden zu haben: Ein Stoff, der so unscheinbar aussieht wie Tesafilm und mit einem bräunlichen Belag beschichtet ist. Doch das Material hat es in sich. "Ein Meter davon kostet hundert Dollar", sagt Kingham lapidar, als er ihn vorzeigt.

Es handelt sich um einen Hochtemperatur-Supraleiter für die Magnetspulen. Supraleiter sind Materialien, die unterhalb einer sehr tiefen Temperatur jeden elektrischen Widerstand verlieren. Konventionelle Supraleiter funktionieren bei etwa minus 250 Grad Celsius, sie müssen mit flüssigem Helium gekühlt werden. Für Hochtemperatur-Supraleiter dagegen reichen minus 180 Grad Celsius, die Temperatur von flüssigem Stickstoff. Die entsprechenden Keramikmaterialien haben Georg Bednorz und Karl Alexander Müller bereits 1986 entdeckt. Für technische Anwendungen sind sie aber erst seit einigen Jahren auf dem Markt.

Mithilfe der Hochtemperatur-Supraleiter können die Briten sehr viel kleinere, kompaktere Spulen bauen, um die für ihren Reaktor notwendigen Magnetfelder zu erzeugen. Denn die Neutronen würden zwar winzige Brüche in der Kristallstruktur der Hochtemperatur-Supraleiter schlagen. Tatsächlich erhöht das aber den maximal möglichen Stromfluss durch die Keramikbänder. "Wir haben eine Menge Simulationen gerechnet", sagt Sykes. "25 Zentimeter Abschirmung reichen." Er schaut fragend zu Kingham: "Darf ich sagen, was für ein Material wir verwenden wollen?" Kingham nickt. "Wolframcarbid, ein extrem hartes Material, das zum Beispiel für Bohrköpfe verwendet wird."

In Handarbeit klebten die Konstrukteure die Meterstücke zu langen Bändern. Die Geometrie der Wicklungen optimierten sie vorher im Computer. Denn sie bestimmt unter anderem die Form des Magnetfelds - und jede noch so kleine Abweichung vom Idealzustand führt dazu, dass das Plasma schneller auseinanderfällt. Rund hunderttausend Euro haben die Spulen gekostet, aber die Investition hat sich gelohnt: Sykes und seine Kollegen haben in diesem Sommer als weltweit erstes Team gezeigt, dass ein kleiner sphärischer Tokamak mit supraleitenden Magneten länger als 24 Stunden am Stück laufen kann.

"Wenn Sie eine kleine Anlage bauen, und die funktioniert, machen Sie schnellere Fortschritte", meint Kingham. "Wenn sie nicht funktioniert", er zuckt mit den Schultern, "dann ist das auch kein unlösbares Problem." ITER dagegen ist ein Koloss, der sich nur schwer umsteuern lässt. Als sein Design beschlossen wurde, gab es noch keine Hochtemperatur-Supraleiter. "Aber jetzt ist es zu spät", sagt Sykes. "Die Entscheidung ist getroffen."

Der Wettlauf

Mit Hunderten Millionen Dollar Risikokapital im Rücken sind andere Unternehmen Tokamak Energy auf den Fersen.

Noch liegt auch vor den Briten ein weiter Weg: Bei ihrem kleinen Reaktor sind die Felder viel zu schwach, um auch nur in die Nähe der Fusion zu kommen. In der Nachbarhalle bauen sie deshalb gerade am nächsten Reaktor. Der ST40 wird mit einer Art Auspuff für abgekühlte Gasteilchen - dem Divertor - und einer kraftvollen Plasmaheizung - dem Teilchenstrahlinjektor - ausgestattet.

Die Anlage wird etwas mehr als drei Meter hoch, besitzt dann einen Durchmesser von 2,80 Metern und soll im August 2016 in Betrieb gehen. Die Spulen werden zwar noch aus Kupfer bestehen, denn "Supraleiter wären bei dieser Größe noch zu teuer", sagt Kingham beinahe entschuldigend. Doch immerhin sollen sie im Plasma ein Magnetfeld von drei Tesla erzeugen - das stärkste, das es bisher in einem sphärischen Tokamak gab.

Auf 20 Millionen Grad soll das Plasma in diesem Reaktor kommen - bei einer Energie-Einschlusszeit von mehr als einer Sekunde. "Damit kommen wir nahe an die Fusionsbedingungen heran", sagt Kingham.

Wenn alles funktioniert wie geplant, wird die übernächste Reaktorgeneration dann mit supraleitenden Magneten ausgerüstet. Der ST60 soll zum ersten Mal auch ein Fusionsplasma zünden. Aber um so weit zu kommen, muss das Unternehmen zunächst neues Geld einsammeln. Der Bau des ST40 wird fünf Millionen Pfund verschlingen.

Sieht man sich die Liste der privaten Unternehmen an, die an Fusion forschen, scheint Geld nicht das Problem zu sein. Offenbar gibt es genügend Investoren, die stattliche Summen auf die neue Energiezukunft verwetten. Am meisten Geld hat ein lange sehr mysteriös agierendes Unternehmen namens Tri Alpha eingesammelt: rund 150 Millionen Dollar. Als Geldgeber beteiligen sich etwa die Investmentbank Goldman Sachs und das Unternehmen von Microsoft-Mitgründer Paul Allen, Vulcan.

Die 1998 von den Plasmaphysikern Norman Rostoker von der University of California sowie Irvine und Hendrik J. Monkhorst von der University of Florida gegründete Firma gilt als extrem verschlossen. Bis heute betreibt Tri Alpha nicht einmal eine Website. Im Juni aber lüftete das Unternehmen zumindest ein klein wenig den Schleier: Zum ersten Mal veröffentlichte es wissenschaftliche Ergebnisse zu seinen Experimenten. Demnach verwendet Tri Alpha die "Field-Reversed Configuration"-Methode (FRC). Die Idee dabei ist, Plasmaringe zu erzeugen, die sich selbst stabilisieren, weil ihr eigenes Magnetfeld sich mit einem äußeren Feld externer Magnetspulen so überlagert, dass sich geschlossene Feldlinien bilden.

In seinem "Beam Fusion Reactor" erzeugt Tri Alpha zwei solcher Ringe, um sie dann mit 250 Kilometer pro Sekunde aufeinander zu schießen, beschleunigt von ringförmigen Magneten. Prallen die Plasmen zusammen, soll in der Mitte die Fusion entstehen. Jedenfalls in der Theorie: Bis vor Kurzem konnten die Forscher die Plasmaringe nicht länger als 0,3 Millisekunden aufrecht erhalten. Sie kippten zur Seite, veränderten ihre Form, kollidierten mit der Röhrenwand und lösten sich so auf.

Um das Plasma zu stabilisieren, beschoss Tri Alpha die Ringe mit schnellen Ionen und ergänzte das magnetische durch ein elektrisches Feld an den Enden des Reaktors. Das Ergebnis: Die Plasmaringe hielten im Schnitt fünf Millisekunden. Das ist immer noch weit vom eigentlichen Ziel - Stabilität für eine Sekunde - entfernt. Im nächsten Schritt will das Unternehmen daher auch die Heizenergie erhöhen. Die Temperatur des Plasmas soll hoch genug steigen, um zumindest eine Fusion von Tritium und Deuterium zu erzeugen.

Das Fernziel des Unternehmens geht aber weit darüber hinaus. Eigentlich wollen die Wissenschaftler Wasserstoff mit Bor verschmelzen. Diese Fusionsreaktion hat den großen Vorteil, dass dabei keine Neutronen frei werden, die mühsam abgeschirmt werden müssen. Ein solcher Fusionsgenerator ließe sich viel leichter für mobile Anwendungen wie U-Boote, Schiffe oder Flugzeuge verwenden. Die dafür notwendige Temperatur beträgt aber nicht 100 Millionen Grad Celsius - sondern drei Milliarden.

Auf Platz zwei der privaten Investitionen folgt General Fusion. Das kanadische Unternehmen hat mittlerweile rund 84 Millionen Dollar eingesammelt - unter anderem von Amazon-Gründer Jeff Bezos. Die Idee von Firmengründer Michel Laberge wirkt recht exotisch: General Fusion will eine Plasmakugel in einen Wirbel aus flüssigem Metall einschließen. Diesen Wirbel will sie dann mithilfe von Schockwellen extrem schnell zusammendrücken. Dabei soll der Druck im Inneren so stark zunehmen, dass die Atomkerne im Plasma verschmelzen.

Die Druckwellen werden von Zylindern ausgelöst, die synchron von außen auf eine flüssige Blei-Lithium-Mischung schlagen. 2013 veröffentlichte General Fusion ein Paper, in dem Bilder einer Hochgeschwindigkeitskamera zu sehen sind, die tatsächlich einen kollabierenden Wirbel zeigen. In den vergangenen zwei Jahren hat das Unternehmen mit Computersimulationen am Design für die Reaktorkammer gefeilt. Denn die wird nach Angaben von Michel Delage, Vizepräsident für Technologie und Unternehmensstrategie bei General Fusion, mit 200 Kompressionskolben bestückt.

Der zweite Schwerpunkt ist laut Delage die Arbeit an den Plasma-Erzeugern. Die spitz zulaufenden Injektoren produzieren Plasmaringe von rund zwei Metern Durchmesser, die sie dann auf 40 Zentimeter komprimieren. Dichte und Temperatur der Plasmaringe sind laut Delage "überraschend gut". Aber man kämpfe noch mit Instabilitäten.

Wellen schlug auch das Rüstungsunternehmen Lockheed Martin, als es im Oktober 2014 erstmals verkündete, an einem kleinen Fusionsreaktor zu arbeiten. Mutig verkündete der Konzern, in nur fünf Jahren könne man einen ersten Prototyp mit einigen Hundert Megawatt Leistung vorweisen, der "auf die Ladefläche eines Trucks" passt.

Mittlerweile ist Lockheed Martin etwas zurückhaltender. Auf Anfrage teilt das Unternehmen mit, es gebe keine Interviews zur Fusionsforschung. Alles, was nicht auf der Website veröffentlicht sei, betrachte man "als vertraulich". Teamleiter Tom McGuire durfte aber vor Kurzem zu den versammelten Wissenschaftlern des Instituts für Plasmaphysik in Princeton sprechen.

Kompakte Fusionsgeneratoren seien für mobile Zwecke hochinteressant, so der Plasmaphysiker gegenüber seinem skeptischen Publikum. Denn ein großes Transportflugzeug wie die C-5 Galaxy müsse bei jedem Start 125 Tonnen Treibstoff mit sich schleppen. "Wenn Sie das gegen einen Fusionsreaktor tauschen könnten, hätten Sie alle Vorteile, die atomar angetriebene Schiffe jetzt schon haben. Sie können rund um die Welt fliegen, ohne einmal auftanken zu müssen", sagte er. "Das wäre ein großes Ding. Normalerweise arbeiten wir schon extrem hart daran, auch nur zehn Prozent mehr Reichweite zu erzielen."

Allem PR-Getöse zum Trotz befindet sich die Entwicklung aber noch in einem frühen Stadium. Im Labor von McGuires Arbeitsgruppe steht eine rund zwei Meter lange Röhre mit einem Meter Durchmesser. Innen liegen zwei ringförmige, supraleitende Magnete, außen befinden sich diverse zusätzliche Magnetspulen.

Aufgeheizt wird das Plasma zunächst durch Mikrowellen und dann durch einen Teilchenstrahl - die magnetischen Felder halten das Plasma an seinem Platz in der Mitte der Röhre. Es verhält sich nach Angaben von McGuire recht "folgsam", ist aber noch nicht sonderlich heiß: 30000 Grad haben er und seine Kollegen erreicht. Der nächste Schritt sei eine Plasmaheizung mit 100 Kilowatt Leistung. Ein erster Prototyp, in dem tatsächlich Fusion stattfindet, könne aber schon bald gebaut werden. "Dieses Experiment brauchte drei Monate Vorbereitungszeit und drei Monate Bauzeit", erklärte McGuire den versammelten Plasmaforschern. "In fünf Jahren kann ich fast zehn Iterationen durchführen. Das ist schon ziemlich viel für einen Prototyp."

Unklar ist aber, mit welchem Material die Wand des Vakuumgefäßes beschichtet wird, um die Neutronen abzubremsen, die ein brennendes Plasma erzeugen wird. Nur eins ist sicher: "Wenn wir ein Material bekommen, das eine Neutronenleistung von zehn Megawatt pro Quadratmeter aushält, können wir das Gewicht des Reaktors auf 100 Tonnen begrenzen. Dann kann man ihn auch auf einen Laster laden. Schaffen wir nur ein Megawatt pro Quadratmeter, wird der Reaktor eben größer", erklärt McGuire.

Das Finale

Wer immer das Rennen macht - ITER wird ihm über die Ziellinie helfen.

Ob derart kleine Fusionsreaktoren möglich sind, muss also die zukünftige Forschung zeigen - unter anderem beim ITER. Auch Lockheeds Konkurrenten koppeln sich nicht völlig von dem Mammutprojekt ab, so sehr sie auch dessen Gigantomanie kritisieren. "Der große Vorteil von öffentlich geförderter Forschung wie bei ITER ist, dass alle Ergebnisse öffentlich sind", sagt Kingham. Auch er verspricht sich vom ITER praktische Erkenntnisse über das Material für die Plasmakammer. "Wir müssen Prioritäten setzen", setzt er hinzu. "Das bedeutet, die wichtigsten Probleme zu lösen und manche Fragestellungen erst mal offen zu lassen."

Culham-Forschungsleiter Cowley glaubt daher weiter an die Großforschung. Er deutet aus dem Fenster zum JET-Reaktor. "Der Tokamak ist bisher der einzige, bei dem wir eine Fusion geschafft haben. Ich bin sicher, ITER wird funktionieren, und ich möchte dort sein, wenn es passiert." Er lacht kurz auf. "So alt bin ich ja noch nicht." Fusionstriebwerke für Flugzeuge sind ihm deutlich zu spekulativ. "Das ist verrückt." Er zieht die Augenbraue hoch. "Die Physik gibt so etwas nicht her."

Weniger kritisch sieht es der finnische Kernphysiker Thomas Linden, der am Teilchenbeschleuniger Cern arbeitet und die Fusionsszene seit Jahren beobachtet. "Jedes der alternativen Konzepte beruht auf bekannten physikalischen Prinzipien und in vielen Fällen auf über zehn Jahren Forschung", sagt er. "Ich würde also nicht sagen, das ist alles spekulativ." Einen klaren Favoriten möchte er aber nicht benennen. In allen Fällen müssten weitere Experimente erst noch zeigen, "was funktioniert und was nicht". Das Wettrennen dürfte also noch spannend werden.

(Wolfgang Stieler) / (bsc)