Reichtum und Armut
© ReutersWo Reichtum ist, wächst Reichtum zu. Die Organisation Oxfam macht als Gründe dafür unter anderem Steuervermeidung, Vererbung von Großvermögen und Protektionismus zu Lasten der Entwicklungsländer aus.
Vor einem Jahr besaßen noch 62 Superreiche so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Welt, nun reichen acht von ihnen aus. Selbst Oxfam ist von den Zahlen überrascht. Als Grund macht die Organisation vor allem die wachsenden Einkommensunterschiede aus.

Die Zahlen sind erschreckend: Laut einer Studie der Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam besitzen die reichsten acht Menschen, allesamt Männer, zusammengenommen 426 Milliarden US-Dollar. Damit überflügeln sie gemeinsam das Vermögen der gesamten ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung.

Diese Zahlen gehen aus dem Oxfam-Bericht "An Economy for the 99 Percent" hervor, den die Organisation jüngst zum Beginn des Weltwirtschaftsforums in Davos präsentierte. Demnach ist die wachsende soziale Ungleichheit weit dramatischer als von Oxfam selbst angenommen, Tendenz steigend. Noch vor einem Jahr waren es 62 Menschen, die zusammengenommen mehr Reichtum besaßen als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung - insgesamt 3,6 Milliarden Menschen. Die eklatante Differenz erklärt sich laut Oxfam durch neue Vermögensdaten, vor allem aus Indien und China, aus denen hervorgeht, dass die Ärmsten noch erheblich weniger besitzen als bisher angenommen.

Oxfam Deutschland beschreibt die Situation anhand eines Bildes:
Wäre das Weltvermögen ein Kleinwagen, gehörte der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung gerade einmal der mitgelieferte Wagenheber.
Verantwortlich für die dramatische Entwicklung sind die immer weiter auseinandergehenden Einkommensunterschiede. Demnach verdient etwa der reichste Mann Vietnams an nur einem Tag mehr als die Ärmsten des Landes in zehn Jahren. Der Studie zufolge dauert die diesen Zahlen zugrundeliegende Entwicklung schon seit Jahrzehnten an. Denn während die Einkommen der ärmsten zehn Prozent der Weltbevölkerung zwischen 1988 und 2011 um weniger als drei Dollar angestiegen waren, vervielfachte das reichste eine Prozent sein Einkommen um das 182-fache.

Daher verschärft die Situation in den so genannten Schwellen- und Entwicklungsländern zwar die Entwicklung, sie ist jedoch nicht Kern des Problems. Vielmehr ist sie ein Symptom der tiefer liegenden Krankheit eines global entfesselten Kapitalismus. Wirtschaftliche und soziale Ungleichheit sind mitnichten Problematiken der Staaten des globalen Südens. Oxfam erläutert die Besitzverhältnisse am Beispiel Deutschlands:
In Deutschland besitzen 36 Milliardäre so viel Vermögen (297 Milliarden US-Dollar) wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung; das reichste Prozent besitzt rund ein Drittel des gesamten Vermögens (31 Prozent oder 3,9 Billionen US-Dollar).
Viele Menschen haben zudem den Eindruck, dass die Politik vor der Wirtschaft kapituliert und sich vom launischen und eben nicht sozialen "Markt" abhängig gemacht hat. Auch der Kampagnenleiter von Oxfam Deutschland, Jörn Kalinski, warnt vor den Folgen für den sozialen und politischen Zusammenhalt:
Weltweit fühlen sich immer mehr Menschen abgehängt. Vielerorts stagnieren die Reallöhne, während Manager und Großaktionäre sich jedes Jahr steigende Millionenbeträge genehmigen. Für Bildung und Gesundheitsversorgung fehlt vielen Staaten das Geld, weil Supereiche und internationale Konzerne sich um ihre Steuerbeiträge drücken. Regierungen betreiben das Spiel der globalen Konzerne und reichen Eliten - und die Bevölkerung zahlt die Zeche. Das beschädigt den sozialen Zusammenhalt, behindert den Kampf gegen Armut und untergräbt den Glauben an die Demokratie. So bereitet Ungleichheit den Boden für Rechtspopulisten und andere Feinde einer solidarischen Gesellschaft.
Doch nach wie vor wird dieser - sich immer vehementer Gehör verschaffenden und oft von diffuse Ängste schürenden Trittbrettfahrern ausgenutzten - Entwicklung nicht entschieden begegnet. Noch immer scheinen die Entscheidungsträger an den politischen Hebeln der Macht offensichtlich nicht gewillt zu sein, die Gestaltungskraft der Politik wieder stärker zu nutzen. Mehr denn je scheint der Primat der Wirtschaft die politischen Entscheidungen zu bestimmen.

Oxfam sieht die wirtschaftlichen Gründe für die wachsende soziale Ungleichheit in einem geradezu parasitären Gebaren der wirtschaftlichen Eliten:
Diese Entwicklung hängt eng mit Möglichkeiten reicher Menschen und internationaler Konzerne zusammen, sich Vorteile auf Kosten des Allgemeinwohls zu verschaffen. Sie nutzen aggressive Steuervermeidungstechniken, verschieben ihre Gewinne in Steueroasen und treiben Staaten in einen ruinösen Wettlauf um Niedrigsteuersätze.
Der "freie Wettbewerb" ist eben nicht frei, sondern basiert zu einem erheblichen Maße auf Wettbewerbsvorteilen, die sowohl lokal als auch international ebenfalls sehr ungleich verteilt sind. Mit den Fähigkeiten des Einzelnen haben sie nur sehr peripher zu tun. Ein Beispiel geben diesbezüglich die Vermögen, die vererbt werden, Stichwort: "Von Beruf Sohn". So werden Prognosen zufolge in den kommenden zwanzig Jahren 500 der reichsten Menschen der Welt Vermögen in Höhe von 2,1 Billionen Dollar vererben. Dieser Reichtum wird neuen Reichtum produzieren, ohne dass die jeweiligen Besitzer des Vermögens mit besonderen Fähigkeiten gesegnet sein müssten.

Ein weiteres Beispiel sind die "Economic Partnership Agreements" (EPA) zu nennen, die etliche arme afrikanische Staaten dazu zwingen, ihre Zölle für europäische Erzeugnisse weiter zu senken, wiederum im Namen des "freien Wettbewerbs". Da jedoch die heimische Wirtschaft nicht konkurrenzfähig genug ist, wird jegliche "Entwicklung" im Keim erstickt. Zusätzlich überschwemmen hochsubventionierte EU-Produkte die lokalen Märkte und verdrängen etwa heimische Bauern vom Markt. Oxfam verweist auf das Beispiel des Schokoladenriegels. So erhielten Kakao-Bauern in den 1980er Jahren noch 18 Prozent des Gegenwerts eines Schokoriegels. Im Gegensatz dazu sind es heute noch sechs Prozent.

In Malawi, Vietnam und Kenia werden derweil von Unternehmen, die einige der profitabelsten Abnehmer in Großbritannien mit Erzeugnissen beliefern, Hungerlöhne gezahlt. So könnten etwa die Einkommen von kenianischen Blumenverkäufern verdoppelt werden, wenn nur fünf Cent zu einem Rosenstrauß im Wert von vier Pfund hinzugefügt würden. Stattdessen jedoch erhalten die Staaten dann ein Almosen namens "Entwicklungshilfe", das Unterstützung suggeriert, wo ausbeuterische Strukturen vorherrschen.

Um der Entwicklung lokal und international Einhalt zu gebieten, fordert Oxfam einen weltweiten Mindeststeuersatz für Konzerne, um diese daran zu hindern, sich der Besteuerung zu entziehen. Ebenso sollen Steueroasen trockengelegt und hohe Einkommen und Vermögen Stärker besteuert werden. Oxfam fordert auch, dass Unternehmen dazu verpflichtet werden sollten, nachzuweisen, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften.