Ich weiß schon nicht mehr genau wie, aber heute Nacht bin ich beim Surfen im Net bei eBay auf alte Gutscheine und Marken für rationierte Waren während des Ersten und Zweiten Weltkriegs gestoßen. Die scheinen dort derzeit ein Hit zu sein und fleißig gehandelt zu werden. Darunter ist zum Beispiel eine Milchkarte für Kranke, ausgestellt vom Hamburgischen Kriegsversorgungsamt im November 1916.
Shops are rationing greens after snow and storms in the Mediterranean have destroyed crops causing shortages which will last until April
Geschäfte bieten weniger Grünzeug an nachdem Schnee und Stürme im Mittelmeerraum Ernten vernichtet hat.
Ich gehe nicht davon aus, dass die Popularität jahrzehntealter Rationierungs-Scheine etwas damit zu tun hat, dass andere Anlageformen wie Aktien, Immobilien, Gemälde und Uhren in den vergangenen Jahren viel zu teuer geworden sind und viele Kleinanleger jetzt auf andere „Wertpapiere“ ausweichen, sondern dass wir zunehmend aus dem Rest der Welt von allen Arten der Rationierung hören, dass das global einfach ein wichtiges Thema wird. Das ist für mich ein starkes Indiz, dass unser Zeitalter des Überflusses, der extremen Verschuldung, übertriebener Preise und vieler anderer Exzesse zu Ende geht.

Das hat mich neugierig gemacht und ich habe mal auf Google das Suchwort „Rationierung“ eingegeben. Und siehe da: Man kann sich kaum vor Nachrichten über rationierte Güter und Dienstleistungen retten, weil diese zu stark nachgefragt werden oder nicht mehr finanzierbar sind, oder weil ihre Verwendung gedrosselt werden muss, um weitere Zerstörungen unserer Umwelt zu begrenzen oder zu reduzieren.

In der Daily Mail lesen wir, dass britische Supermärkte begonnen haben, Gemüse zu rationieren. Kunden dürfen derzeit nicht mehr als drei Salate pro Person kaufen, weil Fluten, Schnee und Stürme in Europa die Lieferketten empfindlich stören. Stürme und Schnee sind natürliche Unwetter, die ziemliches Unheil anrichten können, wie wir auch in Deutschland in jüngster Zeit immer wieder sehen.


Aber man male sich bei dieser Gelegenheit mal aus, was passiert, wenn Banken und Tankstellen schließen, weil ein Kreditinfarkt infolge eines der Schulden- oder Bankenprobleme in Europa eine finanzielle Panik verursacht. Wenn keine Geldtransporter mehr fahren und das Interbanken-Geschäft zum Erliegen kommt, ist das weitaus schlimmer als wenn die Trucks mit den Tomaten und Auberginen ausbleiben. Da kann man ja immer noch zum lokalen Bauern gehen. Wenn man aber kein Geld oder Tauschgut mehr hat, gibt einem auch DER nichts mehr.

Der Guardian berichtet unterdessen, dass in Großbritannien auch Hüft- und Knie-OPs limitiert und vorerst nur noch jenen angeboten werden, die vor Schmerzen nicht mehr schlafen oder keine täglichen Erledigungen mehr machen können. Der Grund? Das Gesundheitssystem hat nicht mehr genügend Geld. Die Ausgaben sind den Einnahmen davongelaufen. Kennen wir das irgendwoher? Bislang fangen die Kassen die Misere bei uns mit stetig steigenden Beiträgen auf, die Krankenhäuser mit immer weiteren Sparprogrammen. Aber beide Instrumente gelangen an ihre Grenzen, weil sonst unzumutbare Belastungen (und gefährliche Nebenwirkungen) für Mitglieder der Kassen oder den Betrieb der Krankenhäuser entstehen.

Wie ernst es um das britische Gesundheitssystem NHS steht, sieht man an einem weiteren Rationierungsbericht. Im Westen der Grafschaft Kent werden bis zum kommenden Finanzjahr (in mehr als 100 Tagen) nur noch die dringendsten Operationen vorgenommen. „Was, Sie haben nur einen juckenden Blinddarm? Bleiben Sie doch einfach zu Hause und legen sich hin, wir können Sie jetzt beim besten Willen nicht behandeln.“

Wir sind nicht mehr weit davon entfernt, dass sich Patienten solche Fragen gefallen lassen müssen, weil das System am Ende ist, oder sich ihm unausweichlich nähert. Selbst die Rationierung von Medikamenten ist kein Tabu mehr, wie wir dieser Tage lesen können.

Dass nicht nur die Briten ihre Gesundheitsleistungen zu rationieren beginnen, lesen wir bei Forbes, wo über die Entwicklung in den USA berichtet wird. Dort heißt es in einem aktuellen Bericht:
„Rationing of healthcare services according to an individual’s ability to pay—or, as the case may be, the inability to do so—is becoming more prevalent in the United States, both in the public and private insurance spheres. Commercial payers, for example, are increasingly requiring doctors to follow a complex and time-consuming authorization process. Recent surveys show that 75% of doctors complain about this often unnecessary step.“
Sinngemäße und verkürzte Übersetzung: Die Ärzte werden verstärkt unter Druck gesetzt, in einem aufwändigen Verfahren festzulegen, ob eine Behandlung angesichts der Einkommens- oder Vermögenssituation von Kranken überhaupt Sinn macht. Drei von vier Ärzten beklagen sich darüber.

Man male sich aus, was bei uns los ist, wenn erst damit begonnen wird zu fragen, ob ein Patient nicht bereits zu alt ist, um vollumfänglich versorgt zu werden. In anderer Form wird diese Frage bereits in den USA ins Spiel gebracht, und zwar von keinem Geringeren als dem Bruder von Rahm Emanuel, dem ehemaligen Stabschef von Barack Obama, der inzwischen Bürgermeister von Chicago ist. Ezekiel Emanuel ist ein Onkologe an der University of Pennsylvania - und er plädiert dafür, dass mit 75 Schluss sein sollte. Was machen wir, wenn dieser Gedanke um sich greift?: „Oh, sorry, ich weigere mich, Sie zu behandeln, weil Sie bereits über Ihr Verfallsdatum hinaus sind.

Eine andere Übertreibung, die wir in weiten Teilen der Welt, vor allem auch in Asien, beobachten können, ist Wassermangel und die entsprechende Rationierung.

Im Bezirk Siaya in Kenia steigen drastisch die Nahrungsmittelpreise, Wasser wird rationiert, die Gebühren für Elektrizität schnellen in die Höhe. Zeitungen zeigen Bilder von gebrochenen Leitungen und Rohren, weil lange nicht mehr in die Infrastruktur investiert worden ist. In den Slums verkaufen skrupellose Schwarzhändler Wasser, das sie aus den geborstenen Leitungen abgezapft haben.

Das ruft Erinnerungen an Berichte über die Verhältnisse in Deutschland wach, wo ein enormer Rückstau bei den Investitionen in öffentliche Infrastruktur beklagt wird, ein Umstand, der sich noch sehr rächen wird. Aber erst lange nachdem Herr Schäuble seine Serie von Schwarzen Nullen beendet hat und reichlich versorgt in Pension gegangen ist.

Und noch ein Beispiel für die kommende weltweite Rationierungswelle, die alle unsere Vorstellungen von der Rundumversorgung und unser Anspruchsdenken hinwegfegen wird.

Die Begrenzung des Autoverkehrs in asiatischen Großstädten, weil die Umweltverpestung einfach durch die Urbanisierung unerträglich geworden ist. Meiner Frau wurde vom Amtsarzt in Peking eine Staublunge attestiert, als wir 2004 nach sechs Jahren China verließen, um nach Kanada zu ziehen. In Singapur hat die Versteigerung von Autokennzeichen für den Stadtverkehr zu astronomischen Preisen geführt, in Peking, Delhi und vielen anderen Städten asiatischer Flächenstaaten werden wechselweise gerade und ungerade Nummern von Autokennzeichen gesperrt.

Und so wird das immer weitergehen und auch verstärkt zu uns nach Deutschland kriechen. Wenn wir auf die vielen Feinstaubalarme in Stuttgart und anderen Städten sowie auf die finanzielle Auszehrung unseres Gesundheitssystems schauen, sehen wir die Anfänge deutlich. Und wir werden uns in wenigen Jahren wünschen, es wäre bloß dabei geblieben.

Nachtrag: Diesen Bericht hier habe ich auch gerade noch zum Thema gesehen.