Cavusoglu
© ReutersDer Westen kann nicht ohne ein Feindbild existieren und musste deshalb nach dem Zerfall der Sowjetunion den Islam dämonisieren: So erklärt SETA-Europadirektor Enes Bayrakli die wachsenden Spannungen zwischen Europa und der islamischen Welt und nationalistische Tendenzen in der EU.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hat Europa vor Religionskriegen gewarnt. Er behauptet, niederländische Politiker würden die EU "vor eine Klippe" drängen. RT Deutsch sprach mit Enes Bayrakli von der regierungsnahen türkischen Denkfabrik SETA.


Cavusoglu sprach bei einer Wahlkampfveranstaltung in Antalya, als er das Resultat der Wahlen in den Niederlanden kritisierte. Wie das Wahlergebnis zeigt, scheiterte die anti-islamische Agenda des populistischen Politikers Geert Wilders, der für die Schließung von Moscheen und das Verbot des Korans warb. Seine Partei für die Freiheit (PVV) konnte zwar fünf Sitze in der Zweiten Kammer dazugewinnen, verfehlte aber deutlich das Ziel, stimmenstärkste Partei zu werden.

Für den Minister war der Sieg von Premierminister Mark Rutte indessen kein Grund zur Freude. Stattdessen warnte Cavusoglu, dass die Überzeugungen Wilders' auch von anderen politischen Bewegungen in den Niederlanden geteilt werden.
Es gibt keinen Unterschied zwischen der Denkweise von Geert Wilders und den Sozialdemokraten in den Niederlanden. Sie alle haben die gleiche Denkweise. Diese Denkweise bringt Europa an den Rand einer Klippe. Schon bald könnten Religionskriege in Europa ausbrechen", zitierte Reuters Cavusoglu.
RT Deutsch sprach mit dem Professor Enes Bayrakli an der Türkisch-Deutschen Universität in Berlin. Bayrakli, der Direktor für Europäische Studien beim regierungsnahen Think Tank SETA ist, bekräftigt, dass rechte Strömungen in Europa immer mehr an Einfluss gewinnen. Der Professor zählt in diesem Zusammenhang nationalistische Tendenzen in Österreich, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland auf. Bayrakli erläuterte:
Das ist eine Entwicklung, die in der muslimischen Türkei durchaus Besorgnis hervorruft.

Kommentar: Eine berechtigte Besorgnis.


Auf die Frage, wie sich der politische Rechtsruck in Europa erklären lässt, sagte der Professor:
Nach Beendigung des Kalten Krieges und dem Kollaps der Sowjetunion fehlte dem Westen ein Feind, das passende Gegensystem, das es zu bekämpfen gilt. Die muslimische Welt ist von einigen einflussreichen Medien zu einem alternativen Feind erkoren worden, die den Islam über eine jahrelange Berichterstattung zum Feindbild stilisierten.
Der Wissenschaftler sieht eine solche Politik als kontraproduktiv an und führt beispielhaft die Politik des ehemaligen Premierministers Großbritanniens, David Cameron, an. Seiner Meinung nach scheiterte Cameron als Politiker vor allem an der fatalen Bedienung von anti-islamischen Ressentiments im Vorfeld des Referendums zum Verbleib der Insel in der Europäischen Union.
Rechtsradikale Ideen fanatisieren die Gesellschaft. Der Fall von Anders Breivik in Norwegen oder der Angriff auf eine Parlamentsabgeordnete in England sind Beispiele für die zerstörerische Gefahr solcher Ideologien", sagte Bayrakli.
Seit Tagen liefern sich die türkische und die niederländische Regierung einen unerbittlichen diplomatischen Streit. Am Montag setzte die Türkei ihre Beziehungen mit den Niederlanden auf höchster Ebene aus. Dies stellt eine Reaktion auf das von den Niederlanden verhängte Auftrittsverbot gegen türkische Minister bei einer Wahlveranstaltung in Rotterdam dar.

Im Anschluss an das Verbot unterstellte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Niederlanden "nazistisches" Verhalten.

Außerdem beschuldigte Erdogan die Niederlande, Staatsterrorismus zu betreiben. Seiner Meinung nach hat die Regierung in Amsterdam einen "verdorbenen" Charakter, da sie für das Massaker von Srebrenica im sechs Jahre andauernden Bosnien-Krieg während der 1990er Jahre verantwortlich sei.
Wir wissen aus dem Massaker von 8.000 Bosniern, wie verdorben ihr Charakter ist. Niemand sollte versuchen, uns über Sittlichkeit zu belehren, besonders nicht diejenigen, die Blut an ihren Händen haben", sagte der türkische Präsident.

Kommentar: Das trifft nicht nur auf die Niederlande zu. Man denke an die Kriegstreiberei Washingtons und seiner Verbündeten generell...


Niederländischen Friedenstruppen wird angelastet, 1995 bosnisch-serbischen Streitkräften die Möglichkeit gegeben zu haben, bis zu 8.000 bosnische Muslime zu töten.

Vor der Verhängung diplomatischer Sanktionen gegen die Niederlande hatte Premierminister Rutte Ankara gewarnt, sein Land werde "niemals unter Drohungen mit der türkischen Regierung verhandeln".

Der niederländische Premierminister erklärte, dass er bereit ist, den Konflikt zu deeskalieren. "Für einen Tango bedarf es allerdings Zweier", fügte Rutte hinzu.

Professor Bayrakli glaubt nicht mehr an eine europäische Annäherung der Türkei. RT Deutsch teilt er mit:
Die EU-Beitrittsgespräche sind gestorben. Die EU geht ihren eigenen Weg, einen nationalistischen. Der Grund ist: Die Türkei wird stärker und verfolgt immer mehr eigene Interessen. Gegenwärtig sehen wir eine wachsende Partnerschaft Ankaras mit Russland.
Der türkische Präsident und die Regierungspartei AKP werben in Europa um rund 5,5 Millionen Wählerstimmen im Rahmen des anstehenden Verfassungsreferendums in der Türkei. Kritiker glauben, dass Präsident Erdogan das Referendum missbrauchen will, um seine politischen Befugnisse auszuweiten. Die AKP selbst verteidigt das Referendum als notwendigen Schritt zu mehr Stabilität in der Republik.