Merkel und Erdogan,Putsch Türkei
© Reuters / Bernd von JutrczenkaAngela Merkel begrüsst Recep Tayyip Erdogan beim G20-Gipfel in Hamburg, Deutschland, 7. Juli 2017.
Ein ehemaliger Oberkommandierender der türkischen Luftstreitkräfte steht im Putsch-Prozess vor Gericht. Er beschuldigt Deutschland und ausländische Mächte, den Putsch gelenkt zu haben. Er gilt als Leitfigur beim Putschversuch, sein Wort hat dadurch Gewicht.

Nahezu 500 Personen stehen derzeit in der Türkei als Angeklagte im Putschprozess vor Gericht. Ihnen wird vorgeworfen, wichtige Funktionen im Zusammenhang mit dem Umsturzversuch gegen die türkische Regierung eingenommen zu haben. Der Versuch von Teilen der Streitkräfte, die Regierung Erdogan zu entmachten, ereignete sich in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 2016. Er scheiterte am Versagen des Plans, Präsident Erdogan in seinem Urlaubshotel auszuschalten, und an massiven Widerständen vonseiten regierungsloyaler Einsatzkräfte und Volksmassen.

Akin Öztürk, ehemaliger Luftwaffenchef und seit dem Jahr 2015 Mitglied im Obersten Militärrat, ist einer der Hauptangeklagten. Er befand sich während des misslungenen Militärputschs im Hauptquartier der Putschisten auf dem Luftwaffenstützpunkt Akinci. Seit Juli 2016 befindet Öztürk sich in Untersuchungshaft. Der Prozess gegen ihn begann am 22. Mai. Ihm wird vorgeworfen, 250 Menschen ermordet zu haben, Mitglied in einer Terrororganisation zu sein und die Verfassung verletzt zu haben.

Akin Öztürk hatte vor einem Jahr Gülen als Urheber bezeichnet

Öztürk gilt, ungeachtet gegenteiliger eigener Aussagen, als Anführer des Putschversuchs. Seine Anschuldigungen, wonach ausländische Mächte die Putschisten angestachelt hätten, darunter auch Deutschland, hat Gewicht. Zu seiner diesbezüglichen Aussage kam es während der jüngsten gerichtlichen Vernehmung. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu hat diese veröffentlicht.

Schon vor einem Jahr hatte Öztürk bestritten, eine zentrale Figur im Umsturzversuch gegen die Regierung Erdogan gewesen zu sein. Im Gegenteil: Er schob die Schuld, ganz im Sinne Erdogans, auf die Bewegung Gülens, im amtlichen türkischen Sprachgebrauch "Fethullahistische Terrororganisation" (FETÖ) genannt. Der Prediger Fethullah Gülen befindet sich nach wie vor im US-amerikanischen Exil. Erdogan macht ihn für den Putsch verantwortlich. Aber nun fügte Öztürk hinzu, dass es auch andere Drahtzieher gab, hierunter: Deutschland. Eine Anschuldigung, die - der Zeit angemessen - ein strategischer Zug von ihm ist?

Berlin und Ankara befinden sich in einer diplomatischen Krise, seit Erdogan und türkischen Repräsentanten in Deutschland und auch anderen europäischen Ländern Wahlkampfauftritte im Vorfeld des Verfassungsreferendums vom April 2017 verboten worden waren. Deutsch-türkische Stimmen galten als in hohem Maße relevant für das umstrittene Präsidialreferendum.

Nicht verteidigungswilliges Europa "in drei Tagen erobert"

Die deutsche Regierung hatte zudem angekündigt, dass Deutsch-Türken von türkischen diplomatischen Vertretungen in Deutschland aus nicht über eine mögliche Wiedereinführung der Todesstrafe abstimmen dürfen. Im April bezeichnete Erdogan Europa wegen dessen kritischer Haltung zu den Entwicklungen in der Türkei als "Zentrum des Nationalsozialismus" und drohte:
Wenn ihr euch weiterhin so benehmt, wird morgen kein einziger Europäer auch nur irgendwo auf der Welt sicher einen Schritt auf die Straße setzen können.
Wer einer kürzlich erfolgten Veröffentlichung in der türkischen Zeitung "Yeni Söz" Glauben schenkte, fühlte sich als Europäer möglicherweise tatsächlich nicht mehr sicher. Hier stellte die regierungsnahe Zeitung die Theorie auf, dass die Türkei innerhalb von drei Tagen Europa erobern könnte.
Wenn wir an einem Morgen beginnen, können wir unser Abendgebet im Schloss Bellevue abhalten.
Die These der Zeitung stützt sich auf eine zwei Jahre alte Umfrage in Deutschland, wonach nur 18 Prozent der Deutschen für ihr Land kämpfen würden. Bei den Briten fände der Kampfeinsatz mit Leib und Leben 27 Prozent Rückhalt, in Frankreich immerhin 29 Prozent. Am 2. August schreckten die Kölner aus ihrer Nachtruhe hoch, als sich türkische Kampfjets über ihrer Stadt bewegten.


Nach dem verfehlten Putsch war in Deutschland aus einigen Pressekommentaren und Aussagen von Politikern Bedauern über dessen Scheitern herauszulesen. Bereits zuvor hatte sich die deutsche Regierung erst offiziell geäußert, als deutlich wurde, dass die Putschisten ihr Ziel nicht erreichen würden. Der Regierungssprecher Steffen Seibert äußerte sich erst in einem Tweet am Samstag nach dem Scheitern des Putsches und rief dazu auf, die Demokratie zu wahren und Menschenleben zu schützen. Ein kurzes Statement Angela Merkels vor der Presse folgte.

Überholen, ohne einzuholen

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat unterdessen angekündigt, aus der Türkei einen nach seinen Worten fortschrittlicheren Staat als Deutschland machen zu wollen.
Wenn meine Bürger und Brüder, die im Moment im Ausland sind, ins Land zurückkehren, werden sie sagen: Was ist schon Deutschland?", sagte Erdogan am Montag bei einer Veranstaltung seiner AKP in der Schwarzmeerstadt Rize. "Sie werden sagen: Mein Land hat es überholt."
Der Präsident versprach einen modernen, zivilisierten und unabhängigen Staat, für dessen Erfolg alle zusammenarbeiten müssten. Er nannte in diesem Zusammenhang insbesondere die Bereiche Bildung, Gesundheit, Justiz, Sicherheit, Transport und Energie als Schwerpunkte.

Erdogan warf Deutschland erneut vor, türkischen Terroristen Schutz zu bieten, statt diese an die Türkei auszuliefern. "Nur den Terroristen bietet dieses Deutschland Unterschlupf", sagte der Staatschef. Gleichzeitig fordere die Bundesregierung die Freilassung deutscher "Terroristen", die in der Türkei inhaftiert seien. Erdogan spielte damit vermutlich auf Deutsche wie den Amnesty-International-Aktivisten Peter Steudtner, die Übersetzerin und Journalistin Mesale Tolu Corlu oder den "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel an, die in der Türkei unter Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft sitzen.

(rt deutsch/dpa)