Die Popgeschichte ist auch eine Geschichte der Provokation: Schließlich war Pop lange gleichbedeutend mit jugendlicher Rebellion und deshalb eignete sich alles, was die Elterngeneration in Rage versetzte, hervorragend als Marketinginstrument für Bands und Labels. So bekundeten die Rolling Stones ihre Sympathie für den Teufel (was 1968 einen Skandal auslöste, heute aber niemand mehr hinter dem Ofen hervorlocken würde), Ozzy Osbourne biss auf der Bühne Fledermäusen den Kopf ab, Marylin Manson benannte sich nach dem Serienmörder Charles Manson und coverte dessen Songs.
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Ähnliches haben offensichtlich auch die Mitglieder des Duos CULTS aus New York vor, die im vergangenen Jahr durch den Internet-Hype um ihre selbstveröffentlichte Single Go Outside einen Plattenvertrag ergatterten. Cults machen eine Mischung aus Chillwave und Retro-Sixties-Pop, und damit Musik, die für sich genommen nur wenig Schockpotential besitzt. Das vor kurzem veröffentlichte Video zu Go Outside hat dagegen zumindest schon eine kleine Online-Kontroverse ausgelöst.

Für das Video ist der Regisseur Isaiah Seret verantwortlich, der als sich als Spezialist für detailgetreue Retro-Inszenierungen einen Namen gemacht hat. Er macht sich den Umstand zu nutzte, dass Cults unterschwellig mit morbiden Phantasien flirten. Der Bandname selbst deutet eine Fazination für religiöse Kulte an und auf Go Outside befindet sich ein Sample aus einer Rede des Sektenführers Jim Jones, der 1978 im Dschungel von Guyana 900 Mitglieder seines Peoples Temple zum Massenselbstmord durch Zyankali zwang. Seret greift die Thematik auf und setzt die Bandmitglieder Brian Oblivion und Madeline Follin als Mitglieder der Sekte in Szene, indem er authentisches Archivmaterial und neugedrehte Szenen zusammenfügt. Der Clip zeigt Aufnahmen von Messen der Sekte, lachende Kinder in der Siedlung Jonestown, Mitglieder des Peoples Temple bei der Feldarbeit und zwischendurch in sonnendurchfluteten, körnigen Bildern die glückliche Sängerin der Cults.

Vom Massenmord ist jedoch nichts zu sehen, der Clip endet vor der Katastrophe und blendet diese einfach aus. Genau das ist das Problem, denn ohne den Verweis auf das, was anschließend passierte und bei fehlendem Vorwissen der Zuschauer wirkt er einfach nur wie ein hübsches, illustratives Retro-Video. Dass die Aufnahmen vom glücklichen Landleben der Mitglieder als Werbemittel der Sekte verwendet wurden, bleibt ebenso unklar wie der Gesamtzusammenhang. Zwar betont Seret in einer Stellungnahme zum Video, dass er sich »auf das Leben der Mitglieder des People's Temple fokussiert anstatt die Bilder der finalen Tragödie auszuschlachten«. Dennoch bleibt das Video bei aller handwerklicher Perfektion geschmacklose Exploitation und ein ziemlich hilfloser Versuch, einer netten Hipster-Band ein provokatives Image zu verpassen.