Wahnvorstellungen und Halluzinationen: Bis zu ein Prozent der Deutschen erkranken an einer schizophrenen Psychose. In Ostdeutschland leiden die Betroffenen stärker.
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© PAVergleich eines normalen (l.) mit einem schizophrenen Gehirn (r.): Das Frontalhirn sorgt bei gesunden Menschen für planvolle Entscheidungen. Bei Menschen mit Schizophrenie ist es gestört

Schizophrenie-Erkrankte im Osten Deutschlands leiden stärker unter der Krankheit als Betroffene im Westen. Das ist das Ergebnis einer bisher unveröffentlichten Studie der Universität Greifswald.

Ostdeutsche Erkrankte seien ängstlicher in ihren sozialen Kontakten und auch zwanghafter als westdeutsche Erkrankte, sagte der Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Professor Harald Freyberger.

Zudem litten sie auch stärker unter körperlichen Begleitbeschwerden als Westdeutsche. In die Untersuchung wurden die Krankheitsverläufe und -symptome von 360 Patienten verglichen. 257 von ihnen stammen aus westdeutschen Regionen (Günzburg, Ravensburg und Regensburg), 93 werden in der Psychiatrischen Klinik der Universität Greifswald in Stralsund behandelt.

Die Ursachen für die schwereren Krankheitsverläufe sehen die Forscher zum einen in den gesellschaftlichen Nachwirkungen der politischen Wende mit einer erhöhten Arbeitslosigkeit, stärkeren sozialen Unsicherheiten und kritischen Lebenssituationen.

Viel stärker seien aber die mangelhaften Versorgungsstrukturen im Osten Deutschlands für die schwereren Krankheitsverläufe verantwortlich, sagte Freyberger am Rande eines Kongresses in Stralsund. So gebe es in allen ostdeutschen Flächenländern eine Unterversorgung von niedergelassenen Nervenärzten und psychotherapeutischen Behandlungsangeboten.

In Mecklenburg-Vorpommern beträgt die Versorgungsdichte 1:23 000, in Großstädten wie Berlin oder Hamburg liege sie bei 1: 10 000. Westdeutsche Flächenländer wie Baden-Württemberg haben eine Versorgungsdichte von 1:16.000.

Bundesweit leiden schätzungsweise bis zu ein Prozent der Menschen einmal in ihrem Leben an einer Schizophrenie, sagte Freyberger. Neuere Untersuchungen gehen nach Angaben des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie davon aus, dass das Lebenszeitrisiko nur bei 0,7 Prozent liegt.

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Für den Betroffenen sei die Krankheit jedoch mit erheblichen Folgen verbunden. Der Großteil der Betroffenen erkranke im Alter zwischen 18 und 25 Jahren, einer Phase der Berufsfindung. "Das Risiko keinen Platz in der Berufswelt zu finden, ist des halb sehr hoch", sagte Freyberger.

Der Mediziner forderte eine Verbesserung der Versorgungsstrukturen - vor allem in den neuen Bundesländern. Ostdeutsche Patienten würden im Vergleich zu Betroffenen aus den Altbundesländern kürzer stationär behandelt, dafür aber häufiger.

Inzwischen gebe es hervorragende psychotherapeutische und pharmakologische Behandlungssysteme, sagte Freyberger. Diese würden aber nur dann wirksam, wenn der Patient sie in Anspruch nehmen könne.

"Unser Hauptproblem besteht darin, dass wir schizophrene Menschen in ambulanter Behandlung noch zu schlecht erreichen." Notwendig seien Hilfen, die sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientierten, ein engmaschigeres System der Beziehungs- und Kontaktaufnahme mit den Betroffenen.

Er verwies auf neue integrierte Versorgungsmodelle, bei denen Schwestern und Pfleger bei Hausbesuchen Beratungen durchführen, die Medikamenteneinnahme besprechen oder auch über Internet-Chats beraten.

Seit Mittwoch beraten über 400 Ärzte sowie Betroffene und deren Angehörige auf einem Kongress in Stralsund über Behandlungskonzepte, Versorgungsstrukturen und gesellschaftliche Stigmatisierung von Schizophrenie-Erkrankten. Die Ausgrenzung der Betroffenen hat nach Ansicht der Forscher trotz vielfältiger Kampagnen zugenommen.

Aufklärung allein scheine die tief sitzenden Vorbehalte gegenüber psychisch Kranken nicht zu beeinflussen, sagte Georg Schomerus von der Uni Greifswald. Notwendig seien eine kreative und zielgerichtete Anti-Stigma-Arbeit , die weit über Aufklärungskampagnen hinausgehe.

dpa/oc