Japans Regierung spricht zwar vom Atomausstieg, doch der Ausstiegsbeschluss ist unverbindlich und vage. Jeder bekommt, was er hören will: Den Bürgern verspricht die Regierung das Ende der Kernenergie, der Industrie den Weiterbetrieb.
Atomkraftwerk, Japan
© DPAJapanisches Atomkraftwerk Genkai im Westen des Landes
Den japanischen Zeitungen ist es am Freitag nur eine kleine Notiz wert gewesen, dass der deutsche Umweltminister Peter Altmaier mit seinem japanischen Kollegen darüber sprechen möchte, wie die beiden Länder gemeinsam aus der Atomenergie aussteigen. Japans Regierung spricht zwar auch vom Atomausstieg, doch sie plant ihn auf japanische Art. Der Ausstiegsbeschluss ist unverbindlich und vage. Jeder bekommt, was er hören will: Altmaier und der Mehrheit der Japaner, die Atomkraft ablehnen, sagt die Regierung, Japan wolle von 2030 an ohne Atomkraft auskommen. Den Energieunternehmen sichert sie gleichzeitig zu, ganz so ernst sei das alles nicht gemeint: Drei Atomkraftwerke, die in Bau sind, werden fertiggestellt, an einer Wiederaufarbeitungsanlage wird festgehalten, und die nach der Atomkatastrophe in Fukushima abgeschalteten Reaktoren werden so schnell wie möglich wieder hochgefahren. Das hat die Regierung fest beschlossen.

Wie kann das sein? Das haben sich am Freitag viele Japaner gefragt, als sie morgens ihre Zeitungen lasen. Tatsächlich gibt es eine „Innovative Strategie für Energie und Umwelt“, in der es heißt, die Regierung werde alle möglichen Ressourcen mobilisieren, um bis in die dreißiger Jahre den Atomausstieg zu schaffen. Die „Null“ wird ausdrücklich erwähnt. Nur: Japans Kabinett hat das Dokument, anders als erwartet, nicht beschlossen. „Das grundlegende Ziel wird dadurch nicht geändert“, versicherte der Staatsminister für Nationale Politik, Motohisa Furukawa, am Freitag in Tokio. „Wir haben beschlossen, dass wir bis in die dreißiger Jahre eine Gesellschaft schaffen, die nicht von Atomkraft abhängig ist.“ Doch wenn drei Atomkraftwerke erst in den kommenden Jahren fertiggestellt werden und 40 Jahre Laufzeit haben sollen, dann rückt der angebliche Atomausstieg schon weit in die fünfziger Jahre. Er denke nicht daran, von Projekten abzurücken, die bereits beschlossen seien, sagte Industrieminister Yukio Edano.

Präfektur Aomori widersetzt sich dem Ausstieg vehement

Zwei der Reaktoren liegen in der nördlichen, strukturschwachen Präfektur Aomori. Die widersetzt sich einem Ausstieg vehement. „Wir müssen zu den Versprechen stehen, die wir gemacht haben“, gab auch Furukawa zu. In Tokio mögen jeden Freitag Zehntausende gegen die Atomkraft demonstrieren, in Aomori fürchten sie ohne Atomkraft um ihre Arbeitsplätze. Der Ausstiegsbeschluss, der keiner ist, will schier Unmögliches schaffen - harmonisch beide Seiten zufriedenstellen.

Formal hätte jedes Kabinettsmitglied das 20 Seiten dicke Papier abzeichnen müssen. Nur dann wäre es bindend für die gesamte Regierung. Das ist aber nicht passiert. Er denke, der Atomausstieg sei damit zumindest für den Moment abgewendet, freute sich der Chef des japanischen Unternehmensverbandes. Die Entscheidung des Kabinetts, sich weiter alle Optionen offenzuhalten, gibt den Atomkraftbefürwortern wieder Luft. Die Regierung von Ministerpräsident Yoshihiko Noda dürfte dabei ohnehin in naher Zukunft Geschichte sein. Schon bald gibt es Neuwahlen, und eine neue Regierung ist an die vagen Beschlüsse dieser Woche nicht mehr gebunden. Die oppositionellen Liberaldemokraten, die wahrscheinlich den nächsten Regierungschef stellen, setzen weiter auf die Atomkraft. Viele Gesprächspartner wird Altmaier in Japan nicht finden.