Baby,Eltern
© Agentur Gettyimages

Ob die Eltern als Paar zufrieden sind oder nicht, hat einen starken Einfluss aufs Familienleben. Doch gerade die Partnerschaft kommt im Alltagsstress oft zu kurz. Dann ist es entscheidend, dass sich beide Partner Freiräume schaffen können.

Kinder sind wie Seismografen. Sie registrieren jede Erschütterung - und geben sie dann als eigenes kleines Erdbeben zurück. «Wenn ich selber aufbrausend bin, darf ich meiner Tochter nicht wirklich böse sein, wenn sie ebenfalls mit voller Wucht die Türen ‹schletzt›», sagt Iris Attinger Heuberger, die Mutter der sechsjährigen Lisa.

Schon Säuglinge reagieren sehr empfindlich auf Spannungen zwischen ihren Eltern. Ihr Puls beschleunigt sich, ihr Atem geht schneller, und sie beginnen zu schreien, was die Eltern noch nervöser macht - eine Negativspirale. Die Zürcher Mütterberaterin Anna Urben hat schon viele verzweifelte Mütter und Väter in ihrer Sprechstunde gehabt, die erfolglos alles versucht haben, um ihr Kind zu beruhigen. Da brauche es ganz einfach eine Besinnungspause: «Wann hat die Unruhe genau angefangen, und was war damals sonst noch alles los in der Familie?»

Tatsächlich ist der Alltag in vielen Familien so anstrengend, dass das Ruhigbleiben zur höheren Kunst wird. Wenn man jede Minute des Tages voll gefordert ist mit Erziehung, Haushalt und Beruf, wenn einen dann noch der Chef im Büro anfährt oder einem der Nachbarsjunge einen Streich spielt, beginnt der Stress an einem zu nagen. Und das Schlimmste: Er frisst auch an der Partnerschaft.

Unter Stress ist man schneller gereizt, reagiert oft unwirsch, nörgelt mehr und geht schneller in die Luft. Langjährige Untersuchungen an der Universität Freiburg zeigten, dass sich die Kommunikationsqualität von Paaren unter Stress um rund die Hälfte verschlechtert.


Kommentar: Éiriú Eolas ist eine Methode, um mit Stress, sobald dieser in einer Alltagssituation auftritt, besser umgehen zu können. Dieses Atemprogramm können Sie kostenfrei ausprobieren.

Laut der modernen Stressforschung sind es nicht grosse Ausnahmeereignisse, die eine Partnerschaft aushöhlen, sondern die kleinen, schleichenden Widrigkeiten des Alltags: ständiger Zeitdruck, ständiger Lärm, ständige Diskussionen mit den Kindern, ständige Reibereien wegen unterschiedlicher Erziehungsvorstellungen.

«Wenn sie einzeln und nur für kurze Zeit auftreten würden, wären all die Stressfaktoren meistens gut zu bewältigen», erklärt der Psychologe Yves Hänggi von der Universität Freiburg. Deshalb könne man ihnen in der Regel auch mit kleinen Interventionen gut begegnen.

Der Psychologe hat zu diesem Zweck ein Internet-Trainingsprogramm für Eltern entwickelt, die ihre Kompetenzen im Umgang mit Stress erweitern wollen.

Besonders belastend können Konflikte zur Frage sein, wer welche Aufgaben in der Familie übernimmt. «Seit der Geburt von Lisa leben mein Mann und ich in zwei vollkommen getrennten Erfahrungswelten», erzählt Iris Attinger Heuberger. Die Primarlehrerin hatte sich so auf ihr Kind gefreut, dass sie damals ihren Beruf gerne aufgab. Aber später wünschte sie sich von ihrem Mann Georg mehr Verständnis dafür, wie anstrengend und einsam es sein kann, den ganzen Tag mit dem Kind allein zu Hause zu sein.

Beide Seiten sehen sich im Nachteil

Georg Heuberger seinerseits arbeitet als Versicherungsbroker in einem Job mit viel Druck. «Für mich bedeutet es Stress, am Abend aufzuhören und zu wissen, dass so viel noch nicht gemacht ist.»

Es gab deshalb Zeiten, in denen beide Partner Neid aufeinander verspürten: «Georg hatte das Gefühl, ich hätte es den ganzen Tag schön, und ich beneidete ihn andererseits, wenn er am Morgen raus konnte und die Tür hinter sich schloss», erklärt die 41-jährige Mutter.

Um wieder etwas mehr Zeit für sich und für einander zu haben, organisieren die beiden seit kurzem für einen Abend pro Woche eine Babysitterin. Iris geniesst in diesen Stunden zuerst eine Lektion Bauchtanz, Georg kann ohne schlechtes Gewissen länger arbeiten. Danach trifft sich das Paar zu einem ruhigen, gemütlichen Nachtessen.

Ohne Vertrauen gibts keine Freiräume

Auch für Sibylle Mathis, die ihre elfjährige Tochter allein aufzog und mit ihrem neuen Partner wieder ein sieben Monate altes Baby hat, sind eigene Freiräume eine zentrale Voraussetzung für Stressprävention. Die als Kommunikationsverantwortliche arbeitende Mutter kann ihre grössere Tochter zwei Abende pro Woche zu Freunden geben. Aber mit dem Baby ist das schwieriger. «Wir brauchen schon eine gute Planung, damit die Freizeit für uns beide stimmt», sagt ihr Partner Hans-Jakob Ragaz. Er sieht das wie bei einem gut austarierten Mobile: «Wir versuchen wenn immer möglich darüber zu reden, bevor das Ganze aus dem Gleichgewicht gerät und ungute Gefühle entstehen.»

Freiräume könne allerdings nur nutzen, wer auch Vertrauen in den andern habe, betont die Mütterberaterin Anna Urben - «das Vertrauen nämlich, dass das Kind damit umgehen kann, wenn der Partner vieles in der Erziehung anders macht».

Zeit für die Kinder, Zeit für den Partner, Zeit für sich selbst - es ist nicht leicht, dies alles unter einen Hut zu bringen. «Ich sehe rundum so viele Paare, die sich trennen», stellt Iris Attinger Heuberger fest. «Ich will das nicht, mir ist meine Familie viel wert. Aber geschenkt wird einem nichts.»

Buchtipp:

Guy Bodenmann: Stress und Partnerschaft; Verlag Hans Huber, Bern 2004, 225 Seiten, Fr. 34.90