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© paTräumen, was man will: Das kann funktionieren, wenn man sich seinen Traum schon vor dem Einschlafen genau ausmalt
Klarträumer beherrschen eine ganz besondere Kunst: Sie kontrollieren ihre Träume und bestimmen die Handlung. Diese erstaunliche Fähigkeit lässt sich sogar erlernen.

Das Paradies liegt in den Hütten der Senoi. Die Ureinwohner aus dem Dschungel von Malaysia sind tolerant, sexuell locker und neigen kaum zu Aggressionen. Für Schlafforscher sind sie in den letzten Jahrzehnten jedoch auch aus anderer Hinsicht interessant geworden.

Denn die Senoi pflegen die Kunst des luziden Träumens. Sie bringen schon ihren Kindern bei, wie man sich nicht von seinen nächtlichen Erlebnissen mitreißen lässt, sondern sie dirigiert und nach seinen eigenen Wünschen gestaltet.

Eine ähnliche Traumkontrolle findet man als „Praxis des Chöd“ auch im Buddhismus, sie soll helfen, das Nicht-Anhaften am Weltlichen zu lernen. Auf uns Abendländler wirkt das ziemlich esoterisch. Denn wir haben uns damit arrangiert, dass Träume so verlaufen, wie sie wollen, und sich nicht von unserem Bewusstsein beeinflussen lassen - und wenn wir einen Albtraum haben, sind wir froh, wenn wir schweißgebadet aus ihm aufgewacht sind.

Deshalb ist Schlaf so wichtig

Dass wir ihn schon vorher entschärfen und angenehmer für uns gestalten könnten, will uns gar nicht in den Sinn. Dabei haben Wissenschaftler herausgefunden, dass auch wir Regisseure unserer Träume sein und enorm davon profitieren können.

Menschen, die in ihre eigenen Träume eindringen? Das klingt nach Science-Fiction - und erinnert an die Handlung des Action-Thrillers „Inception“, der zu den erfolgreichsten Filmen des Jahres 2010 gehört. Doch tatsächlich beschreibt dieser Film die neuesten Erkenntnisse der Neurowissenschaften: Mehr und mehr Psychologen, Sportärzte und Mediziner kommen dahinter, ihren Patienten das „Klarträumen“ beizubringen - in die Träume einzugreifen, um sportliche Höchstleistungen zu erreichen, Beziehungsprobleme, Sexualstörungen, Zwangsneurosen zu behandeln.

Wer in Träume eindringt, wird Zeuge der intimsten Prozesse des menschlichen Gehirns: Träume im Stammhirn, einer entwicklungsgeschichtlich uralten Region des Hirns, wo essenzielle Funktionen wie Atmung, Herzschlag, Schlaf und Hunger kontrolliert werden. Dort werden hin und wieder zufällige Erregungsmuster abgefeuert, die dann, wenn wir wach sind, vom Großhirn einem Realitätscheck unterzogen werden.

Während des Schlafens funktioniert das nur eingeschränkt. Das Gehirn muss also versuchen, ohne sinnliche Eindrücke Ordnung in das Chaos aus dem neuronalen Erdgeschoss zu bringen, wobei es sich ja aus dem Schatz seiner Erinnerungen bedienen kann. Das Ergebnis ist dann ein Traum: Halbwegs logisch und zusammenhängend, aber eben trotzdem „entsinnt“, denn im Traum können wir ja bekanntlich fliegen oder das Geschehen in Zeitlupe ablaufen lassen.

„Wir träumen alle ab und an vom Fliegen, Fallen oder auch davon, dass wir dringend auf die Toilette müssen“, erklärt Psychologin Ursula Voss von der Universität Bonn. „Das Traumgeschehen entzieht sich hierbei unserem Willen; wir sind den nächtlichen Fantasien hilflos ausgeliefert.“

Klarträumer sind jedoch nicht so hilflos: Sie verstehen noch während ihres Traumes, dass sie träumen - und dass sie sogar, zumindest bis zu einem gewissen Grad, das Traumgeschehen beeinflussen können. Wie viele Menschen das können, ist unklar, die Quoten aus entsprechenden Studien schwanken stark, zwischen 25 und 80 Prozent.

Die Mannheimer Psychologen Michael Schredl und Daniel Erlacher befragten mehr als 400 Studenten zu ihren Klartraumerfahrungen: 18 Prozent von ihnen erklärten, noch nie einen solchen Traum gehabt zu haben, aber acht Prozent erleben laut eigenen Angaben sogar mindestens einmal wöchentlich eine luzide Nacht.

Was Schlafpositionen über uns verraten

Als besonders klartraumempfänglich erwiesen sich Probanden, die sich zuvor in einem Fragebogen als besonders offen für neue Erfahrungen erwiesen haben. Allerdings sind das auch in der Regel jene Menschen, die ohnehin viel träumen und sich dann auch später öfter daran erinnern, was ja schon allein statistisch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie von Klarträumen berichten können.

Mittels Elektroenzephalografie können Forscher inzwischen erklären, was im Gehirn eines Klarträumers passiert. So fand Ulrike Voss im Stirnhirn eine vermehrte Aktivität im 40-Hertz-Bereich, dem sogenannten Gamma-Band. „Diese hochfrequenten Wellen begleiten üblicherweise die bewusste Konzentration auf einen Gegenstand“, sagt Voss.

Andere Hirnbereiche wie etwa im Scheitel- und Schläfenlappen zeigten hingegen jene Muster, die man auch vom normalen Traumschlaf her kennt. Das Stirnhirn funktioniert also beim Klarträumer als Aufpasser, der die Kontrolle über andere Hirnbereiche behält. Wie überhaupt die einzelnen Hirnareale bei ihm relativ koordiniert zusammenarbeiten.

Wissenschaftler sind sich mittlerweile einig, dass Träume einen wichtigen Faktor für die Psychohygiene haben, auch wenn sie in ihnen keinen „Königsweg zum Unbewussten“ mehr sehen, wie es seinerzeit Sigmund Freud postulierte. Fürs Lernen hingegen tragen sie nur wenig bei, weil in ihnen - der Träumer ist ja dem Traumgeschehen distanz- und hilflos ausgeliefert - einfach zu wenig Reflexion stattfindet.

Dies ist jedoch beim Klarträumer anders, denn hier ist der Träumende ja nicht nur Akteur, sondern auch Betrachter und zum Teil sogar Regisseur des Geschehens. Die Verstandes- und Willenskräfte sind also weit mehr involviert, weswegen der Klartraum auch deutlich stärkere Lerneffekte erzielt.

Im Leistungssport wird der luzide Traum eingesetzt, um Bewegungsabläufe zu verbessern (siehe Kasten). Denn EEG-Untersuchungen konnten zeigen, dass Bewegungen, die im luziden Traum absolviert werden, eine Entsprechung in den motorischen Zentren der Großhirnrinde haben - und was dort abläuft, kann man später auch für Bewegungen in der Realität abrufen.

Michael Schredl berichtet von Turmspringern, Skiläufern und Turnern, die sich in ihren luziden Träumen bestimmte Aktionen ihres Sports vorgestellt haben. Sie erlebten ihre Bewegungen als „in sich stimmig, leicht und locker“, sagt der Psychologe. Und: Die Klarträumer waren nach einigen luzid-träumerischen Trainingseinheiten deutlich besser als vorher.

Wenn also ein 100-Meter-Sprinter klarträumt, dass er optimal aus dem Startblock herauskommt, wird dies seine tatsächliche Sprintleistung verbessern.

Schredl fand sogar heraus, dass Klarträumer bei ihren imaginären Kniebeugen eine stark erhöhte Pulsfrequenz entwickeln - und dies könnte bedeuten, dass auch ihr Herz-Kreislauf-System trainiert wird, obwohl sie eigentlich ja nur im Bett liegen.

So kann man sich nicht nur sportlich - sondern auch musikalisch und kognitiv verbessern. Bisher ist aber unklar, ob wirklich jeder Mensch das Klarträumen lernen kann. Psychologe Schredl ist kein angeborener Nachtträumer, er musste die luzide Nachtarbeit erlernen und hat etwa vier Wochen dafür gebraucht.

Um zum Klarträumer zu werden, bieten sich mehrere Techniken an. Unter privaten Anwendern besonders beliebt ist die Autosuggestion, bei der man sich vor dem Einschlafen wiederholt vorsagt: „Heute Nacht werde ich einen luziden Traum haben.“

In der luziden Traumforschung bedient man sich hingegen vor allem der MILD-Technik: Mnemonic Induction of Lucid Dreams. Ihr Ziel: Der Schläfer soll mittels einer Eselsbrücke während des Träumens überhaupt erst einmal erkennen, dass er träumt, denn nur so kann er zum Beobachter seines Traums werden.

Im ersten Schritt muss er dazu seinen persönlichen Traumhinweis bestimmen, wie etwa das Fliegen oder ein anderes bizarres Traumelement. Später sagt er sich dann, ähnlich wie bei der Autosuggestion, jedes Mal vor dem Einschlafen den Satz: „Das nächste Mal, wenn ich fliege, werde ich wissen, dass ich träume.“ Wenn er dann routiniert im Erkennen der eigenen Träume ist, kann er diese Formel mit einer Handlungsanweisung ergänzen, wie etwa: „Sofern ich weiß, dass ich träume, werde ich locker über dem Boden schweben.“

Was gegen Schlafstörungen hilft

Eine alte Technik, in Träume einzudringen, haben Psychologen jetzt wiederentdeckt: Das „katathyme Bilderleben“ (KB) wird inzwischen sogar von Krankenkassen bezahlt, Therapeuten benutzen es, um das Unterbewusstsein ihrer Patienten zu erkunden und zu manipulieren.

Der Psychotherapeut versetzt seinen Patienten in einen Klartraum, fordert ihn auf, auf dem Meeresgrund spazieren zu gehen, eine Höhle zu erkunden oder sich in einen Löwen zu verwandeln. Der Klartraum verrät dem Therapeuten viel - über Verhaltensmuster, verborgene Gefühle, intime Gedanken des Klienten.

Techniken zum Klarträumen gibt's inzwischen reichlich - eine Garantie bietet keine von ihnen. Das willentliche Einleiten von Klarträumen sei nach wie vor „eines der großen Rätsel der luziden Traumforschung“, sagt Schredl. Zufällig in einen Klartraum fallen - das kann fast jeder. Doch die Tür dazu finden nur wenige.