Meditierender
© ColourboxSelbstversunkenheit baut Stress ab, soll sogar Demenz vorbeugen können.
Meditation ist mehr als Entspannung. Forscher beweisen: Sie schützt uns vor Burn-out, trainiert das Gehirn - und macht glücklich.

Nichts ist so schwer wie nichts zu denken. Vor allem für Anfänger. Allein der Gedanke daran verursacht Stress. Dabei klingt die Anleitung für die erste Meditationsübung so einfach: „Konzentriere dich auf deinen Atem und spüre die kühle Luft an den Nasenflügeln. Atme ein und aus. Ein und aus.“

Konzentriert atmen? So schwer schnauft es sich sonst nur beim Treppensteigen. Ist noch Milch im Kühlschrank? Die E-Mail an den Chef auch abgeschickt? Banale Gedanken jagen wie ein Kometenschwarm durch den Kortex. Der Rücken verkrampft im Schneidersitz. Und statt der versprochenen Entspannung beginnt der Puls zu rasen. Dies soll der Start in ein gesünderes, sogar glücklicheres Leben sein?

„Meditierende können ihre Aufmerksamkeit fokussieren, besser mit Stress umgehen und Gefühle souveräner steuern“, verspricht Dieter Vaitl, Psychologe an der Uni Gießen. Mehr noch. Ärzte entdecken das Training des Geistes als Allheilmittel: gegen Burn-out, Schmerzen, Bluthochdruck und Depressionen. Segensreich für alle Volkskrankheiten, bei denen Psyche und Körper miteinander verwoben sind. Mediziner importieren 3000 Jahre alte spirituelle Riten in die moderne Präventionsmedizin. Die Meditationsforschung boomt. „Heute sind wir weit weg von der Esoterik“, sagt Vaitl.

Vielmehr diskutieren heute Mediziner, Neuropsychologen und Philosophen intensiv, was beim Meditieren im Gehirn und im Körper genau passiert. Welche Zellen und Hormone für das ominöse Wohlgefühl verantwortlich sind. Hirnforscher berichten von Unterschieden zwischen buddhistischen Profis und Meditationsnovizen aus den Bürotempeln der westlichen Welt. Schon nach wenigen Wochen Meditieren messen sie, wie bei ihnen die graue Substanz der Nervenzellen an Masse zulegt. Gleich dem Bizeps eines Gewichthebers, mit dem man stark und entspannter durchs Leben gehen kann.

Die Sehnsucht nach Entschleunigung macht auch Skeptiker neugierig. Fast jeder zweite Bundesbürger fühlt sich im Dauerstress und sucht verzweifelt nach einer Strategie, den täglichen Multitasking-Wahnsinn zu überleben. Permanent erreichbar, immer auf dem Sprung, viel Anspannung - wenig Entspannung. Doch Menschen, die meditieren können, scheinen privilegiert.

Meditation ist Entspannung und Wachheit zugleich

Zen, Yoga, Tai-Chi, Klosterurlaube oder Achtsamkeitstraining - Wege in die Meditation bieten alle Kulturkreise, auch christliche Kirchen. Bei näherer Betrachtung ähneln sich die mentalen Trainigsmethoden sehr. Der Lohn klingt religionsübergreifend verführerisch: „Meditation verbindet tiefe körperliche Entspannung und gleichzeitig hohe geistige Wachheit“, erklärt der Psychologe Ulrich Ott von der Universität Gießen das Ziel aller Lehrprogramme. Qualvolle Nächte des Grübels sind passé. Entscheidungen unter Druck fallen leichter. Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung verbessern sich.

„In vielen großen Firmen haben Führungskräfte das Meditieren für sich entdeckt“, erzählt der Zen-Lehrer und frühere Chef einer großen PR-Agentur, Paul Kohtes. Gerade Zen-Buddhismus zieht seiner Meinung nach viele Intellektuelle und Menschen mit hoher Leistungsbereitschaft an. Aber nur wenige outen sich in der Öffentlichkeit, aus Angst vor spitzen Bemerkungen der Kollegen. Sie treffen sich lieber mit Gleichgesinnten in Seminaren wie „Zen for Leadership“ am Benediktushof bei Würzburg. Unternehmen wie die Stadtsparkasse München bieten dagegen ihren Mitarbeitern bereits im Rahmen der Gesundheitsvorsorge Meditationsseminare an. Bei meditierenden Versicherungsangestellten, so ergab eine Studie, reduzierte sich die Häufigkeit von Infekten und Herzkrankheiten dramatisch. Sogar Gefängnisinsassen und die amerikanischen Elitesoldaten der Marines werden inzwischen zum Meditieren geschickt.

Aber wie lange muss ein Anfänger üben, bis er in den Genuss der Vorteile gelangt? Die junge Neuropsychologin Britta Hölzel aus Gießen forscht am Massachusetts General Hospital und an der Harvard Medical School. Sie qualifiziert sich als Spezialistin in doppelter Hinsicht, da sie über ihre Leidenschaft für Yoga zur Hirnforschung kam. Ende Januar konnte sie zum ersten Mal zeigen, dass man nicht zum Mönch werden muss, um seine mentalen Fähigkeiten zu verbessern.

Hölzel schob Mediationsanfänger in einen Kernspintomografen. Ein zweites Mal scannte sie die Gehirne der Probanden, nachdem diese acht Wochen jeden Tag 30 Minuten ihre Meditationsübungen absolviert hatten. Das Ergebnis: Meditation wirkt rasch. Schon nach dieser kurzen Zeit sah sie messbare Effekte. Die Gehirnstruktur hatte sich an einigen Stellen verändert. Vor allem im Hippocampus hatte sich die Dichte der grauen Substanz erhöht. Dieser spielt eine wichtige Rolle für das Langzeitgedächtnis und für Emotionen. Aber auch in den Regionen, die mit der Selbstwahrnehmung und der Empathie gegenüber Mitmenschen assoziiert sind, nahm die graue Substanz zu.

Die Meister der Meditation können ihr Gehirn in einen außergewöhnlichen Erregungszustand versetzen

Die Forscher nehmen an: Dickere Schichten an Nervenzellen verbessern die Funktion der Hirnareale. „Möglicherweise sind es diese antrainierten Veränderungen, die Meditierenden helfen, die Welt mit anderen Augen zu sehen“, glaubt Hölzel. Mit den Hirnbildern aus dem Kernspintomografen kann sie nun beweisen, was sie als Yoga-Lehrerin am eigenen Leib erfahren hatte. „Es ist faszinierend zu beobachten, wie Menschen durch Meditation aktiv ihr Gehirn beeinflussen und so ihr Wohlgefühl steigern können“, sagt die Forscherin. Aus früheren Studien weiß man, dass die Strukturveränderungen bei tibetischen Mönchen, die über viele Jahre hauptberuflich meditieren, noch ausgeprägter sind. Setzen Neurologen ihnen beim Meditieren eine Haube mit über 200 EEG-Fühlern auf, messen sie im Gehirn einen außergewöhnlichen Erregungszustand, bei dem sogenannte Gamma-Wellen dominieren.

„Profis nehmen Ablenkungen beim Meditieren auch wahr, aber sie blenden die Störreize schneller wieder aus“, sagt die Psychologin Hölzel. Sie sind geschickter darin, ihre Stressreaktion zu zügeln. Womöglich eignen sich spirituelle Techniken sogar zum Schutzprogramm vor Demenz. Erste Studien zeigen, dass Meditieren im Alter den Abbau der grauen Substanz in der Großhirnrinde bremsen kann. Das Interesse an neuronalen Schnappschüssen ins meditierende Gehirn ist derzeit groß. Doch die Neuropsychologin Tania Singer vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig warnt vor überzogenen Interpretationen: „Die Forschung ist noch ganz am Anfang.“

Wie sich Meditieren positiv auf die Physiologie des Körpers auswirkt, hatten abenteuerlustige Ärzte dagegen schon zu Flower-Power-Zeiten erkannt, als sie mit EEG und Blutdruckmessgerät im Gepäck zu den Yogis in den Himalaja pilgerten. Eine echte Synthese aus Meditation und moderner Medizin schuf erst der Amerikaner Jon Kabat-Zinn von der University of Massachusetts in Worcester.

Er kombinierte die fernöstlichen Übungen mit der damals in den USA aufkeimenden Verhaltensmedizin. „Mindfulness-Based Stress Reduction“ (MBSR) nannte er seine Erfindung. Stressbewältigung durch Achtsamkeit lautet die offizielle deutsche Übersetzung. Im Jahr 1979 führte Kabat-Zinn zum ersten Mal an der Stressklinik der Uni Worcester sein achtwöchiges Therapieprogramm durch. Rund 20 000 chronisch Kranke, Menschen mit psychosomatischen Beschwerden und Tausende stressgeplagte Gesunde haben dort bis heute daran teilgenommen.

Wenn Ärzte im Labor einen Meditierenden mit Messinstrumenten verkabeln, beobachten sie in erster Linie, wie sich der Körper bei den Übungen entspannt. Er verbraucht weniger Sauerstoff. Die Atemfrequenz, der Laktatwert und der Blutdruck sinken. Auch der Tonus der Muskeln nimmt ab. Das Level der Stresshormone normalisiert sich. „Physiologisch passiert genau das Gegenteil einer Stressreaktion“, erklärt Kabat-Zinn.

Seine Methode der Stressbewältigung eroberte Krankenhäuser, Reha-Einrichtungen und psychosomatische Kliniken weltweit und gilt als große Erfolgsgeschichte der ganzheitlichen Medizin. Er selbst avancierte zum Guru eines neuen Lebensstils. Schon von der ersten Stunde an ließ der gelernte Molekularbiologe Kabat-Zinn die Wirksamkeit seines Programms wissenschaftlich begleiten. Heute ist es die am besten untersuchte Meditationsform. Sie lindert nicht nur Stress, auch seine Folgeschäden wie Kopfschmerzen, Migräne und Schlafstörungen. In der Therapie von Depressiven hat eine abgewandelte Form des MBSR-Progamms bereits ihren festen Platz. Bei Patienten, die bereits drei depressive Episoden erlebt haben, halbierte sich die Rückfallquote. Das sogenannte MBCT wirkt als Prophylaxe, besser als Medikamente.

„Das Achtsamkeitstraining eignet sich besonders gut als Einstieg in die Meditation, weil es ein Potpourri aus verschiedenen Techniken zum Kennenlernen beinhaltet“, sagt der Psychologe Ulrich Ott, der auch Skeptikern die Meditation nahebringen will. Inwischen wird der Begriff Achtsamkeit als trendiges Synonym für einen entschleunigten, alternativen Lebensstil verwendet. Doch im ursprünglichen Kontext versucht er zu beschreiben, wie der Mensch höchst aufmerksam im Augenblick lebt. Wie durch eine Lupe soll er wahrnehmen, was gerade in ihm und um ihn herum passiert, und dabei, das ist das Entscheidende, gelassen die Dinge betrachten. Gedanken kommen und gehen, wie der Atem - ein und aus . . .

An einem Wochenende sind die wichtigsten Grundlagen erlernbar, versprechen Achtsamkeitstrainer wie Jan Eßwein aus München. Er findet es völlig normal, wenn Anfänger bei den ersten Übungen alles andere als gelassen sind. „Die Tatsache, dass Neulinge ihren Stress spüren, ist schon ein erster Erfolg“, betont Eßwein. Sein Seminar beginnt mit einer geistigen Wanderung durch den Körper. Ein solcher Body-Scan schult die Wahrnehmung von winzigen Körperempfindungen, etwa dem Muskelzucken im linken kleinen Zeh. Dann folgen Meditationen im Sitzen und Gehen. Dehn- und Kräftigungsübungen aus dem Hatha-Yoga trainieren zur Abwechslung auch die Muskeln.

Schon zehn Minuten Achtsamkeitstraining am Tag verbessern spürbar das seelische Wohlbefinden

Weil Eßwein seine gestresste Klientel nicht überfordern will, hängt er die Messlatte für Laien etwas tiefer: Auch mit zehn Minuten Meditationspraxis pro Tag lasse sich Stress gesünder managen. „Wichtigstes Ziel ist, mit einer Extraprise Bewusstheit durchs Leben zu gehen“, sagt der Yoga-Lehrer, „und den Autopiloten im Kopf zumindest zeitweilig auszuschalten.“ Viele kleine Übungen im Alltag sollen dieses Lebensgefühl festigen, bis es zur Selbstverständlichkeit wird wie bei den Könnern.

Einer der Ersten, die in Deutschland das Achtsamkeitsprogramm zur Therapie einsetzten, war der Mediziner Gustav Dobos am Knappschaftskrankenhaus in Essen. Patienten können sich dort schulmedizinisch, aber auch mit Methoden der chinesischen und indischen Heilkunst behandeln lassen. Mind-Body-Medizin nennen Ärzte das integrative Modell. Begeistert erzählt Dobos von einem Selbstversuch, der ihm das Potenzial von Achtsamkeit in der Schmerztherapie verdeutlichte. Für eine Studie ließ er sich elektrische Schmerzreize an seinem Fuß verabreichen. „Die Reize empfand ich als nahezu unerträglich“, erzählt Dobos. Als seine Mitarbeiter ihm jedoch die gleiche Stromspannung verabreichten, während er meditierte, spürte er „fast nichts mehr davon“.

Der Psychologe Stefan Schmidt, der den Nutzen der Meditation an der Uniklinik Freiburg erforscht, kann solche „Wunder“ erklären: „Durch die Achtsamkeitsmeditation lernen Patienten einen anderen emotionalen Umgang mit Krankheitssymptomen.“ Wie das Gehirn Schmerz verarbeitet, ist tatsächlich erlernbar und wird häufig schon in der Kindheit geprägt. „Das schlimmste Gefühl für viele Patienten ist der Kontrollverlust über ihre Krankheit“, erzählt Schmidt. Ein neuer Arzt, eine neue Therapie, eine Operation - alle Hoffnungen auf Linderung versuchen Kranke in der Außenwelt zu finden, stellt er fest. Dabei liege ein großes Potenzial zur Veränderung in ihnen selbst.An der Uni-Klinik Freiburg hat Schmidt die Wirkung des MBSR-Kurses bei Migränepatienten untersucht. „Meditierende hatten danach fast genauso häufig ihre Kopfschmerzen, brauchten aber deutlich weniger Medikamente“, sagt Schmidt. Der Leidensdruck hatte abgenommen. Achtsamkeitstraining wirkte oft besser als herkömmliche Entspannungstechniken.

„Früher waren Methoden zur Linderung von Stress stärker in der Religion verankert“, sagt die Therapeutin Anna Paul, die an der Essener Klinik mit dem Achtsamkeitsprogramm auch vielen Krebspatienten hilft, ihre Krankheit zu meistern. Die Stille einer Kapelle oder das Gebet eines Rosenkranzes waren allgegenwärtig im Leben. Heute braucht es neue Wege. Ein Schulungsprogramm oder zumindest eine iPod-App mit Meditationsklängen. Egal, welchen Weg Suchende einschlagen: Wenn sie es schaffen, zwischen Anspannung und Entspannung frei wählen zu können, sagt Paul, dann genießen sie das Gefühl, ihr Leben im Griff zu haben: „In dem Moment entsteht Glück.“

Jeder Kulturkreis verfügt über eine Tradition der Meditation. Einsteiger haben die Auswahl:

Christliche Mystik

Eine Gebetslehre und Kontemplation, die von Mystikern im Mittelalter, wie z. B. Meister Eckhart, geprägt wurde. Sie hat eine lange Tradition in der orthodoxen Kirche und strebt die Einswerdung mit Gott („Unio mystica“) im Diesseits an. Praktiziert wird dort das Jesusgebet, was viele als Meditation betrachten. In den modernen Kirchen besitzen Psalmengesang, Exerzitien oder das Rosenkranzbeten meditative Elemente.

Vipassana

Im Westen sehr populäre Achtsamkeitspraxis aus Birma, Sri Lanka und Thailand. Ziel der buddhistischen Lehre ist die Erleuchtung. Viele Übungen wie Atembeobachtung und Sitzmeditation sind in das MBSR zur Stresstherapie eingeflossen.

Yoga

Die philosophische Lehre aus Indien ist über 2000 Jahre alt. Sie beinhaltet sowohl meditative als auch körperliche Übungen. Ziel ist, Körper, Geist und Seele in Einklang zu bringen. Im modernen Yoga steht Gesundheitsförderung im Mittelpunkt. So bildeten sich unzählige „neue“ Yoga-Richtungen.

Tibetischer Buddhismus

Streben nach Erleuchtung zum Wohl aller Lebewesen ist das Ziel. Als Meditationshilfen dienen Mantras, Gesänge und Buddha-Bilder. Bedeutung hat die enge Verbindung zwischen Schüler und Lehrer. Berühmtester Vertreter: der Dalai Lama.

Zen

Buddhistische Strömung aus Ostasien, vorrangig Japan. Typisch: der Lotossitz wie beim Yoga. Täglich soll meditiert werden, in Seminaren oft über mehrere Stunden. Ziel ist, die Gedanken zu beruhigen. Zen-Meister vergeben Koans an ihre Schüler - absurde Rätsel, über die sie nachdenken sollen.

Achtsamkeit (MBSR)

Medizinisch orientiertes Programm gegen Stress, Schmerz und Angst, 1979 von Jon Kabat-Zinn entworfen. Hauptelemente sind: Schulung der Körperwahrnehmung (Body-Scan), Atembeobachtung, Sitzmeditation, Yoga, Verhaltenstherapie.

Neuronale Erleuchtung Ein buddhistischer Mönch ist ein Olympionike der Meditation. Neuroforscher untersuchten mit Messfühlern des Elektroenzephalogramms (EEGs) seine Hirnströme. Eine hohe Aktivität von Gamma-Wellen weist auf geistige Höchstleistungen hin.
„Meister Eckhart“
»Wir sehen viel, doch wir sehen erst eigentlich, wenn wir die wirren Lichter alle ausgeblasen haben und nur das eine klare, große in der Seele leuchtet« Eckhart von Hochheim, Theologe und Philosoph „Meister Eckhart“ ist ein Mystiker des 13. Jahrhunderts und ist heute noch Inspirationsquelle für Meditierende.