Empathie und Mitgefühl sollte man nicht verwechseln - doch beides ist wichtig für den sozialen Umgang. Ein junger Professor untersucht an der Universität Wien, wie Menschen ihr "Einfühlungsvermögen" wahrnehmen.

Die Bilder des letzten Wiener Derbys, als Rapid-Fans das Fußballfeld stürmten, gingen durch die halbe Welt. Wie geht es wohl Austria-Fans, wenn sie zusehen, wie Rapidler von der Polizei geprügelt werden? Und was fühlen Rapid-Fans, die das mit ansehen? Solche Fragen kann Claus Lamm beantworten, der seit September 2010 an der Uni Wien den Lehrstuhl für Biologische Psychologie inne hat und an „Sozialen Neurowissenschaften“ forscht.

Er hat sich zwar nicht mit Rapid- und Austria-Fans beschäftigt. Aber in seiner Antrittsvorlesung vor wenigen Tagen berichtete Lamm von einer Studie, die seine Kolleginnen an der Universität Zürich (Labor für Soziale und Neuronale Systemforschung) durchgeführt hatten: Als Versuchskaninchen dienten Basel- und Zürich-Fans.

Die Frage war die gleiche: Was fühlen Zürich-Fans, wenn sie mitansehen, dass einem Mann im Basel-Dress Schmerz zugefügt wird, und was, wenn der gleiche Schmerz einen Zürich-Fan trifft? Die Personen wurden einerseits befragt: So erfährt man, welche Gefühlsregungen dem Probanden bewusst sind. Andererseits liegt er dabei in einem Magnetresonanztomografen: Da sieht der Forscher live und in Farbe, welche Gehirnregionen beim Ansehen der Bilder aktiv sind - auch Dinge, die dem Probanden nicht bewusst sind.

„Es gab in dem Versuch auch die Möglichkeit, Schmerz von dem gequälten Zürich- oder Basel-Fan auf sich selbst umzulenken, sodass dieser weniger Schmerz fühlt und man selbst mehr“, erzählt Lamm. Diese Variante wurde erstaunlich oft gewählt, auch wenn damit dem gegnerischen Fan geholfen wurde. Relativ gesehen wurde die Variante des „schmerzhaften Helfens“ dennoch öfter dann gewählt, wenn man damit dem Fan des eigenen Teams half.

Die „sadistische Variante“ (Zusehen ohne zu helfen) wurde bei den gegnerischen Fans wesentlich öfter gewählt. Interessant war besonders, dass bei der Entscheidung, dem eigenen Fan Schmerzen abzunehmen, neuronale Prozesse aktiv waren, die mit Empathie verbunden sind. „Im Gegensatz dazu war die unterbliebene Hilfe gegenüber dem Basel-Fan v.a. dadurch erklärbar, dass das Gehirn des Probanden Reaktionen zeigte, die mit Schadenfreude verbunden werden.“

Es gibt also zwei Motivationssysteme: Empathie für jene, die einem ähnlich sind, und Schadenfreude gegenüber den andersartigen. Was „Empathie“ genau ist, erklärt und erforscht Lamm seit einigen Jahren: „Man darf Empathie und Mitgefühl nicht verwechseln.“ Die Empathie, das Einfühlungsvermögen oder Nachempfinden, ist zwar ein affektiver Zustand, bei dem man Ähnliches fühlt wie sein Gegenüber: Aber dabei ist man sich bewusst, dass dieser Zustand nur durch das Beobachten des anderen ausgelöst wird.

„Zudem hat das Mitgefühl eine zusätzliche Komponente: Man will damit das negative Gefühl des Gegenübers dämpfen.“ Der junge Professor, der aus Vorarlberg stammt, in Wien Psychologie studiert hat und lange in Frankreich, den USA und der Schweiz gearbeitet hat, will nun in Wien erforschen, ob Empathie beim Menschen automatisch auftritt oder inwieweit man sie bewusst steuern kann.

„Würde ein Chirurg zu viel Mitgefühl empfinden, müsste er ja davonlaufen, wenn er den Schmerz seines Patienten nachempfindet“, erklärt Lamm. Zwar zeigen neurowissenschaftliche Studien, dass bei Menschen, die Schmerz von anderen beobachten, die gleichen Hirnareale aktiv sind, wie wenn ihnen selbst Schmerz zugefügt wird. Doch es muss eine Kontrolle über diese Empfindungen geben: „Denn wir fühlen nur sehr selten wirklich das, was andere empfinden. Auch bei einem Streit haben beide Partner Wut in sich: Aber das ist jeweils das Eigenempfinden.“

In seinen Experimenten konzentriert sich Lamm daher auf die Frage der Perspektivenübernahme: „Verstärkt es die Empathie, wenn man sich in die Lage der anderen Person versetzen muss?“ Interessant ist, dass ein Zuviel an Einfühlungsvermögen zu Stress führt. Wer sich zu stark in beobachtete Personen versetzt, wird negativ belastet - das verringert den Impuls zu helfen. „So geht es einem bei Horrorfilmen: Obwohl man weiß, dass es nur ein Film ist, verschließt man die Augen oder verkriecht sich unter der Decke“, schmunzelt Lamm.

Im Magnetresonanztomografen konnte er zeigen, worauf es ankommt: Die Probanden wurden gebeten, sich wirklich in die Lage des Patienten zu versetzen, der eine schmerzhafte Untersuchung über sich ergehen ließ, oder sie sollten nachempfinden, was der Patient empfindet, ohne sich selbst hineinzuversetzen. „Jene, die zu explizit mitfühlten, hatten hohe Aktivität in den Gehirnregionen, die Distress - also negativen Stress - anzeigen. Wenn man sich nicht selbst hineinversetzte, war die Empathie stärker und die Probanden wollten eher helfen“, so Lamm. „Der wichtigste Punkt der Empathie ist also, dass man zwischen sich selbst und dem anderen gut unterscheiden kann. Das verbessert das Mitgefühl und mindert den Stress.“

In seinen aktuellen Forschungen will Lamm herausfinden, welche Regionen im Gehirn für die Regulation dieser Emotionen zuständig sind: Wie kontrollieren Chirurgen oder Psychotherapeuten das Mitgefühl mit ihren Patienten? Wie kommt der Unterschied zwischen bewusstem Einfühlen und unbewusster Anteilnahme zustande? „Auch bei Probanden, die sich vollkommen bewusst sind, dass sie anderen, die Schmerz empfinden, nur zusehen, sind ähnliche Regionen im Gehirn aktiv, wie wenn sie selbst Schmerz empfinden. Empathie ist also steuerbar und es gibt Hirnregionen, die diese Unterscheidung und Kontrolle ermöglichen.“

Da man derart komplexe Phänomene wie soziales Denken und Empfinden nicht in nur einer Wissenschaftsdisziplin verstehen kann, hat Lamm bereits in Wien und international Kooperationspartner gefunden. „Wenn wir Empathie und Altruismus verstehen wollen, müssen wir die soziale Ebene und die Verhaltensebene erforschen, auch die kognitive und die neuronale. Zudem wird auch die Genetik und Pharmakologie wichtig sein“, sagt Lamm, der auch sich selbst stets interdisziplinär vorstellt: „Ich bin Neurowissenschaftler und Psychologe.“