Langzeit-Studien in Deutschland und den USA versuchen zu klären, warum manche Menschen Drogen nehmen und von ihnen abhängig werden - und andere nicht.
Amy Winehouse
© dpaSängerin Amy Winehouse weist Merkmale einer "Drogenpersönlichkeit" auf
Man könnte sagen, die Persönlichkeit eines Menschen ist so etwas wie der Fingerabdruck der Psyche. Im Laufe des Lebens wird sie sorgsam Stück für Stück aus genetischen Veranlagungen und den Erfahrungen mit der Umwelt zusammengebaut. Über die Jahre verschmelzen dann die Gefühle, Einstellungen, Vorlieben und Abneigungen zu einer Einheit aus Denken und Handeln.

Dieses einzigartige Profil ermöglicht es, jemanden wiederzuerkennen und das Verhalten eines Menschen einschätzen und vorhersagen zu können.

Wissenschaftler haben die Persönlichkeit schon lange als Kandidat im Visier, wenn es darum geht zu erklären, warum manche Menschen Drogen nehmen und von ihnen abhängig werden - und andere nicht. Heiner Ellgring vom Institut für Psychotherapie und Medizinische Psychologie der Universität Würzburg hat in einer Übersicht verschiedene Studien mit mehreren Tausend Studienteilnehmern zusammengefasst.

Das Ergebnis: Vor allem Menschen, die emotional labil sind und leicht depressiv werden, neigen dazu, Drogen zu konsumieren und von ihnen abhängig zu werden. Auch Menschen mit vielen vegetativen Beschwerden wie Schwindel, Schlafprobleme, Migräne, Tinnitus oder Atemnot greifen eher zu Drogen als andere.

Eine Langzeit-Studie der University of California in Berkeley konnte zudem zeigen, dass Menschen, denen es im Alter von elf Jahren schwer fiel, ihre Impulse zu kontrollieren, mit 18 Jahren häufiger regelmäßig große Mengen Marihuana konsumierten. Und eine Studie um Martin Ohlmeier von der Universität in Hannover ergab, dass 23 Prozent der untersuchten Alkoholabhängigen bereits als Kind hyperaktiv gewesen waren. Bei den von illegalen Drogen Abhängigen waren es sogar mehr als 50 Prozent.

Dabei scheint besonders das Persönlichkeitsmerkmal "sensation seeking“, also das ständige Suchen nach Abwechslung und neuen Erlebnissen, für Drogenkonsum anfällig zu machen. Eine Studie der Université Libre de Bruxelles etwa fand 2004 heraus, dass die untersuchten Heroinkonsumenten der Stichprobe viel höhere Werte in "sensation seeking“ hatten als die Alkoholabhängigen. Neben der Frage, wer anfällig für Drogenabhängigkeit ist, ist dies ein Hinweis darauf, wie bestimmte Persönlichkeitsmerkmale die Wahl der Droge bestimmen.

Persönlichkeitsentwicklung ist therapieentscheidend

Allerdings gibt es für die Forscher ein Problem. Auch wenn sich für viele Drogenabhängige ein solches Profil finden lässt: Allein aus diesen Eigenschaften können sie nicht vorhersagen, welcher leicht depressive Jugendliche später drogenabhängig wird und welcher nicht. Versuche dazu schlugen regelmäßig fehl und so mussten sich die Wissenschaftler etwas anderes einfallen lassen. Statt nach einer "Drogenpersönlichkeit" zu suchen konzentrieren sie sich daher inzwischen mehr auf die Entwicklung der Persönlichkeit während einer Drogenabhängigkeit - für die Therapie ist das ohnehin bedeutsamer.

Denn auch wenn die Persönlichkeit über die Zeit recht stabil ist - unveränderlich ist sie nicht. Kleinere Anteile verändern sich ständig, weil sie auf den Alltag reagieren und sich anpassen. "Wenn man über Jahre hinweg Drogen nimmt, dann verändert sich auch die Persönlichkeit, weil man anders wahrnimmt und auch ganz andere Dinge wahrnimmt", sagt der Psychiater und Psychotherapeut Ralf Bolle von der Hochschule für Kunsttherapie in Nürtingen.

Bei Alkoholabhängigen etwa verändern sich ganz bestimmte Aspekte der Persönlichkeit. Sie werden Studien zufolge mit der Zeit passiv und weniger spontan, haben Schwierigkeiten sich zu konzentrieren, werden unzuverlässig und unkritisch. Außerdem können sie nur noch schlecht Verantwortung übernehmen. Bei anderen Substanzen ist das Bild uneinheitlicher, im Vordergrund stehen aber bei vielen Drogen Passivität und Apathie, die von den kurzen euphorischen Phasen während des Drogenrausches unterbrochen werden.

Kontroversen gab es lange Zeit um das sogenannte Amotivationale Syndrom bei Cannabiskonsumenten. Es wurde anfangs als eine spezielle durch die Droge verursachte Antriebsstörung beschrieben, bei der Betroffene das Interesse an fast allen Aktivitäten verlieren, lethargisch werden und emotional abstumpfen. Solche Menschen sind lustlos und stark auf sich selbst bezogen. Da sie kaum noch Interesse an anderen haben und wenig leistungsbereit sind, führt das oft zu Problemen in der Schule oder am Arbeitsplatz und zur sozialen Isolation.

In der Praxis gelang es jedoch nicht, ein einheitliches Störungsbild zu zeigen, und so werden die Symptome inzwischen einfach als individuelle Folgeerscheinung jahrelangen Konsums gesehen. Unzweifelhaft ist aber, dass bei chronischem Cannabis-Konsum dauerhafte Konzentrations- und Gedächtnisstörungen auftreten können. Ablenkbarkeit und verlangsamte Reaktionszeiten sind ein weiteres Problem. Besonders gefährlich wird das, wenn bereits im Jugendalter, der Phase der Hirnentwicklung, viel konsumiert wird. Das kann, wie eine Studie zeigen konnte, sogar zu einem geringeren verbalen IQ führen.

Ein weiteres Problem ist, dass viele Drogenabhängige gleichzeitig psychisch krank sind. Bis heute ist das Rätsel, ob Drogen diese seelischen Störungen verursachen oder diese bereits vorher existierten, nicht ganz geklärt. Die meisten Wissenschaftler aber glauben, dass Drogen nicht die Ursache, sondern lediglich der Auslöser für eine schlummernde psychische Krankheit sind.

"Der Stand heute ist, dass eine untergründige Psychose oder eine schwere seelische Erkrankung, die sonst durch normale Lebensverhältnisse kompensiert wird, durch die Einnahme von Drogen an die Oberfläche kommen kann", erklärt Psychiater Bolle. "Das große Problem ist eben, dass man vorher nur sehr schwer sagen kann, ob jemand untergründig eine Schizophrenie hat oder nicht."

Haschisch erhöht das Psychosen-Risiko

Besonders der Zusammenhang von Schizophrenie und Cannabis-Konsum ist inzwischen gut erforscht. So konnte eine Studie des Psychologen Roland Kaiser von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Köln zeigen, dass der Konsum von Haschisch oder Marihuana das Risiko für Psychosen, zu der auch die Schizophrenie gehört, erhöht. Bei einer Psychose leiden die Betroffenen unter starken Stimmungsschwankungen und wirren Gedanken, und auch Halluzinationen und Verfolgungswahn treten häufig auf.

Während Abhängige ohne gleichzeitige Schizophrenie in der Studie häufig Heroin und Kokain einnahmen, waren es bei den schizophrenen Abhängigen meist Cannabis-Produkte. Zu dem gleichen Ergebnis kam eine schwedische Studie, die mehr als 45.000 Wehrpflichtige über 15 Jahre untersuchte. Auch hier war das Risiko für Schizophrenie bei den Cannabis-Konsumenten deutlich erhöht.

Cannabis scheint den Ausbruch von Schizophrenie aber nicht nur zu fördern, sondern auch zu beschleunigen. So wird Schizophrenie bei Cannabis-Konsumenten im Schnitt bereits drei bis fünf Jahre früher diagnostiziert als bei Betroffenen ohne Drogenerfahrung.

Auch für Alkoholabhängige gibt es schwerwiegende psychische Folgeerkrankungen nach jahrelangem Alkoholmissbrauch. Neben psychotischen Zuständen taucht oft das Korsakow-Syndrom auf. Dabei treten starke Gedächtnisstörungen auf, bei denen nicht nur Erinnerungen verschwinden, sondern die Betroffenen auch unfähig sind, sich neu Erlebtes zu merken. Dazu kommen Müdigkeit, Antriebsarmut und starke Stimmungsschwankungen.

Doch auch wer nur gelegentlich Drogen konsumiert, darf sich nicht in Sicherheit wiegen. Denn selbst ein einmaliger Drogenkonsum, vor allem bei Cannabis, kann zu Schizophrenie-Symptomen führen. Experten sprechen dann von einer cannabisinduzierten Psychose, bei der die Dosis und auch die Frequenz des Drogenkonsums direkt in Zusammenhang steht mit der Anzahl und Schwere der Symptome. Die Symptome sind jedoch weniger stark ausgeprägt und verschwinden meist auch recht schnell wieder, wenn die Droge nicht mehr genommen wird.

Albert Hofmann, Entdecker LSD
© PA/KEYSTONEDer Schweizer Chemiker Albert Hofmann entdeckte die psychedelische Droge LSD auf der Suche nach einem Kreislaufmittel 1943.