Forscher untersuchen die Wahrnehmung von Gesichtern bei Kindern
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© lassedesignen/fotolia.comIn welchem Alter die Fähigkeit zur Gesichtserkennung bei Kindern voll ausgebildet ist, bleibt bislang umstritten.
Die Wahrnehmung und das Erkennen von Gesichtern sind für Menschen wichtige Stützen des sozialen Zusammenlebens. Aus diesem Grund sind Menschen Experten für die Wahrnehmung von Gesichtern. Allerdings muss die Fähigkeit sich erst entwickeln, was bei Kindern in einem graduellen Lernprozess geschieht, berichtet die Ruhr-Universität Bochum (RUB).

Menschen verfügen nicht von Geburt an über die Fähigkeit der Gesichtswahrnehmung. Ab welchem Alter Kinder dazu in der Lage sind, bestimmte Sache und Gesichter wahrzunehmen, haben Entwicklungspsychologen in der Vergangenheit vielfach untersucht, allerdings bislang ohne eindeutiges Ergebnis. „Es gibt zwei Lager mit unterschiedlichen Meinungen unter den Wissenschaftlern“, berichtet Prof. Dr. Sarah Weigelt von der RUB. Dabei gehe das eine Lager davon aus, dass im Alter von fünf Jahren bereits alles gelaufen ist und Menschen nur noch besser beim Erkennen von Gesichter werden, weil Aufmerksamkeit und Gedächtnis leistungsfähiger würden. „Andere Forscher denken, dass Menschen so darauf geeicht sind, Gesichter zu erkennen, dass das Gehirn seine Leistung in diesem Bereich bis zum Alter von 32 Jahren kontinuierlich steigert“, so Weigelt weiter.

Abweichenden Vorstellungen zu der Entwicklung der Gesichtswahrnehmung

Die Wissenschaftlerin der RUB erläutert, dass die Fähigkeit zur Gesichtserkennung im Gehirn nicht einfach angeschaltet werde, sondern sich im Lauf der Entwicklung verfeinere. Mit der Zeit werde zum Beispiel auch erlernt, „sehr ähnlich aussehende Leute zu unterscheiden und Menschen wiederzuerkennen, nachdem sie sich die Haare abgeschnitten und gefärbt haben“, berichten die RUB in einer Mitteilung zu den aktuellen Studienergebnissen. Ob die Entwicklung in den Hirnarealen, die Gesichter verarbeiten, im Alter von fünf Jahren bereits abgeschlossen ist, bleibe jedoch umstritten. Grundsätzlich sei die Frage, ab wann Menschen Gesichter wahrnehmen können, nicht pauschal mit einer Altersangabe zu beantworten, so die RUB weiter. Mit der aktuellen Untersuchung wollten die RUB-Entwicklungsneuropsychologin Prof. Dr. Sarah Weigelt und die Doktorandin Marisa Nordt nun herausfinden, wann Kinder Erwachsenen beim Gesichter erkennen ebenbürtig sind. Hierfür untersuchten sie die Fähigkeit zur Gesichtserkennung bei Fünf- bis Zehnjährigen.

Aktivität im Gehirn beim Betrachten von Gesichtern untersucht

Mit Hilfe der sogenannten funktionellen Kernspintomografie analysierten die Forscherinnen, was beim Betrachten von Gesichtern im Gehirn von Erwachsenen und Kinder passiert. Auf Basis des bildgebenden Verfahrens wurde deutlich, wie stark die Hirnareale zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiv waren. „Die Forscherinnen konzentrierten ihre Analyse auf das sogenannte fusiforme Gesichtsareal, einen kleinen Bereich im Schläfenlappen, der auf die Wahrnehmung von Gesichtern spezialisiert ist“, berichtet die RUB. Sie zeigten den teilnehmenden Kindern Fotos von Gesichtern, wobei jeweils sechs Bilder hintereinander innerhalb von zwölf Sekunden vorgeführt wurden. Nach einer kurzen Pause folgte ein neuer Zwölf-Sekunden-Block mit sechs Fotos, anschließend eine erneute Pause und wieder ein Fotoblock. Den Kindern wurden dabei drei Arten von Bildsequenzen vorgelegt: Entweder mit sechs identischen Fotos innerhalb eines Blocks oder mit sechs Fotos von derselben Person, aber auf unterschiedlichen Aufnahmen, oder mit sechs Fotos von verschiedenen Leuten.

Gewöhnungseffekt bei Erwachsenen

Ziel war die Überprüfung des Gewöhnungseffekts, der sich in Hirnarealen einstellt, wenn diese mehrfach hintereinander mit dem gleichen Reiz konfrontiert werden. So nimmt die Aktivität in bestimmten Hirnarealen ab, wenn wir immer wieder das gleiche Bild einer Person betrachten. Erwachsene hatten in früheren Studien einen starken Gewöhnungseffekt im Gesichtsareal des Gehirns gezeigt, wenn sie sechs identische Fotos hintereinander zu sehen bekamen. Bei Bildern verschiedener Personen war der Effekt jedoch nicht zu beobachten. Besonders interessant waren für die aktuelle Untersuchung die Bildsequenzen mit sechs unterschiedlichen Fotos derselben Person, berichten die Forscherinnen weiter. Hier habe sich in früheren Untersuchungen bei Erwachsenen ebenfalls ein Gewöhnungseffekt gezeigt; der allerdings weniger stark ausfiel, als wenn sie identische Fotos einer Person betrachteten.

Kinder zeigen Abweichungen beim Gewöhnungseffekt

Die Wissenschaftlerinnen haben nun überprüft, wie die Situation bei einem siebenjährigen Kind aussieht, wenn es die verschiedenen Bildsequenzen betrachtet. Insgesamt 15 Kinder nahmen laut Mitteilung der RUB an der Studie teil. Beim Betrachten von sechs identischen Fotos zeigten sie den gleichen Gewöhnungseffekt wie Erwachsene, berichten die Forscherinnen. Dieser Effekt sei nicht aufgetreten, wenn sie Fotos unterschiedlicher Leute zu sehen bekamen. Hier zeigten sich demnach keine relevanten Abweichungen von den Erwachsenen. Spannend waren die Ergebnisse allerdings für die Sequenzen mit verschiedenen Fotos derselben Person, betont Weigelt.

Auch bei den Kinder haben sich leichte Gewöhnungseffekte beim Betrachten der Fotos von identischen Personen in unterschiedlichen Posen gezeigt, aber „wenn man genauer hinsieht, merkt man, dass die Ergebnisse bei Kindern anders zustande kommen“, so Prof. Weigelt. Zwar ließen die gemittelten Werte einen ähnlichen Gewöhnungseffekt wie bei den Erwachsenen erkennen. Doch die detaillierte Betrachtung machte deutlich, dass bei den Kindern im Prinzip eine Entweder-Oder-Entscheidung vorlag. So zeigten die Kinder entweder einen voll ausgeprägten Gewöhnungseffekt oder überhaupt keinen. „Wenn Kinder verschiedene Fotos derselben Person sehen, scheinen sie entweder zu sagen: Das ist die gleiche Person. Oder: Das sind verschiedene Personen“, erläutert Weigelt. Dazwischen gebe es nichts. Somit können Siebenjährige zwar Gesichter erkennen, aber diese Fähigkeit ist laut Aussage der Forscherinnen noch nicht voll ausgebildet. Es ist demnach von einem längerfristigen graduellen Lernprozess auszugehen.

(fp)