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Von äußeren Merkmalen auf innere Werte zu schließen, hat man bereits vor 200 Jahren versucht. Derartige pseudowissenschaftliche Ansätze waren die Grundlage folgenschwerer rassistischer Ideologien. Eine Studie liefert nun anscheinend neue Nahrung für eine längst verworfenen Idee: Das Böse sei manchen Menschen buchstäblich ins Gesicht geschrieben.Demnach neigen Männer mit breiterem Antlitz eher zum Betrug. Das bedeute aber nicht, dass einem das Böse bereits in die Wiege gelegt wurde, indirekt verantwortlich seien vielmehr psychologische Mechanismen.
Biologistische IrrlehreAnfang des 19. Jahrhunderts entwickelte der in Wien lebende Arzt Franz Joseph Gall die Lehre der Phrenologie. Diese besagte einerseits, dass das Gehirn das Zentrum sämtlicher mentaler Funktionen sei - insofern kann man ihn auch als Vorläufer der heutigen Neurowissenschaften sehen. Der weitaus umstrittenere Teil der Theorie stellte zusätzlich einen Zusammenhang mit der jeweiligen Schädelform dar. Charakter und Intelligenz eines Menschen ließe sich daraus ablesen. Laut Gall konnte man beispielsweise einen Mörder an den typischen Schädel- und Gesichtsproportionen erkennen.
Schädelvermessungen wurden zu einem wichtigen Werkzeug der Ethnologie und lieferten in der Folge Argumente für die vernichtenden Rassenideologien des 20. Jahrhunderts. Wie andere biologistische Theorien wurde der Versuch, äußere Merkmale mit inneren Eigenschaften zu verknüpfen, nicht zuletzt angesichts der verheerenden Folgen und aufgrund einer fehlenden wissenschaftlichen Basis dann verworfen. Fragen der Moral und der Ethik überließ man wieder der Religion sowie den Kultur- und Geisteswissenschaften.
Erst in den letzten Jahren mehren sich - auf der Suche nach unseren evolutionären Wurzeln - erneut Belege, dass die Natur bzw. die Biologie bei moralischen und ethischen Verhalten sehr wohl eine Rolle spielen könnte. So besitzen etwa bereits manche Primaten ein basales Gerechtigkeits-empfinden. Soziale und kognitive Anpassungen haben demnach im Laufe unserer Entwicklungsgeschichte unser moralisches Bewusstsein geformt.
Moral als Gesichtsmerkmal?Ob es auch einen Zusammenhang mit konkreten, genetisch festgelegte physischen Merkmalen gibt, d.h., ob sich bestimmte (un)ethische Veranlagungen auch im Äußeren widerspiegeln, spielte bei diesen Untersuchungen bisher kaum eine Rolle. Die meisten Forscher halten es für extrem unwahrscheinlich; derart einfach lesbare Zeichen wären zudem der evolutionären Selektion längst zum Opfer gefallen.
Laut Michael P. Haselhuhn und Elaine M. Wong von der University of Wisconsin-Milwaukee könnte es aber Ausnahmen geben, und zwar dann, wenn evolutionär erwünschte Merkmale mit sozial weniger akzeptablen Verhalten verknüpft sind.
Was das bedeutet, versuchen die beiden Forscher in ihrem soeben veröffentlichten Artikel anhand eines konkreten Beispiels zu erklären: Bei der sexuellen Selektion werde männliche Aggression bevorzugt, Aggressivität verleite aber auch zu unethischen Verhalten. Gäbe es ein Merkmal, dass Aggression bei Männern signalisiert, könnte dies ebenfalls Hinweise auf ein moralisch fragwürdiges Handeln liefern - soweit die etwas gewagte These der Wissenschaftler.
Auch ein potenzielles Merkmal haben sie bereits ausgemacht, nämlich das Verhältnis von Gesichtsbreite und -höhe: Je größer, desto aggressiver sei ein Mann, wie andere Untersuchungen bereits gezeigt hätten. Zwei voneinander getrennte Studien sollten nun den Zusammenhang mit unethischen Verhalten klären, konkret ging es um Täuschung und Betrug.
Sichtbare UnehrlichkeitBeim ersten Experiment mussten insgesamt 192 Studenten paarweise Kaufverhandlungen führen. Dabei sollte der Käufer dem Verkäufer zusichern, dass er das Gebäude nach dem Kauf in seiner ursprünglichen Form erhalten und keiner anderen Nutzung zuführen werde. Von den Wissenschaftlern wurden die Käufer aber dahingehend vorbereitet, dass es natürlich klar war, dass die Liegenschaft später anderweitig kommerziell genützt werden wird.
Die Unehrlichkeit der Käufer ließ sich also daran ablesen, wie gut sie dieses Faktum verschleiert hatten. Diese Ergebnisse wurde mit dem gemessenen Verhältnis von Gesichtsbreite und -höhe korreliert. Den Forschern zufolge hatten jene Männer mit dem im Vergleich zur Höhe breiteren Gesicht tatsächlich öfter getäuscht. Bei Frauen ließ sich kein derartiger Zusammenhang feststellen.
Selbstwahrnehmung als UrsacheInteressanter wird es in der Folgeuntersuchung, mit welcher die Wissenschaftler der tieferen Ursache für diesen Zusammenhang auf die Spur kommen wollten. Diese ist ihrer Meinung nach nämlich weniger biologischer als vielmehr psychologischer Natur - in Wahrheit stecke die Selbstwahrnehmung dahinter. Die Kausalitätskette lautet den Forschern vermutlich folgendermaßen: Männer mit breitem Gesicht hätten nicht nur mehr Aggressivität, sie fühlen sich dadurch auch mächtiger und handeln egozentrischer. Und Machtgefühle wiederum könnten - wie man weiß - zu amoralischen Verhalten verleiten.
Anhand eines virtuellen Würfelspiels wurde daher nun die Bereitschaft von 123 weiteren Probanden zum Betrug erfasst. Gleichzeitig wurden ihre persönlichen Machtgefühle mittels eines Fragebogens erhoben und das Verhältnis ihrer Gesichtsproportionen berechnet. Und tatsächlich bestätigte sich laut den Autoren auch dieser Zusammenhang. Männer mit breiterem Gesicht neigten eher zum Betrug und schienen sich tatsächlich mächtiger als die anderen zu fühlen. Bei Frauen war auch diese Korrelation nicht messbar.
Komplexe InteraktionDie Ergebnisse könnten den Forschern zufolge noch indirektere Ursachen haben, nämlich insofern, als ein bestimmtes Aussehen von der Umwelt ja auch wahrgenommen und darauf reagiert wird. Möglicherweise werden die Männer mit den breiteren Gesichtern von dieser zusätzlich zu unethischem Verhalten animiert.
Immerhin begeben sich die Autoren damit wieder auf die Ebene kultureller und sozialer Erklärungen für menschliches Verhalten. Denn letztlich entstehen Verhaltensweisen doch in einem komplexen sozialen Zusammenspiel. Und von der Physiognomie direkt auf die Eigenschaften des Trägers zu schließen, ist bekanntermaßen gefährlich - nicht nur, wenn dies mit ideologischen Absichten geschieht.
Rückschlüsse sind jedenfalls auch in den Augen der Autoren unzulässig:
Es handle sich lediglich um eine statistische Korrelation, ein breites Gesicht sei nicht notwendigerweise ein Zeichen für unethisches Verhalten.
Kommentar: Der Psychopath fällt ebenfalls aus dieser Kategorisierung heraus, dass man ihn allein anhand der Gesichtsform erkennen kann.
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