Kann die EU künftig die zunehmend stärkere deutsche Militärmaschinerie unter Kontrolle halten? Das ist keine müßige Frage, wenn man bedenkt, dass die Verlierer des Zweiten Weltkrieges unter verschiedenen Vorwänden das Offensivpotenzial ihrer Streitkräfte allmählich ausbauen, schreibt die „Rossijskaja Gaseta“ am Donnerstag.
Ursula von der Leyen
© AFP 2016/ Christof Stache
Ebenso wie in Japan, ist in Deutschland dieser Trend nicht mehr zu übersehen. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen kündigte vor kurzem die Aufstockung der Bundeswehr von aktuell 177.000 Soldaten um 14.400 Militärangehörige und 4.400 zivile Mitarbeiter an. Weitere 2.300 Soldaten bräuchte die deutsche Armee bis 2023.

In diesem Fall ist aber nicht die Verstärkung der Bundeswehr an sich, sondern vor allem der geopolitische Hintergrund wichtig. Laut von der Leyen braucht Deutschland neue Soldaten zwecks Beteiligung an insgesamt 16 Missionen im Ausland, darunter an Nato-Manövern im Osten, nahe den russischen Staatsgrenzen. Zwecks Eindämmung Moskaus, das die Allianz nie bedrohte, sollen vier Bataillone nach Osteuropa verlegt werden, und zwar zwei amerikanische, ein britisches und ein deutsches. Die deutschen Soldaten sollen in Litauen stationiert werden, also wenige Hunderte Kilometer von der russischen Grenze entfernt.

Die angekündigte Erhöhung des Soldatenkontingents der Bundeswehr ist Teil der langfristigen Strategie von Kanzlerin Angela Merkel, die für eine intensivere Beteiligung an der Förderung der internationalen Sicherheit im Interesse der globalen Stabilität eintritt, die für die deutsche Wirtschaft enorm wichtig ist.

Es ist allerdings nicht zu übersehen, dass die Gefahren, die Merkel befürchtet, sehr spezifisch sind und komischerweise mit den Hinweisen übereinstimmen, die Berlin von der Nato bekommt. Wie ein hochrangiger Vertreter der Partei „Alternative für Deutschland“ unlängst feststellte, verwandelt sich die Allianz, die einst versprochen hatte, sich den russischen Grenzen nicht anzunähern, allmählich in ein geopolitisches Instrument der USA und wird dadurch kein Verteidigungs-, sondern ein Offensivbündnis.

Die Behörden in Berlin bemühen sich, die Illusion zu schaffen, dass Deutschland durch seine Beteiligung an Nato-Einsätzen ungefährlich für seine Nachbarn ist und lediglich den angeblich aggressiven Plänen Moskaus widerstehen will.

Auffallend ist in diesem Zusammenhang aber eine Studie, deren Ergebnisse in einem deutschen Wirtschaftsmagazin veröffentlicht wurden: Etwa 80 Prozent der deutschen Industriellen spüren keine Gefahr seitens Moskau und sind am Ausbau ihrer Produktionskapazitäten in Russland interessiert.

Aber warum spricht denn Ministerin von der Leyen immer wieder von der in Wahrheit nie dagewesenen „russischen Gefahr“? Die Antwort auf diese Frage liegt auf der Hand: Laut einem Bericht des Bundeswehrbeauftragten im Bundestag, Hans-Peter Bartels, dessen Auszüge jüngst in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurden, ist die Bundeswehr „am Limit“: Ihr mangele es an Ausrüstung, an Personal und an Geld. In diesem Kontext rief der Parlamentarier auf, die Rüstungsausgaben von aktuell 1,16 Prozent vom BIP auf 1,2 Prozent aufzustocken, und bezeichnete 2016 als „Wendejahr für die Bundeswehr“.

Das aktive Vorgehen der Nato in Osteuropa und die so genannte „russische Gefahr“ geben von der Leyen und ihrer Behörde die Möglichkeit, von der entstandenen Situation zu profitieren und selbst überzeugte Pazifisten zur Aufstockung der Rüstungsausgaben zu überreden. Da aber Washington verlangt, dass alle Nato-Mitglieder diese Ausgaben bei zwei Prozent von ihrem BIP halten, wären das in Deutschland mehr als 60 Milliarden Euro. Angesichts dessen müssten die Osteuropäer sich Gedanken darüber machen, ob Berlins Vorgehen tatsächlich nur gegen Russland gerichtet ist. Denn es war Deutschland, das im 20. Jahrhundert die beiden Weltkriege ausgelöst und versucht hatte, die Ostseeländer und Polen unter Kontrolle zu nehmen, und zwar nicht ohne Erfolg...