Mit handverlesenen Spitzenbeamten, einige davon aus dem KGB, will Putin die Korruption stoppen. Vor den nahenden Duma- und Präsidentschaftswahlen nimmt die Zahl der Strafverfahren gegen korrupte Beamte deutlich zu. Russische Medien gehen davon aus, dass dies der Anfang einer umfangreichen Modernisierung des russischen Staates ist.

Putin
© Reuters
Gestern hat Russlands Präsident Wladimir Putin die größte Umbesetzung unter den Spitzenbeamten seit mehreren Jahren angeordnet. Während die Moskauer Journalisten noch rätseln, was hinter dem überraschenden Zug steckt, frühstückte der Präsident mit Landarbeitern im nordwestlich von Moskau gelegenen Gebiet Twer. Wladimir Putin drehte einen Joghurtbecher hin und her.

Aber irgendwie wurde der Präsident wohl aus der Beschriftung nicht schlau. In Russland sind die Lebensmittelbeschriftungen meist sehr klein gehalten. So fragte der Präsident, ob denn auch die Moosbeeren in dem Joghurt aus Russland kommen. Nein, die kämen aus Lettland. Darauf der Präsident: „Bei den Letten wachsen die besten Moosbeeren.“


Drei neue Regional-Leiter, vier neue Gouverneure

Während Putin mit den Landarbeitern die Erzeugnisse einer örtlichen Molkerei im Gebiet Twer testete, versuchten die Journalisten, sich ein Bild von einer Vielzahl neuer Anordnungen zu machen. In drei der insgesamt acht russischen Groß-Regionen hat Putin die Leiter ausgetauscht, in Sibirien, Nordwest, Nordkaukasus. Vier Gouverneure wurden neu ernannt: für Kaliningrad, Jaroslawl, Kirow und Sewastopol. Auch die Zollverwaltung hat einen neuen Leiter bekommen.

Zwei Umbesetzungen haben offensichtlich mit Korruptionsfällen zu tun. Der liberale Gouverneur des Kirow-Gebiets, Nikita Belych, war vor einem Monat wegen der Entgegennahme von 400.000 Euro Schmiergeld verhaftet worden. Der Leiter der russischen Zollverwaltung, Andrej Beljaninow, ist offenbar in einen Schmuggel mit Cognac verwickelt und wurde abgesetzt. Der Gouverneur der Stadt des Gebiets Jarowslawl wurde wegen „mangelnder Effektivität“ ausgetauscht.

Die Umbesetzungen bereitete die Regierung nach einem Bericht der Internet-Portals rbk.ru seit einem Jahr vor. Nun wurden sie überraschend an einem Tag durchgezogen. Die neuen Ernennungen „auf einen Schlag“ sollten wohl auch zeigen, dass der Präsident die Fäden in Russland nach wie vor in der Hand hält. Alle Gerüchte über Putins angebliche Angst vor einer bevorstehende Palastrevolte, wie sie seit Monaten von dem liberalen Politologen Stanislaw Belkowski verbreitet werden, erscheinen grundlos. Belkowski spielt auf den unzufriedenen Teil der russischen Elite an, dem Putins Kurs gegenüber dem Westen zu hart erscheint. Sie sind gegenüber der EU zu Zugeständnissen bereit, auch was die Ost-Ukraine betrifft.

Ehemalige KGB-Mitarbeiter sollen sich als Gouverneure für „höhere Aufgaben“ qualifizieren

Drei Beamte, die ihre berufliche Karriere im KGB begonnen hatten, bekamen durch die Umbesetzungen leitende Posten. Wladimir Bulawin, bisher Putins persönlicher Vertreter in der Region Nord-West, wird nun Leiter der Zollverwaltung. Die ehemaligen KGB-Mitarbeiter Dmitri Mironow und Jewgeni Sinitschew ernannte Putin zu Gouverneuren der Regionen Jaroslawl und Kaliningrad. In der Region Kirow wurde der Gouverneur Nikita Belych abgesetzt und durch Igor Wasiljew ersetzt. Auch Wasiljew kommt aus dem KGB. Er hat nach eigener Aussage in jener Zeit mit Wladimir Putin zusammengearbeitet.

Bulawin, Sinitschew und Mironow sowie der neue Gouverneur von Sewastopol, Dmitri Owsjanikow würde der Präsident "als neue Leiter testen", mutmaßt das Internet-Portal rbk.ru. Eine erfolgreiche Karriere als Gouverneur sei die Bedingung für noch höhere Posten.

Das Portal berichtete unter Berufung auf „eigene Quellen“, dass die Umbesetzungen ein Jahr vorbereitet worden seien. Die erste Etappe bestehe darin, die mittlere Beamtenschicht zu erneuern. In einer nächsten Etappe würden auch höhere Beamte - gemeint sind offenbar Minister - ausgetauscht. Die Umbesetzungen seien eine Vorbereitung auf das Jahr 2018. Dann stehen in Russland Präsidentschaftswahlen an.

Krim wird der russischen Süd-Region angegliedert

Eine weitere Maßnahme, die der Präsident am Donnerstag verfügte, besteht darin, dass die Region Krim mit der russischen Großregion „Süd“ zusammengelegt wird. Diese Maßnahmen sei getroffen worden, weil die Krim inzwischen ausreichend in das russische Staatswesen integriert sei, berichteten russische Medien.

Der Gouverneur der auf der Krim gelegenen Stadt Sewastopol, Sergej Menjajlo, dessen Amtszeit von Skandalen überschattet war, wurde ebenfalls abgesetzt. Er wird stattdessen der persönliche Vertreter des Präsidialamtes in der Groß-Region Sibirien. Diese Umbesetzung scheint eine Notlösung gewesen zu sein.

Der russische Botschafter in Kiew, Michail Surabow, der nach Meinung zahlreicher Kritiker aus Russland „nichts gegen den Maidan in Kiew unternommen hat“, wurde abgesetzt und durch Sergej Toropow, einen ehemaligen Sekretär der russischen Botschaft in Kiew ersetzt.

Immer neue Verhaftungen wegen Korruption

Auffällig ist, dass der russische Präsident die Strafverfolgung gegen korrupte Beamte seit einem Jahr intensiviert. Eine führende Rolle spielt dabei der Inlandsgeheimdienst FSB, der laut russischen Medienberichten nicht selten in Konkurrenz steht zu den beiden anderen zentralen Sicherheitsapparaten, dem Ermittlungskomitee und der Polizei.

Im letzten Jahr wurden die Gouverneure von Sachalin und Komi wegen Korruption abgesetzt. Auch ehemalige Mitarbeiter des KGB und sogar des Ermittlungskomitees können inzwischen nicht mehr vor Strafverfolgung sicher sein. Offenbar will der russische Präsident dem Volk zwei Monate vor den Duma-Wahlen deutlich machen, dass mit ihm nicht zu spaßen ist. Die Bevölkerung, vor allem in den ärmeren Regionen, mag es, wenn der Präsident hart gegen korrupte Beamte vorgeht.


Kommentar: Richtig so!


Gerade erst am 19. Juli verhaftete der FSB den stellvertretenden Leiter des Moskauer Ermittlungskomitees (SK), Denis Nikandrow und zwei weitere leitende SK-Mitarbeiter, Michail Maksimenko und Aleksandr Lamonow. Ihnen wird die Entgegennahme von größeren Summen Schmiergeld vorgeworfen. Maksimenko soll dem bekannten Mafiosi Andrej Kotschujkow geholfen haben, am 14. Juli vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen zu werden. Die verhafteten Beamten hätten sich „unantastbar“ gefühlt, schreibt das Internet-Portal Rosbalt.ru. Sie waren ausgerechnet dafür zuständig, Korruptionsfälle in Moskau aufzudecken.

Cognac-Flaschen in Containern

Der Chef der russischen Zollverwaltung, Andrej Beljaninow, verlor gestern seinen Posten. Erst vor vier Tagen hatten Mitarbeiter des FSB sein Büro und eine Villa des Spitzenbeamten durchsucht. Der 59-jährige Beljaninow ist aus seiner früheren Tätigkeit für die sowjetische Auslandsaufklärung in der DDR mit Putin bekannt. Der Chef des russischen Zoll soll laut Portal rbk.ru schon seit Längerem um seinen Rücktritt ersucht haben, doch der russische Präsident habe dies immer abgelehnt.

Bei der Hausdurchsuchung in Beljaninows Villa wurden antike Bilder, ein Kilogramm Gold und andere Gegenstände im Wert von 1,4 Millionen Euro sichergestellt.


Gegen Beljaninow laufen außerdem Ermittlungen wegen Beihilfe zum Schmuggel von hochwertigem Cognac aus dem Ausland. Die Flaschen - Stückpreis 675 Euro - wurden in Containern für Baumaterial versteckt und über den Hamburger Hafen zum russischen Hafen Ust Luga - nicht weit von St. Petersburg - transportiert. Der Petersburger Milliardär Dmitri Michaltschenko soll den Schmuggel organisiert haben. Angeblich hat er die Flaschen in seinen Restaurants verkauft.

Warum gerade jetzt die Umbesetzungen und Festnahmen?

Das nachsowjetische Russland führt den Kampf gegen die Korruption - zumindest in Verlautbarungen - praktisch ununterbrochen. Die Bevölkerung wundert sich insofern nicht über immer neue Enthüllungen. Bei einem Teil der Bürger erzeugen die Berichte das Gefühl, dass etwas getan wird. Bei anderen bleibt der Verdacht, dass die Anti-Korruptions-Kampagnen wirkungslos sind.

Viele Bürger gehen davon aus, dass ohne die Anti-Korruptions-Kampagnen alles noch viel schlimmer wäre. Wenn die Beamten sich nicht unangreifbar fühlen und ein bisschen Angst haben, schade das also nicht, so eine weit verbreitete Meinung. Von Bürgern in der ärmeren russischen Provinz hört man nicht selten Äußerungen wie, „wir bräuchten wieder einen Stalin, der mal so richtig aufräumt“.


Wladimir Putin will die Schlüsselpositionen im Staat nun offenbar mit handverlesenen Personen besetzen, die den Kampf gegen die Korruption effektiver führen und das Image der Regierungspartei 'Einiges Russland' vor den Duma-Wahlen im September sowie mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2018 verbessern. Gerade in der Krise, in der viele Russen den Gürtel enger schnallen müssen, reagieren die Bürger empfindlicher auf korrupte Beamte. Durch seine Maßnahmen will Putin offenbar verhindern, dass die oppositionellen Liberalen beim Thema Korruption Punkte sammeln.